Österreich

Brand in der Hofburg: Feuer und Flamme

Vor 30 Jahren zerstörte ein Großbrand Teile der Wiener Hofburg. Kann das wieder passieren? profil besuchte die Burghauptmannschaft und die Betriebsfeuerwehr.

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 „Die Hofburg brennt!“ Ungezählte Male fiel dieser Satz in den Nachtstunden zwischen dem 26. und dem 27. November 1992. Wolfgang Beer hörte ihn am Festnetztelefon kurz nach dem Aufstehen. Er sei „ins Gewand gehüpft und sofort nach Wien hinein“. Heute würde Beer vorher Dutzende Videos auf Facebook anschauen, damals waren Smart Phones noch unbekannt. Im Auto hörte er im Radio, dass sich die Feuerwehr am Josefsplatz postierte. Schaun wir mal, dachte er. Er fuhr ins Ministerium.


Beer arbeitete damals  im Büro von ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel. Die eingestürzte Decke des Redoutensaals, die abgekämpften Feuerwehrmänner, die stundenlang versuchten, den Brand unter Kontrolle zu bringen, hatte er noch nicht mit eigenen Augen gesehen, als Schüssel ihn fragte: „Was kostet das?“ Er erwiderte – überschlagsmäßig: „So um die zwei Milliarden Schilling.“ 

 „Mit einer müssen wir auskommen“, fuhr der Sektionschef dazwischen. Er sollte recht behalten. Eine Milliarde Schilling, rund 72 Millionen Euro, kosteten Restaurierung und Modernisierung der versehrten Trakte und die Aufrüstung der Brandschutztechnik. Decken wurden gesichert, Klimaanlagen, Aufzüge und Garderoben eingebaut und ein Tagungszentrum im Dachgeschoss geschaffen. „Wir haben das ganze Haus aufgemöbelt“, sagt Beer.


Der Architekt und Ex-Schüssel-Mitarbeiter war von 1995 bis 2000 als Burghauptmann oberster Verwalter historischer Gebäude der Republik und „Hausherr“ der Hofburg. Der Brand an der Stätte seines Wirkens jährt sich  zum 30. Mal. Die Burghauptmannschaft richtete eigens eine Website ein. Zeitzeuge Beer führt profil durch die aus Trümmern neu entstandenen Teile der Habsburger-Residenz. 


Der Rundgang beginnt im Großen Redoutensaal, der fünf Jahre lang hergerichtet und am Nationalfeiertag 1997 wiedereröffnet wurde. 20 Jahre später zogen hier – wegen der Generalüberholung des Parlaments  –  Nationalrat und Bundesrat ein. Beer steuert jene hintere rechte Ecke an, wo das Unheil 1992 seinen Ausgang nahm.

Zwei Männer, die heute dafür sorgen, dass sich das Unglück nicht wiederholt, folgen ihm: Markus Wimmer ist Jahrgang 1969. Als die Stelle, an der er nun steht, 1992 in Flammen aufging, studierte er Betriebswirtschaft in Linz. Heute ist er stellvertretender Burghauptmann und für den Brandschutz zuständig. Christian Sauer ist der Jüngste der Runde. Er war sieben, als sein Vater, der im nahe gelegenen Café Mozart kellnerte, ihn am Morgen des 27. November mit nach Wien nahm. Ein Polizist passte auf den Buben auf, der nur Augen für die Feuerwehrautos hatte. Heute befehligt Sauer eine 32 Mann starke Betriebsfeuerwehr der Burghauptmannschaft. 


Ihr Dienst dauert zwölf Stunden. Die Hälfte davon besteht aus Kontrollgängen auf dem 232.000 Quadratmeter großen Gelände. Vor 30 Jahren hatte ein Kollege auf einem dieser Streifzüge Rauch gerochen, durch ein Loch für die Aufhängung des Lusters gespäht und über Funk gemeldet: „Feuer im Redoutensaal, vorne rechts.“ Um 1.10 Uhr war die Wiener Berufsfeuerwehr alarmiert. Den Löschtrupps blieb wenig mehr als eine Stunde, bis das Dach einstürzte. Bald hatte sich eine gewaltige Feuerwalze aufgebaut. Es galt Alarmstufe sieben (von acht). In der Nationalbibliothek schafften Polizistinnen und Polizisten historische Bücher und Handschriften aus der Gefahrenzone. 60 Wohnungen in der Hofburg wurden geräumt, die weltberühmten Lipizzaner-Rösser von WEGA-Polizisten, Bereitern und Passantinnen im Volksgarten in Sicherheit gebracht.

"Wir haben das ganze Haus aufgemöbelt.“ Wolfgang Beer (rechts), Ex-Burghauptmann; Markus Wimmer (links), Burghauptmannschaft

Bis zum offiziellen „Brand aus“ verstrichen 31 Stunden. Fast 400 Feuerwehrmänner waren im Einsatz. Vom Großen Redoutensaal standen noch die Außenmauern, der Rest war eine stinkende Schutthalde. Dass acht von zehn Tapisserien dieses Schicksal erspart blieb, verdankt sich dem Umstand, dass sie während der Feuersbrunst gerade außer Haus waren. Die Vertäfelungen sollten von Gerüchen und Vergilbungen gereinigt werden, die Veranstaltungen hinterlassen hatten, bei denen damals noch festlich getafelt, getrunken und geraucht wurde.
Die Brandursache blieb ein Rätsel. Eine nicht ausgedämpfte Zigarette schied aus. Durch Filmaufnahmen überlastete Stromleitungen verwarfen Experten ebenso. Ex-Burghauptmann Beer hält es für wahrscheinlich, dass der Funkenschlag eines Stromsteckers in Verbindung mit dem hinter Lamperien angesammelten Staub zu einem Glimmbrand führte: „Schließlich wird der Lack Blasen geworfen und gerissen sein, sodass Luft hinter die Holzverkleidung kam, die das Feuer so richtig angefacht hat.“ 


Kaum war der Brand, einer der größten der Zweiten Republik, unter Kontrolle, hob ein Streit zwischen „Nachbarockisierern“, die alles so wollten, wie es einmal war, und Modernisten an. Ihr österreichischer Kompromiss: Was das Feuer an historischer Substanz übrig ließ, sollte erhalten bleiben, was verloren war im Zeichen der Moderne wiederauferstehen. Den Kleinen Redoutensaal hatte das Feuer zu 80 Prozent verschont. Er wurde seinem barocken Vorbild getreu renoviert und mit Dolmetscher-Kabinen ausgestattet. Im Großen Redoutensaal hingegen war von Decke, Boden und Sockelzone nichts übrig.

Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, den der Maler Josef Mikl (1929–2008) gewann. Der Wiener Künstler quartierte sich in einem aufgelassenen Flugmotorenwerk im Wiener Arsenal ein, ließ einen Tisch aus Spanplatten fertigen und mit Leinwand 


beziehen. Darauf malte er in kräftigen Orange- und Rottönen, die viele an die Feuersbrunst gemahnen, Mikl aber als Hommage an Ferdinand Raimund, Johann Nestroy, Karl Kraus und Elias Canetti verstanden wissen wollte. 


Fallweise ließ Ex-Burghauptmann Beer sich im Arsenal blicken und fand Mikl auf einer selbst gebauten Leiter vor, sein Werk durch ein umgedrehtes Opernglas von hoch oben betrachtend. Als er seine 22 Wandgemälde und das über 400 Quadratmeter große Deckenfresko endlich für gut befand, wurden sie eingerollt und in den Redoutensaal gebracht. Beer erinnert sich an unerwartete Schwierigkeiten. Versichert waren die Werke, für die Mikl 17,5 Millionen Schilling (rund 1,25 Millionen Euro) bekam, am Entstehungs- und Bestimmungsort, nicht jedoch auf dem Weg dazwischen. Beer bewegte einen Versicherungsexperten, die Risikolücke zu schließen. Im Gegenzug durfte der Mann ein Fest feiern, wo Geschichte geschrieben worden war. So hatten etwa 1979 US-Präsident Jimmy Carter und der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew hier den Abrüstungsvertrag SALT II unterzeichnet. 


Bei der Eröffnung am Nationalfeiertag 1997 wurden zwei kleine Opern von Kaiser Leopold I. aufgeführt („Der verlorene Sohn“ und „Orpheus und Eurydike“). Die meisten Gäste nahmen die „Miklisierung“ des geschichtsträchtigen Ortes gefasst zur Kenntnis, berichtet Beer. Doch das hätte einigen Reportern nicht gepasst: „Je scheußlicher jemand den neuen Redoutensaal fand, desto länger war er im Bild.“ Auch diese Wogen legten sich.

Der Redoutensaal kurz nach dem verheerenden Brand 1992 und kurz nach der Renovierung 1997.

Hätten die „Nachbarockisierer“ sich durchgesetzt, gäbe es heute das imposante zweigeschossige Dach aus Stahlbeton, den   Glas-Beton-Anbau mit Ausblick auf die Michaelerkuppel und den kugelförmigen Konferenzraum nicht. All das schuf Generalplaner Manfred Wehdorn in der denkmalgeschützten Hofburg. Zudem hätte man, so Ex-Burghauptmann Beer, für den Nachbau eines barocken Dachstuhls „halb Kroatien abholzen müssen, weil es die dafür nötigen riesigen alten Bäume bei uns schon lange nicht mehr gibt“. In der Monarchie konnten sich die Bauherren noch mächtige Fichten, Lärchen und Tannen aus Gosau, Hallstatt und dem Ennstal auf dem Donauweg kommen lassen.  

Vor der Feuerwache parkt ein Löschfahrzeug, in dem ein Stromkabel steckt. Es lädt Taschenlampen, Funkgeräte und Akkus. Im Alarmfall zählt jede Sekunde. Im Kommandoraum sitzt ein Feuerwehrmann, umringt von Monitoren. 23 Brandmeldezentralen, an denen 14.000 Brandmelder hängen, laufen hier zusammen. Eine Holzstatue des heiligen Florian, Schutzpatron der Feuerwehrleute, wacht über das Geschehen. Im Raum nebenan warten Stiefel und feuerfeste Lackhosen darauf, dass ihre Besitzer in sie hineinspringen. 


„Von Sekunde eins bis Minute 15 entsteht ein Vollbrand“, sagt Kommandant Sauer. Seine Männer können in fünf bis sieben Minuten an Ort und Stelle zu sein: „Damit erwischen wir 90 Prozent der jährlich zwischen 15 und 20 Brände in einem Stadium, in dem sie noch mit kleinem Gerät oder einem ersten Schlauch abzulöschen sind.“ Ist Verstärkung nötig, rückt die Berufsfeuerwehr an. So wie 1992. Allerdings verspielten die Löschtrupps damals wertvolle Zeit, weil sie die Hofburg zu wenig kannten. Feuerwehrmänner rannten Treppen hinauf, die unvermutet endeten. „Ortskundigkeit bedeutet Schnelligkeit“, so Burghauptmann-Vize Wimmer. Es ist eine der wichtigsten Lehren aus der Feuersbrunst.

Hofwache-Kommandant Christian Sauer vor einem Einsatzfahrzeig der Hofburgfeuerwehr.

Neu geschaffene Brandschutzabschnitte sollen Feuer aufhalten. Ein Lösch- und Erkundungstrupp wurde ins Leben gerufen, 2007 stellte man auf eine Betriebsfeuerwehr um. Weil „Angriffe von außen“ die Gefahr bergen, dass Gebäude unter Löschwassermassen zusammenbrechen, wurden Wandhydranten für „Angriffe von innen“ installiert. Besser als das schnellste Löschen ist Vorbeugen. Deshalb beraten Brandschutzbeauftragte der Organisationen und Betriebe, die in der Hofburg sitzen, regelmäßig. Gefahrenquellen werden eliminiert, Baustellen überwacht, Übungen mit der Berufsfeuerwehr ausgerichtet. 


Sauers Feuerwächter genehmigen jährlich an die 1000 Arbeiten auf Baustellen, sie kontrollieren, ob bei den 400 Wandhydranten Wasser herauskommt und ob die Brandschutztüren, von denen es mehrere Tausend gibt, dicht schließen. Dazu kommen Geräteschulungen, Atemschutzübungen, Sanitäterkurse, Ausbildungen zum Höhenretter, Orientierungstrainings und Überprüfungen der Fitness. Ist man gegen Jahrhundertbrände nun gefeit? Beer meint, wäre die Betriebsfeuerwehr seinerzeit so aufgestellt gewesen wie heute, „hätte man eine Chance gehabt, das Feuer rechtzeitig zu erwischen“. Wimmer sieht es ähnlich: „Wir machen die Katastrophe unwahrscheinlicher.“ Ein Restrisiko bleibt: „Gegen den Faktor Mensch und die Verkettung unglücklicher Umstände können wir wenig tun.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges