Das Amtsgebäude des Bundesverwaltungsgerichtes in Wien

Asylverfahren-Gutachter Mahringer steht selbst auf dem Prüfstand

Karl Mahringer ist bei den Asylverfahren der Afghanistan-Gutachter schlechthin. Nun steht er selbst am Prüfstand. Ein Plagiatsprüfer wirft ihm vor, schleißig zu arbeiten.

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Gäbe es in der Justiz eine Bestenliste für Sachverständigenprosa, das Werk wäre ein Renner. Dabei heischt es nicht um Aufmerksamkeit. Das Deckblatt ziert der schlichte Vermerk "Gutachten", darunter findet sich eine Aktenziffer. Auch der Inhalt verspricht wenig Aufregung: Das Papier kreist auf 96 Seiten um die Versorgungslage in Afghanistan. Am Ende aber geht es um eine politisch brennende Frage: Haben junge Männer, die aus Österreich abgeschoben werden, dort eine Zukunft?

Mit der Antwort betraute die Justiz einen steirischen Geschäftsmann namens Karl Mahringer, der vor einem Jahr folgenden Befund ablieferte: In Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat sei alles vorhanden, was es zum Leben brauche - Wasser, Nahrung, Wohnungen, Strom, Jobs, gesundheitliche Versorgung, Schulen. Wer sich anstrenge, könne es hier schaffen.

Europa handelte damals gerade einen "Joint Way Forward" mit Afghanistan aus. In das kriegsgeplagte Land am Hindukusch fließt nun reichlich Geld, dafür soll es abgewiesene Asylwerber aus Europa zurücknehmen. Mahringers Gutachten kam wie auf Knopfdruck und drehte die Rechtsprechung bis hinauf zum Verwaltungsgerichtshof. In vielen Asylbescheiden findet sich seither seine zur Floskel geronnene Behauptung, dass es einem jungen, kräftigen Mann jedenfalls zumutbar sei, in Afghanistan neu anzufangen.

Erklärmonopol

Das RIS, ein im Internet öffentlich zugängliches Rechtsinformationssystem, spuckt rund 200 Causen aus, in denen der Gutachter eine ausdrückliche Rolle spielt. Rechtsanwälte, die Afghanen im Asylverfahren vertreten, zucken bei seinem Namen mittlerweile zusammen. Es gab einige Versuche, Mahringers Erklärmonopol zu erschüttern. Sie liefen nicht zuletzt deshalb ins Leere, weil er der einzige Sachverständige für Afghanistan geblieben ist, es bis heute also niemanden gibt, der ihm rein formal das Wasser reichen könnte.

Nun aber ist sein Nimbus in ernster Gefahr. Die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung betraute den Plagiatsprüfer Stefan Weber mit einem Gutachten, das vergangenen Donnerstag fertig wurde. Es umfasst mit Anhang zwölf Seiten und liegt profil exklusiv vor. Einen "Reisebericht" nennt Weber das Mahringer-Gutachten. Das Urteil ist vernichtend: Das Werk habe in der vorliegenden Form einen "deutlich nichtwissenschaftlichen Charakter", sei "mit Fakten und Zahlen unklarer Herkunft unterfüttert" und als Entscheidungshilfe "komplett untauglich".

Weber sollte prüfen, ob sich Mahringer an die Regeln guter, wissenschaftlicher Praxis hält. Dazu zählt, dass Untersuchungen lege artis sind, Methoden und Befunde dokumentiert werden. Herzstück des umstrittenen Gutachtens ist eine Befragung von 600 Afghanen, die der Autor im Jänner und Febraur 2017 in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat durchgeführt haben will. Die Details zur Feldarbeit behält er für sich. Der Leser erfährt weder, nach welchen Gesichtspunkten er die Stichprobe zog, noch ob er seine Gesprächspartner persönlich, telefonisch oder per Mail befragte, zu Hause oder auf der Straße. Der Befragungsaufwand fließt eher grob in ein Ergebnis ein. Akribisches Tabellenwerk oder grafische Auswertungen erspart sich der Gutachter; auch auf Zitate, Quellenangaben und Belege zur Herkunft von Abbildungen verzichtet er.

Einseitige Befunde

In Mahringers Afghanistan gibt es Probleme - so könnten internationale Gelder besser eingesetzt werden und Rückkehrhilfen effizienter sein -, aber die Bevölkerung lebe normal. In Summe sehe er "keine Gründe, welche die Rückkehr nach Afghanistan von männlichen Einzelpersonen unmöglich machen". Den Befund illustriert der Sachverständige mit Fotos von Wasserkraftwerken, Auslagen von Apotheken und Gemüsestandln; Berichte von NGOs, Menschenrechtsorganisationen oder Institutionen der UNO und der EU, die von dramatischer Sicherheitslage, systematischer Folter, von Bomben und Minen, Gebietsgewinnen der Taliban und einer Überforderung mit Millionen Binnenflüchtlingen und Rückkehrern sprechen, erwähnt er mit keiner Silbe. Für Plagiatsprüfer Weber sind nicht einmal "die grundlegenden Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens, Nachvollziehbarkeit (intersubjektive Überprüfbarkeit), Gültigkeit (Validität) und Verlässlichkeit (Reliabilität)" erfüllt.

Es sei nicht seine Aufgabe gewesen, "Literatur aufzuarbeiten", erklärt Mahringer auf profil-Anfrage. Die Grundlagen seiner Gutachten seien "immer nachvollziehbar, sonst würden sie der gerichtlichen Qualitätsprüfung nicht standhalten"; zur erwähnten Befragung von 600 Afghanen habe er ohnedies angemerkt, sie sei "ohne wissenschaftliche Vorbereitung und Aufarbeitung durchgeführt" worden. So einfach lässt sich das gutachterliche Pflichtenheft freilich nicht abstreifen.

Das Gesetz verlangt von den österreichweit über 9000 gerichtlichen Sachverständigen, "bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden einen reinen Eid" zu schwören, dass sie die "Gegenstände eines Augenscheins sorgfältig untersuchen, die gemachten Wahrnehmungen treu und vollständig angeben". Was nach alten Zöpfen klingt, verpflichtet sie zu Sorgfalt auf der Höhe der Zeit: Befunde und Gutachten, seien "nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln der Wissenschaft (der Kunst, des Gewerbes)" anzugeben. Laut Alexander Schmidt, Syndikus des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen und Vizepräsident des Handelsgerichts Wien, leite sich daraus nicht ab, "dass Spitzenleistungen der Wissenschaft selbst erbracht werden müssen, das wäre menschenunmöglich; sehr wohl aber muss man dem guten Durchschnitt seines Faches entsprechen. In der Auslegung der Gerichte gelten - allgemein gesprochen - Minderkenntnisse bereits als Verletzung von Sachverständigenpflichten."

Wie wurde Mahringer zum Afghanistan-Gutachter der Republik? Sein steiler Aufstieg verliert sich - zumindest teilweise - im Nebel des Amtsgeheimnisses. Fest steht, dass der Asylgerichtshof, der später im Bundesverwaltungsgericht aufging, 2010 Bedarf an menschenrechtlicher Expertise anmeldete und das Justizministerium daraufhin per Erlass das neue, gutachterliche Betätigungsfeld "Länderkunde (insbesondere Menschenrechte)" erschloss. Dafür gelten, wie für alle anderen Betätigungsfelder, formale Voraussetzungen, bestimmte Ausbildungen etwa oder berufliche Erfahrungen. Zusätzlich überprüft eine Kommission, ob sich angehende Gutachter auf ihrem Gebiet auskennen. Das Gremium setzt sich aus einem Richter und zwei von ihm zu bestellenden Leuten vom Fach zusammen. Besteht ein Kandidat die mündliche Prüfung, verfasst die Kommission eine "begründete Stellungnahme". Danach nimmt ihn das listenführende Gericht - in Mahringers Fall das Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien (ZRS) - in das Verzeichnis der gerichtlichen Sachverständigen auf. Dass hier jemand eingetragen wird, den die Kommission zuvor nicht empfohlen habe, sei rechtlich möglich, komme jedoch "so gut wie nie vor", sagt Schmidt.

Sakrosankte Expertisen

Die Namen der fachkundigen Prüfer, die sich von Mahringers Kenntnissen überzeugten und ihre Empfehlung zu Papier brachten, sind nicht zu erfahren. Die Vizepräsidentin des ZRS, Beatrix Engelmann, verweist auf die "Nichtöffentlichkeit des Zertifizierungsverfahrens". Mahringers Expertise gilt seither jedenfalls in Teilen der Richterschaft als sakrosankt, wie in Entscheidungen nachzulesen ist. So heißt es beispielsweise in einer Entscheidung vom 20. Oktober 2017, das Bundesverwaltungsgericht - es ist in zweiter Instanz für Asyl, subsidiären Schutz und Abschiebungen zuständig - messe "besonders dem Umstand, dass die Methode von Umfragen vor Ort Anwendung fand, ein sehr hohes Maß an Realitätsnähe im Vergleich zu anderen vorliegenden Berichten" bei (W249 2149346-1). In einer anderen vom 13. September liest man, Mahringers Gutachten sei "widerspruchsfrei und in sich schlüssig [ ]" (W260 1436743).

Es wäre der tiefere Sinn einer Zertifizierung, die fachliche Eignung eines Sachverständigen außer Streit zu stellen. Mahringers selbstbewusste, aber unbelegte Behauptungen empörten Anwälte von Beginn an. Vergangenen Herbst bat das Netzwerk Asylanwalt den deutschen Afghanistan-Experten Thomas Ruttig um einen Kommentar. Er fand klare Worte: Gutachter Mahringer ziehe oberflächliche, falsche und sogar verharmlosende Schlüsse. Stephanie Krisper, Asylsprecherin der NEOS, brachte eine parlamentarische Anfrage zum umstrittenen Gutachter ein. Vor dem Bundesverwaltungsgericht aber wurden Einwände in der Regel weggewischt.

Das soll sich mit dem Weber-Gutachten ändern. Man habe in 25 Jahren Rechtsberatung "einiges gesehen", sagt eine Sprecherin der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung: "Das Mahringer-Papier ist eine neue Qualität an Dreistigkeit." Der spendenfinanzierte Verein habe den Plagiatsprüfer angerufen, "weil wir es für einen rechtspolitischen Skandal halten, dass Menschen aufgrund eines kontrafaktischen Gutachtens der Kategorie Reisebericht der Schutz verweigert wird und dessen Verfasser auch noch ein gerichtlich zertifizierter Sachverständiger ist". Rechtsanwalt Christian Schmaus sieht es ähnlich: "Lange Zeit war Afghanistan so unsicher, dass man zumindest subsidiären Schutz gewährt hat. Nun hat sich die Lage abermals verschlechtert, aber die negativen Entscheidungen explodieren, nicht zuletzt auf Basis des Mahringer- Gutachtens." Rechtsanwalt Clemens Lahner sekundiert: "Klar ist, dass nicht jeder Mensch, der einen Antrag stellt, Asyl erhält. Aber es ist ein Grundrecht, dass sein Antrag anständig geprüft wird."

Im Mai 2017 trug Mahringer dem Bundesverwaltungsgericht eine fünfseitige "Aktualisierung" nach. Dafür habe er 120 freiwillige Rückkehrer nach Afghanistan befragt, 16 davon aus Österreich, schreibt er. Das schmale Dossier endet mit der Klage, es sei keine Strategie für die Rückführungen zu erkennen. Sollten sie wie bisher fortgesetzt werden, "wird es ca. 30 Jahre dauern, bis alle Rückzuführende [sic!] zurückgeführt sind." Der letzte Satz gerät ihm zur unfreiwilligen Pointe: "Bei solchen Zeiträumen ist die Sinnhaftigkeit von Rückführungen grundsätzlich zu überdenken."

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges