„Wer maximal schnell sein will, muss spekulieren“

Bernhard Pörksen: „Wer maximal schnell sein will, muss spekulieren“

Buchautor und Medienwissenschafter Bernhard Pörksen über Ibizagate, die Regierungskrise in Österreich und die treibende Rolle von sozialen Medien.

Drucken

Schriftgröße

Interview: Edith Meinhart

profil: Österreich erlebt eine der schwersten Regierungskrisen seiner Geschichte. Welche Rolle spielen die sozialen Medien dabei? Pörksen: Sie sind – gemeinsam mit anderen Medien – Treiber des Geschehens, Instrumente der Überhitzung, Werkzeuge der Eskalation. Das Wirkungsnetz ist das neue Leitmedium, nicht mehr der einzelne publizistische Leuchtturm, der Aufmerksamkeit zentriert. profil: Nach der Veröffentlichung der Ibiza-Videos brauchte Bundeskanzler Sebastian Kurz 24 Stunden, bis er vor die Presse trat. Zu lange in der Empörungsdemokratie? Pörksen: Nein, ich halte das für eine bewusste Inszenierung von Besonnenheit in einem Wahlkampf, der längst begonnen hat und in dem der Kommunikationsstil selbst zum Seriositätssignal wird, zur programmatischen Selbstkundgabe: „Ich bin anders, ich mache keine Schlammschlacht!“ Die gemächlich-erstaunte Reaktion ist gerade dann klug, wenn man – wie der Noch-Kanzler – faktisch zum Getriebenen geworden ist und sich der intensive Flirt mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten zum Zweck des Machterhalts längst in offene Feindschaft verwandelt hat.

Österreich durchlebt momentan ein Live-Experiment.

profil: Der Bundeskanzler unterbrach sein Schweigen zufällig zur besten Fernsehzeit, um ein Statement ohne Nachfragen zu platzieren. Pörksen: Geschicktes Timing – und ein Versuch, in einer Phase des Kontrollverlustes ein Minimum an Kontrolle zu behalten. profil: In den folgenden Tagen gab es viele „Warten auf“-Schlagzeilen. Sind Phasen des Nachdenkens in der digitalen Gesellschaft nicht mehr vorgesehen? Treiben soziale Medien den professionellen Journalismus vor sich her? Pörksen: Österreich durchlebt momentan ein Live-Experiment, das von der Frage handelt: Behält der seriös sortierende Journalismus in Zeiten der fiebrigen Sofort-Spekulation die Deutungshoheit? Oder gewinnen die Akteure des Spektakels? Verschwindet das Kerngeschehen des Skandals – die erschütternde Korruptionsbereitschaft des Vizekanzlers – in einem einzigen Brausen aus Empörung und Gegenempörung, das im Zusammenspiel von sozialen und redaktionellen Medien entsteht?

profil: Je länger Informationen auf sich warten lassen, desto wilder schießen in den sozialen Netzwerken Spekulationen und Verschwörungstheorien ins Kraut. Pörksen: Es gibt den Sofort-Sendezwang der Medien im Verbund mit der unbedingten Neuigkeitserwartung des Publikums, das sich längst selbst zuschalten kann und dadurch zum mächtigen Player in der Erregungsarena geworden ist. So entsteht eine Art Informationsvakuum, das dann in der Tat mit Ad-hoc-Vermutungen über Motive und Hintergründe und jeder Menge Pseudo-News gefüllt wird. Hier wird eine Diagnose erfahrbar, die der Netzphilosoph Peter Glaser einmal zu der Formel verdichtet hat: Information ist schnell, Wahrheit braucht Zeit. Und ich will hinzufügen: Wer maximal schnell sein will, muss spekulieren.

Guter Journalismus ist dialogisch und transparent, auch im Umgang mit eigenen Fehlern.

profil: Transparenz ist kein Wert an sich, sondern Mittel zum Zweck, sagen Sie. Die „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“ haben die Videos nicht nur veröffentlicht, sondern erklärten auch, wie sie an die Aufnahmen gekommen sind, wie sie ihre Echtheit überprüften, worin das öffentliche Interesse besteht. Alles richtig gemacht? Pörksen: Ich kann beim besten Willen keinen Fehler erkennen, sondern ein Höchstmaß an dilemmabewusster Sensibilität – dies alles in einer Phase, in der die „Lügenpresse“-Schreier immer lauter werden und das Misstrauen gegenüber „den“ Medien wächst. Die Redaktionen erklärten, warum sie die Filmaufnahmen in Ausschnitten publizieren, ihre Quellen schützen, allen Motiven der Informanten zum Trotz autonom handeln. Sie erläutern und begründen die Auswahl und leisten damit einen Beitrag zur Selbstaufklärung der Mediengesellschaft. Das halte ich für vorbildlich.

profil: Journalisten bemühen sich mittlerweile um einen konstruktiven Umgang mit sozialen Medien. Wenn jemand wie der ORF-Journalist Hans Bürger sich für eine unglückliche Wortwahl entschuldigt, bekommt er Tausende Likes. Pörksen: Warum auch nicht? Guter Journalismus ist dialogisch und transparent, auch im Umgang mit eigenen Fehlern. Und er braucht die Solidarität und Sympathie eines selbst medienmächtig gewordenen Publikums, um langfristig zu bestehen. Eben dafür ist der Austausch auf Augenhöhe nötig und die Entschuldigung manchmal die angemessene Reaktion. profil: Der Boulevard nimmt es mit dem öffentlichen Interesse nicht so genau, wie die Berichterstattung über Straches Ehefrau Philippa zeigt. Gilt hier der berühmte Ausspruch: Wer mit den Medien im Aufzug hinauffährt, fährt mit ihnen auch wieder hinunter? Pörksen: Darf ich mal kurz polemisieren? Hier zeigt sich ein klatschsüchtiger Kult der Irrelevanz, der im Grunde genommen das Geschäft der Bagatellisierer und Verniedlicher des eigentlichen Geschehens besorgt. Ein nach eigener Aussage betrunkener Vizekanzler ist bereit, die Interessen des Landes an eine hübsche Oligarchen-Nichte zu verschachern, die sich als Lockvogel entpuppt – und man hat nichts Besseres zu tun, als zu recherchieren, ob die Gattin verstimmt ist. Ich empfehle als nächste Runde im Investigativ-Klamauk-Spiel: Hat Heinz-Christian Strache Kaninchen oder einen supersüßen Welpen? Und kommt er in dieser für ihn so schweren Zeit seiner Fütterpflicht nach? Schlagzeilen-Vorschlag: „Wie geht’s den Hasen? Und was macht Hundi?“

profil: Fast 800.000 Menschen folgen Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf Facebook. Viele seiner Anhänger betrachten ihn als Opfer einer böswilligen Inszenierung und finden nicht so schlimm, was sie in den Videos zu sehen bekommen haben. Pörksen: Das blaue Herzchen-Gewitter auf seiner Facebook-Präsenz, die Durchhalteparolen, die verschwörungstheoretisch gerahmte Täter-Opfer-Umkehr – all das ist medienanalytisch hochinteressant. Man sieht hier die Herausbildung einer digitalen Stammesgesellschaft, die die Medienempörung im eigenen Selbstbestätigungsmilieu neu codiert und die Skandalisierung durch den klassischen Journalismus selbst mit aller Macht skandalisiert. Hier wird der Skandal zur Ansichtssache und die kollektive Empörung über die Empörung der Gegner zum Programm, das die Gruppe zusammenschweißt. Wie gesagt: Es ist noch offen, wer sich am Ende durchsetzt. Ich würde davor warnen, Heinz-Christian Strache zu schnell abzuschreiben.

Jeder öffentlich ausgefochtene Kampf um Reputation und Macht kennt Täter, Opfer und Verlierer.

profil: Die FPÖ-Regierungsriege ist nicht mehr im Amt, der Bundeskanzler muss sich einem Misstrauensantrag stellen. Spricht das nicht gegen Ihre These von der digitalen Stammesgesellschaft, in der alle unter ihresgleichen bleiben und Skandale verpuffen? Pörksen: Ich hoffe aus ethischer Perspektive, dass Sie recht behalten. Dennoch beharre ich darauf: Es ist eine empirische Frage, ob der Skandalkern – die Bereitschaft zur Korruption, die Verletzung von elementaren Landesinteressen – einer ausreichend großen Mehrheit als unentschuldbares Versäumnis im Gedächtnis bleibt. Das wird man sehen. profil: Über die sozialen Medien kann sich jeder daran beteiligen, Quellen zu suchen oder Informationen ans Licht zu fördern. Die Grenzen zwischen Politik, Medien und Beobachtern verschwimmen. Was bedeutet das? Pörksen: Es bedeutet dreierlei. Zum einen erleben wir eine Demokratisierung der medialen Enthüllungs- und Empörungspraxis. Zum anderen gibt es neue Konkurrenz- und Anregungsverhältnisse zwischen der vierten Gewalt des klassischen Journalismus und der fünften Gewalt der vernetzten vielen, die selbst recherchieren, eigene Themen setzen. Und schließlich müssen seriöse Medienmacher in dieser Phase der neuen Unübersichtlichkeit und des Verschwimmens von Grenzen besonders aufpassen, sich nicht auf ungesunde, fälschungs- und fehleranfällige Weise treiben zu lassen.

profil: Eine Affäre wie Ibizagate setzt im Netz auch Kreativität frei: „Going to Ibiza“, ein Song der Venga Boys, wurde zur Hymne gegen rechts. Es gibt Strache-Challenges, bei denen die Bilder in der Villa nachgestellt werden. Pörksen: Jeder öffentlich ausgefochtene Kampf um Reputation und Macht kennt Täter, Opfer und Verlierer. Aber er kennt unter den aktuellen Medien- und Kommunikationsbedingungen auch den Typus des Empörungsgewinnlers, den Clown und Spaßvogel, der aus dem aufschäumenden Erregungsexzess seine Aufmerksamkeitsprofite schürfen will und den Skandal vor allem als eine riesige Scherz-Ressource sieht. So auch in diesem Fall.

Bernhard Pörksen, 50, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt veröffentlichte er das Buch „Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung“ (Hanser).

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges