Berater

Boltz, Steininger, Hlawati: Auf diese zehn Personen hört die Regierung

Trotz ihrer gut besetzten Ministerialbürokratie nimmt die Regierung externe Dienstleistungen in Anspruch. Beraterinnen und Berater sitzen offiziell in Gremien und inoffiziell in Hinterzimmern. Nicht immer ist klar, wo die Beratung endet und die Beeinflussung beginnt.

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Guter Rat muss nicht teuer sein, bisweilen ist er sogar gratis. Wenn Gabriel Felbermayr, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, mit Regierungsvertretern zu Konjunktur-Themen auftritt, stellt er keine Honorarnote. Wenn Infineon-Austria-CEO Sabine Herlitschka im Kanzleramt eine Offensive für Halbleiter bespricht, tut sie das gratis. Und wenn ORF-Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl Medienministerin Susanne Raab über Bedrohungen durch US-amerikanische Tech-Riesen informiert, schickt er keine Rechnung.

Man muss sich um Felbermayr, Herlitschka und Lockl keine Sorgen machen. Alle drei verdienen gut, ein paar Gratisstunden im Dienste der Republik gehen sich da aus. Als Berater liefern sie Input, der regelmäßig in Gesetze oder Projekte der Ministerien fließt. Felbermayr etwa gilt als Erfinder der Strompreisbremse.

Wann es geboten ist, dass die Bundesregierung Consulter von außen in Anspruch nimmt, legte der Rechnungshof in seinem Bericht „Beauftragungen von Beratungsleistungen und Studien in ausgewählten Ressorts“ im Jahr 2020 fest: „Die Zuziehung externer Expertise ist zweckmäßig, wenn die Abwicklung eines Projekts Spezialwissen voraussetzt, das im Ressort nicht zur Verfügung steht oder wenn die Einbringung einer Außenperspektive die Qualität und Erfolgswahrscheinlichkeit eines Vorhabens wesentlich erhöht.“

In seinem Bericht prüfte der Rechnungshof damals entgeltliche Beratung für die Ministerien. Umstritten ist diese, wenn das gelieferte Know-how auch in den jeweiligen Ressorts zur Verfügung stünde. So kritisierte der Rechnungshof im Vorjahr, dass das Finanzministerium 2020 zur Ausgestaltung des Cofag-Gesetzes externe Rechtsanwaltskanzleien engagierte, statt auf „Fachwissen und Erfahrung“ im eigenen Haus zurückzugreifen. Externe Berater sollten, so der Rechnungshof, nur „allfällig“ beigezogen werden.

Am billigsten kommen der Regierung jene Berater, die aus dem staatlichen Bereich stammen, wie AMS-Chef Johannes Kopf oder der Leiter der Gesundheit Österreich GmbH, Herwig Ostermann. Während der Corona-Pandemie tummelten sich die Beraterinnen und Berater zwischen dem Kanzleramt und dem Gesundheitsministerium. Einige brachten es sogar zu einer gewissen Berühmtheit – etwa Simulationsforscher Niki Popper.

Manche Experten wechseln nach dem Ende ihrer aktiven Karriere ins Consulting. Die frühere Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, ist seit Juni 2022 Sonderberaterin für Auslandskultur im Außenministerium und soll sich um die rund 30 österreichischen Kulturforen weltweit kümmern.

Berufung zur Beratung

Sebastian Kurz trieb das Beraterwesen auf die Spitze. Er etablierte im Kanzleramt eine eigene Stabsstelle namens Think Austria unter Leitung der früheren Chefin des Österreich-Ablegers der Boston Consulting Group, Antonella Mei-Pochtler. Ergebnisse lieferte Think Austria kaum, im Februar 2022 wurde sie von Kanzler Karl Nehammer aufgelöst.

Die höchstkarätige Beratergruppe der Zweiten Republik fand sich zwischen 2003 und 2005 im sogenannten Österreich-Konvent zusammen. Unter Leitung des damaligen Rechnungshofpräsidenten Franz Fiedler sollten Experten eine grundlegende Reform der Bundesverfassung erarbeiten – was sie auch taten, allerdings weitgehend folgenlos, da nur wenige Reformvorschläge umgesetzt wurden.

