Wien - Ortsende
Wien-Wahl 2025

Blaue Stadtflucht nach Niederösterreich: Gehen der Wiener FPÖ die Wähler aus?

Die FPÖ holte bei der Wien-Wahl 20 Prozent, nach 31 Prozent 2015. Das könnte auch mit der schwindenden Zahl an Stammwählern zu tun haben.

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An der Grenze zu Niederösterreich, wo Wien-Simmering schon mehr Land als Stadt ist, heimwerkt Paul Stadler dieser Tage. Der 68-Jährige nutzt die Ruhe nach der Wien-Wahl. Stadler war Bezirksvorsteher von 2010 bis 2015 und wollte Simmering 2025 wieder von der SPÖ zurückerobern. Doch dieses Mal wurde kein Bezirk blau. Dass selbst der bekannte und beliebte Simmeringer scheiterte, überraschte angesichts der blauen Welle, die seit Jahren durch ganz Österreich rollt – aber eben nicht durch Wien. Holte die FPÖ 2015 unter Heinz-Christian Strache in Wien noch 31 Prozent, waren es unter Dominik Nepp nun 20 Prozent.

„Ich hätte Sie gewählt. Aber ich wohne jetzt in Niederösterreich“, zitiert Stadler aus einem E-Mail eines früheren Anhängers. Er habe einige solcher Zuschriften erhalten. Sein eigener Sohn wohne schon länger samt Familie „drüben“. Man merke, „dass ein Teil wegfällt“. Neu hinzugekommen als Wähler sei so mancher türkischstämmige Simmeringer. Doch deren erste Adresse bei der Wahl bleibt die SPÖ.

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Linkes Wien, rechtes Land. Wie sehr wird diese Polarisierung durch die Stadtflucht rechter Wiener verstärkt, in ruhigere NÖ-Gemeinden mit weniger Migranten? Geht der FPÖ in Wien langfristig ihre autochthone Stammklientel verloren? 
Wien wuchs in den vergangenen Jahren massiv auf über zwei Millionen Einwohner an. Dass Menschen aus Wien auch wegziehen, ging dabei fast unter. Doch von Wien nach Niederösterreich ziehen seit geraumer Zeit netto jährlich rund 5000 Österreicher mehr als umgekehrt. Warum sollten „Auswanderer“, die es ruhiger haben wollen, überdurchschnittlich zur FPÖ neigen? 

Dafür gibt es Indizien. Eine Grafik, die der „Standard“ rund um die Wien-Wahl erstellte, zeigt, dass sich gebürtige Wiener ohne Migrationshintergrund vorwiegend Richtung Stadtrand niederlassen.

Wo Einheimische und Zuwanderer wohnen

Eine ORF-Grafik zu den von Demoskopen abgefragten Zweitstimmen („Welche Partei wäre bei der Gemeinderatswahl Ihre zweite Wahl?“) im roten Wien zeigt, um wie viel FPÖ-affiner diese Stadtteile sind. In den inneren Bezirken ist das Bild konträr. In diese zieht es vorwiegend Zuwanderer aus anderen Bundesländern, deren zweite Wahl meist grün ist.

Nimmt man an, dass sich die blaue Bewegung längst auch vom Rand über die Stadtgrenze hinaus erstreckt, verlassen tendenziell rechte Wähler die Stadt, während linksaffinere nachkommen. Nicht nur durch Zuwanderung aus dem Ausland.

Wo die Zweitstimmen (neben rot) blau oder grün sind

Im Unterschied zum reichen Wiener Speckgürtel von Klosterneuburg bis Mödling ist eine blaue Bewegung nach Niederösterreich besonders dort spürbar, wo es noch genug leistbaren Wohnraum gab. „Wir sind seit 2015 von 17.000 auf 23.000 Einwohner gewachsen. Zwei Drittel des Zuzugs kommt aus Wien, wohl vorwiegend aus Simmering, Favoriten“, sagt die rote Bürgermeisterin von Schwechat, Karin Baier. Sie hat die Stadt bei der NÖ-Gemeinderatswahl 2025 klar verteidigt. Die These vom „blaueren Zuzug“ hält sie aber „gefühlt für richtig“.

Die These vom blaueren Zuzug halte ich gefühlt für richtig.

Karin Baier

Bürgermeisterin Schwechat (SPÖ)

Auch in Deutsch-Wagram mit 10.000 Einwohnern stammen 80 Prozent der Zuzügler aus Wien. Deren bevorzugte Siedlung „macht uns politisch Kopfzerbrechen“, sagt der rote Vize-Bürgermeister Harald Nikitscher mit Verweis auf starke FPÖ-Ergebnisse im Sprengel. Seine Partei blieb bei der Gemeinderatswahl 2025 nur knapp vor der FPÖ, die im Vergleich zu 2015 von sieben auf 24 Prozent zulegte. „Es war ein Denkzettel für die ÖVP-Bürgermeisterin. Es gibt aber auch die Theorie, dass vor allem jene zu uns ziehen, die wegen der starken Migration nicht mehr in Wien leben wollen und dann hier blau wählen, um sich von Wien abzugrenzen“, sagt Nikitscher.

Die in den Grafiken gezeigten Daten seien nur erste Indikatoren. Grosso Modo könne die Hypothese von der blauen Stadtflucht aber zutreffen, sagt Meinungsforscher Peter Hajek.

Der blaue Stadler bleibt vorerst Stadtrand-Wiener und blickt statt als Bezirksvorsteher bald als Landtagsabgeordneter rüber nach Schwechat.

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.