Berater sind keine Einflüsterer, verfügen aufgrund ihrer Nähe zu Entscheidungsträgern allerdings über gewisse Einflussmöglichkeiten. Das gilt vor allem für Vertreter der erweiterten Sozialpartnerschaft. Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Landwirtschaftskammer, ÖGB und Arbeiterkammer bringen sich in politische Entscheidungsprozesse gern ein, häufig auch ungefragt. Die Grenzen zwischen Beratung und Beeinflussung sind dabei fließend.

ORF-Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl, im Zivilberuf Gesellschafter einer Kommunikationsagentur, macht den Nutzen externer Regierungsberaterinnen und -berater an drei Faktoren fest: „Sie können Außenblick bieten, dazu eine langfristige Perspektive und einen Fokus auf das Wesentliche.“ profil hat mit ausgewählten Persönlichkeiten, auf die Bundeskanzler und Minister hören, gesprochen.

Edith Hlawati, ÖBAG-Alleinvorständin

Sie macht heute den Job, den eigentlich Thomas Schmid, einst mächtiger Generalsekretär im Finanzministerium, machen sollte. Und den Ex-Siemens-Boss Wolfgang Hesoun gern gemacht hätte. Schmid stolperte aber über unzählige Chats – auch rund um seine fragwürdige Bestellung als ÖBAG-Vorstand.

Edith Hlawati, Alleinvorständin der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG), als öffentlichkeitsscheu zu bezeichnen, wäre vermutlich noch eine Untertreibung. Medientermine gibt es nur, wenn unbedingt etwas zu sagen ist. Hinter dieser Stille verbirgt sich aber eine der derzeit mächtigsten Frauen der Republik, die ein staatliches Beteiligungsportfolio von über 30 Milliarden Euro verwaltet.

Als Kanzler Karl Nehammer, Finanzminister Magnus Brunner und OMV-Chef Alfred Stern vergangenes Jahr nach Abu Dhabi reisten und dort mit den neuen OMV-Miteigentümern Adnoc medienwirksam eine LNG-Tankladung für Österreich ausdealten, saß Hlawati, weniger medienwirksam, am Verhandlungstisch. Sie nahm Finanzminister Brunner anlässlich der Verlängerung des Syndikatsvertrags der teilstaatlichen A1 mit America Movil nach Mexiko mit. Und als die Berater von Energieministerin Leonore Gewessler, Walter Boltz und Ex-OMV-Vorstand Gerhard Roiss, eine Verstaatlichung des Gasgeschäfts der OMV forderten, hatte die ÖBAG eine eigene Gas-Studie zur Hand: eine staatliche Gashandelsfirma sei weniger effizient als staatliche Garantien für die OMV. Und die Gasversorgung aus nichtrussischen Quellen sei sichergestellt.

Hlawati war als Wirtschafts- und Unternehmensanwältin an so gut wie jeder Privatisierung seit der Regierungszeit von Wolfgang Schüssel beteiligt. Sie war Partnerin in einer der größten Wirtschaftskanzleien Wiens, heute Cerha Hempel. Jetzt ist sie die wohl mächtigste ÖBAG-Chefin seit Langem. Auch weil seit Corona und dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine die staatlichen Beteiligungen nicht mehr nur bequeme Dividendenbringer, sondern eine Frage der öffentlichen Energieversorgung und der Autonomie des Wirtschaftsstandorts sind. „Frau Hlawati ist schon monatlich zum Austausch bei uns“, heißt es aus dem Umfeld des Finanzministers. Es soll wohl sichergestellt werden, dass die Interessen von OMV, A1, Bundesimmobilien-Gesellschaft & Co. bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.

Christoph Neumayer, Generalsekretär Industriellenvereinigung

Als junger Mann demonstrierte Christoph Neumayer 1984 mit Tausenden in der Hainburger Au, um den – von Österreichs Industrie massiv unterstützten – Bau eines Donau-Kraftwerks zu verhindern. Mittlerweile ist Neumayer 57 Jahre alt, und als Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) galt eine seiner Hauptsorgen zuletzt der Bereitstellung von genug Energie für die Wirtschaft.

Präsident der IV ist der steirische Unternehmer Georg Knill. In Wien schupft Neumayer den Laden und agiert nach außen in einer Doppelfunktion als Berater und Influencer. Neumayers primäre Aufgabe besteht darin, keine Regierungsaktivitäten zu übersehen, die für die Industrie auch nur im Ansatz Bedeutung haben. Dieses Screening funktioniert vor allem über informelle Kanäle. Neumayer ist seit zwölf Jahren in seiner Funktion, Georg Knill bereits sein dritter Präsident. Dass die ÖVP in dieser Legislaturperiode den Wunsch der Grünen nach einem weitreichenden Klimaschutzgesetz wohl nicht mehr erfüllen wird, geht auch auf den Rat, respektive den Einfluss, der IV und ihres Generalsekretärs zurück.

Schon in den drei großen Krisen der vergangenen Jahre gelang es der Industrie, der Regierung ihre Interessen als gesamtstaatliche Notwendigkeiten zu verkaufen. Im Dezember 2022 beschloss die Koalition den sogenannten Energiekostenzuschuss II, um den Betrieben die Teuerung für 2023 teilweise zu kompensieren. Dass Kanzler Karl Nehammer im März 2022 kategorisch festhielt, ein Boykott von russischem Gas sei „realitätsfremd und falsch“, ist auch auf intensives Lobbying der IV zurückzuführen. Und als die Regierung zu Beginn der Corona-Pandemie überlegte, die Produktionen in den Fabriken zu stoppen, riet die Industrie erfolgreich davon ab. Räder und Bänder liefen weiter.

Lothar Lockl, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats

Kann gut sein, dass Lothar Lockl einer der Lieblings-Grünen der Schwarzen ist. Alexander Van der Bellens Wahlkampfleiter bei dessen Präsidentschaftskandidatur 2016 gilt als sachlich, verlässlich und vor allem marktwirtschaftlich orientiert. Wäre es anders, hätte die ÖVP wohl auch nicht zugestimmt, dass Lockl Vorsitzender des Stiftungsrats des ORF wird und damit eine zentrale Funktion im Medienbetrieb ausübt. Lockl ist ein zweifacher Berater. In seinem zivilen Leben als Gesellschafter einer Kommunikationsagentur war er unter anderem dem Klimaministerium zu Diensten. Öffentliche Aufträge wolle er zurückfahren, erklärte er nach seiner Wahl zum ehrenamtlichen Vorsitzenden des Stiftungsrats. Bei den Verhandlungen um ein neues ORF-Gesetz erhielt Lockl – und mit ihm ORF-Generaldirektor Roland Weißmann –, wozu er Medienministerin Susanne Raab geraten hatte: eine geräteunabhängige Haushaltsabgabe, die ab 2024 die GIS-Gebühr ersetzt. Die ORF-Gremien wurden im Zuge der Reform nicht geändert. Doch im Oktober erklärte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Zusammensetzung des Stiftungsrats für verfassungswidrig, da die Regierung zu viel Einfluss bei dessen Bestellung habe. Lockls Job ist nicht gefährdet, da das Gesetz, so die VfGH-Vorgabe, erst im März 2025 repariert sein muss. Und Lockl wird der jetzigen und wahrscheinlich auch der nächsten Regierung dabei mit Rat zur Seite stehen, wobei ihm – wie er gern betont – nicht nur der ORF, sondern der gesamte Medienstandort ein Anliegen sei.

Walter Boltz, Energieexperte

Es war einige Zeit nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, als Walter Boltz ein Anruf aus dem Kabinett von Energieministerin Leonore Gewessler ereilte. Die Energiemärkte spielten verrückt, die Preise für Strom und Gas erklommen ungeahnte Höhen, und die Sorge vor kalten Wohnungen war groß. „Während einige aus der Branche zu dieser Zeit auf Tauchstation waren, habe ich mich in den Medien immer wieder zur Gaskrise geäußert“, sagt Boltz. Und dabei hatte der ehemalige langjährige Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control auch nicht mit Kritik über das zögerliche Krisenmanagement der Politik gespart.

Boltz wurde ins Ministerium geladen. Nicht zum Rapport, sondern um seine Ideen zu präsentieren, wie Österreich mit weniger russischem Gas auskommen könne. Seit Sommer 2022 ist Boltz strategischer Berater für Energieversorgung im grünen Klimaschutzministerium; erst kürzlich wurde sein Mandat verlängert. Wöchentliche Sitzungen mit dem Krisenkabinett, dazu Treffen mit der Fachsektion und fallweise auch mit der Ministerin – die erste Phase sei sehr intensiv gewesen, erzählt Boltz. Er schreibe jedoch keine hundertseitigen Studien, sondern liefere Konzepte: etwa, wie sich mehr Gas einspeichern lasse, wie man die Lieferländer diversifizieren könne oder sich Österreich bei der gemeinsamen Gasbeschaffung mit der EU positionieren solle. „Man darf sich nicht erwarten, dass alles eins zu eins umgesetzt wird, was man vorschlägt“, sagt Boltz. Im Klimaministerium sei er mit vielen Ideen durchgekommen. „Das große Hindernis ist, sie in der Koalition, aber auch in der SPÖ durchzubringen“, so Boltz mit Blick etwa auf das Energieeffizienzgesetz, welches im Nationalrat nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit erhielt.

Doch nach 15 Jahren in der E-Control habe er es als seine Verpflichtung gesehen, seine Expertise der Politik zur Verfügung zu stellen. „Der Stundensatz ist nicht so brüllend, in der Privatwirtschaft würde ich nicht für dieses Geld arbeiten“, sagt Boltz, der unter anderem auch als Berater für die Wirtschaftskanzlei Baker & McKenzie tätig ist.

Johannes Kopf, AMS-Vorstandsvorsitzender

Manchmal ist die Wirkung unmittelbar. Im September riet AMS-Chef Johannes Kopf – mit seiner Vorstandskollegin Petra Draxl – der Regierung, die Mittel für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt um bis zu 100 Millionen Euro zu erhöhen. Am Ende wurden es 75 Millionen Euro. Seit 2006 ist der Jurist Direktor des Arbeitsmarktservice. Sein direkter Kanal zur Politik sind die Sitzungen des AMS-Verwaltungsrates, in dem neben den Sozialpartnern auch Finanzministerium und Arbeitsministerium vertreten sind.

Anlassbezogen finden höchstrangige Arbeitsgruppen zusammen, an denen auch Kopf teilnimmt. So diskutieren die Minister Gerhard Karner (Inneres), Susanne Raab (Integration), Martin Kocher (Arbeit) und Johannes Rauch (Soziales) derzeit über Aufenthaltsregeln für Vertriebene aus der Ukraine.

Als Chef eines Dienstleistungsunternehmens des öffentlichen Rechts ist der Kontakt zur Politik Teil von Kopfs Job-Description. Neben den Regierungsmitgliedern hält er auch Kontakt zu den Sozialsprechern der Parlamentsparteien. Auch bei den türkis-grünen Regierungsverhandlungen wurde er beigezogen: als neutraler Experte.

Gabriel Felbermayr, Wirtschaftsweiser

Mit Gabriel Felbermayr, dem Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), machen Minister und Ministerinnen derzeit besonders gern Pressekonferenzen. Der Sanctus des Oberökonomen der Nation ist den Regierungsmitgliedern wichtig und soll politische Maßnahmen legitimieren. Umgekehrt reagiert man mitunter etwas verschnupft auf Kritik. Als Felbermayr etwa die Umsetzung der Strompreisbremse kritisierte, die in ihrer derzeitigen Gestalt nicht seinem ursprünglichen Vorschlag zur Preisregulierung entspricht, soll statt ihm der damalige Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Hans Neusser, zu internen Abstimmungsgesprächen mit den zuständigen Ministern geladen worden sein. Es sei eine Heiß-kalt-Beziehung zwischen Felbermayr und der Regierung, erzählt man aus seinem Umfeld. Aber seit der Corona-Pandemie eine sehr enge, insbesondere mit Finanzminister Magnus Brunner und Wirtschaftsminister Martin Kocher.

In Zeiten multipler Krisen greift die Regierung öfter auf die Expertise der heimischen Wirtschaftsforscher zurück, nicht nur auf jene von Felbermayr. Das sei unter Türkis-Blau nicht immer der Fall gewesen, heißt es aus der Branche. Fiskalrat-Chef Christoph Badelt, EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna, die als industrienah gilt, und Neo-IHS-Chef Holger Bonin werden regelmäßig zum Austausch ins Bundeskanzleramt oder ins Finanzministerium geladen.

Felbermayr kann Öffentlichkeit, und er kann Regierungsberatung. Auch deshalb kommt die Regierung nicht um ihn herum. Er übernahm nach Christoph Badelt 2021 die Leitung des WIFO. Davor leitete er das Kieler Institut für Weltwirtschaft und war Berater der deutschen Bundesregierung. Streng genommen ist er das noch heute: Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter Robert Habeck. „Falls Felbermayr anruft, hebt der Finanzminister ab“, das mache er nicht bei jedem, heißt es aus Brunners Umfeld. Auch wenn ihm nicht immer ganz bekommt, was Felbermayr zu sagen hat.

Karl Steininger, Klimaexperte

Geht es um das Thema Klima, kommt die Regierung um einen Mann nicht herum: Karl Steininger, Leiter des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz. Der Wirtschaftswissenschafter steht seit Jahrzehnten in Kontakt mit der Politik. Sein Institut führte immer wieder Forschungsprojekte durch, die durch den Klima- und Energiefonds finanziert wurden. Auch schon zu Zeiten, in denen das zuständige Ministerium das Klima noch nicht im Namen trug, sondern sich mit dem Umweltschutz begnügte. Für den bis 2017 im Amt gewesenen ÖVP-Umweltminister Andrä Rupprechter etwa errechneten Steininger und sein Team gemeinsam mit weiteren Forschungseinrichtungen die „Cost of Inaction“, also was der Klimawandel Österreich kostet, wenn keine geeigneten Maßnahmen zur Anpassung getroffen werden.

Sonst um Kritik kaum verlegen, streut Karl Steininger der aktuellen Regierung Rosen: „Grundsätzlich hat sie schon eine wissenschaftsaffine Haltung, speziell bei der vorigen Regierung war das noch anders.“ In der Vergangenheit habe man oft Studien erstellt und dann nie wieder etwas von der Politik gehört. „Jetzt bekommen wir eigentlich immer Rückmeldung, etwa ob vorgeschlagene Maßnahmen politisch durchsetzbar sind oder nicht.“

Im Vorjahr wurde Steininger in den Expertenbeirat des von Christoph Badelt geführten Produktivitätsrats der Bundesregierung berufen. Allerdings ortet der Klimaökonom Unterschiede, was die Einbeziehung der Wissenschaft betrifft: „Während es bei der ÖVP auf die jeweiligen Minister ankommt, ist sie bei den Grünen gesamt sehr stark.“ Und so bewertet er aktuell für das Klimaministerium gemeinsam mit 40 anderen Experten die 107 Stellungnahmen, die seit dem Sommer zum Nationalen Klima- und Energieplan (NEKP) eingegangen sind. „Da geht es darum, zu analysieren, welche Vorschläge am erfolgversprechendsten sind, um die Klimaziele zu erreichen“, sagt Steininger. Ob sie dann tatsächlich umgesetzt werden, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Sophie Hansal, Netzwerk Frauenberatungsstellen

Sophie Hansal ist es eigentlich gewohnt, ihre Expertise ungefragt einzubringen. Bei Begutachtungsverfahren gibt sie als Geschäftsführerin des Netzwerks der Frauen- und Mädchenberatungsstellen Stellungnahmen ab, den Parlamentsparteien schickt sie Positionspapiere. Immer wieder, und in den vergangenen Monaten häufiger, wird Hansals Einschätzung aber auch proaktiv eingeholt.

Vergangene Woche lud Frauenministerin Susanne Raab, ÖVP, Vertreterinnen der Frauen- und Mädchenberatungsstellen spontan zum Austauschtermin ein. Als die Ministerin ihr Budget und ihre Schwerpunkte für das kommende Jahr präsentierte, berichtete Hansal der Öffentlichkeit von den Erfahrungen der Beratungsstellen. „Mir ist wichtig, Bündnispartnerin zu sein. Das heißt aber nicht, alle Meinungen zu teilen und keine Kritik zu üben.“

Mit der türkis-blauen Regierung brach der Kontakt zu den Frauenorganisationen ab. Nun wird er wieder aufgebaut. Die Politik der ÖVP passt in vielerlei Hinsicht nicht mit den klar feministischen Stellen zusammen. Im Gewaltschutzbereich finden sie aber dann doch zusammen. Um Studien auszuarbeiten oder Gewaltschutzambulanzen vorzubereiten, griff die Regierung immer wieder auf Expertinnen zurück, als Kitt dient manchmal auch der grüne Koalitionspartner. „Letztendlich lohnt es sich, wenn man seine Forderungen gebetsmühlenartig wiederholt“, sagt Hansal. „Die Absicherung der Basisarbeit aller Beratungsstellen ist zum Beispiel eine, die seit Jahrzehnten da ist.“ Sie bleibt auch weiterhin bestehen.

Stefan Wallner, Bündnis für Gemeinnützigkeit

Stefan Wallner hat zwei klare Vorteile bei seiner Arbeit als Interessenvertreter. Er kennt die Schritte, die zu einer Gesetzesänderung führen. 2009 wechselte Wallner nach zehn Jahren als Caritas-Generalsekretär in die Politik. Er wurde Bundesgeschäftsführer der Grünen, nach einem Zwischenstopp bei der Erste Bank Generalsekretär im Gesundheitsministerium, später Kabinettschef von Vizekanzler Werner Kogler. Jetzt ist sein Job das Ehrenamt: Als Geschäftsführer des Bündnisses für Gemeinnützigkeit vertritt er alle NGOs im Land, vom Roten Kreuz bis hin zu kleinen Vereinen. Bisher gab es kein vergleichbares Sprachrohr. „Ich habe Interessensvertretung immer auch als Politikberatung verstanden“, sagt Wallner, wobei er in dem Fall nicht die Parteipolitik meint. Während seiner Zeit bei der Caritas habe er mit den Sozialpartnern zusammengearbeitet. Zuletzt führte er, wegen Änderungen bei der Absetzbarkeit von Spenden, dem Freiwilligengesetz oder Energiekostenzuschüssen für Vereine, Gespräche mit Bundeskanzleramt und Finanzministerium. Auch das Freiwillige Sozialjahr wurde verbessert. „Das Ehrenamt liegt im Interesse beider Regierungsparteien, aber es ist auf der Prioritätenliste immer wieder nach hinten gerutscht, weil andere Dinge dringender waren.“ Damit es auf die Agenda kommt, hilft es zu wissen, wer Themen für den Ministerrat oder eine Regierungsklausur vorbereitet. Wallner kennt sie, und sie kennen ihn.

Niki Popper, Simulationsforscher

Niki Popper wird gebucht, um Daten zu analysieren, Varianten zu prüfen und Prognosen zu erstellen. Für den Simulationsforscher gibt es aber nur eine Option, um Aufträge anzunehmen: Sie müssen befristet sein, eine klar abgegrenzte Fragestellung umfassen und den eigenen Compliance-Regeln entsprechen. Lose Runden im Kanzleramt, diffuse Beratungsgespräche und intransparente Sitzungen sind nicht seine Sache. Im Hinterzimmer findet man ihn nicht, außer es ist sein offizielles Büro. In der Pandemie halfen seine Prognosen, die Folgen von Corona auf das Gesundheitssystem einzuschätzen. Popper erklärte seine Modelle zuerst ehrenamtlich der Regierung, dann auch der Öffentlichkeit. Gemeinsam mit anderen Kollegen gab er dann, später, seinen Rückzug aus dem Beraterstab Gecko bekannt. Evidenz werde weiter produziert, schrieb Popper auf Twitter, „ob die Politik darauf hört, ist ihre Entscheidung“.

Gefragt sind Popper und sein Team an der Wiener Technischen Universität und im Unternehmen dwh auch nach der Pandemie. Das Gesundheitsministerium beauftragte sie, Prognosen zur HPV-Impfung zu erstellen. Popper berechnete aber auch schon Verkehrsflüsse von Metropolen und die mögliche Entwicklung beim Tierärzte-Mangel. Immer mit einem konkreten und klar definierten Mandat.

Theorie & Praxis

Eines verbindet fast alle Beraterinnen und Berater: Einen Wechsel in die Politik schließen sie für sich aus. Vielleicht weil sie ständig erfahren, dass Bescheidwissen leichter ist als politisches Umsetzen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).