Letzte Runde

Bringt die Steuerreform die Regierung zu Fall?

Koalition. Bringt die Steuerreform die Regierung zu Fall?

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Der Bericht hat 250 Seiten und wird über die Zukunft der Koalition entscheiden. Seit vergangenem Juni – der Finanzminister hieß damals noch Michael Spindelegger – grübelte eine Expertenkommission über die Möglichkeiten einer umfassenden Steuerreform. Das Ergebnis ist eine umfangreiche Materialsammlung wissenschaftlicher Güte: von einer Einführung in das österreichische Steuer- und Abgabensystem über Kapitel zu Umsatzsteuer, Tarifmodellen und vereinfachter Lohnverrechnung bis zu einem internationalen Steuerrechtsvergleich. Am 17. Dezember folgt die erste politische Verhandlungsrunde. Die Teilnehmer: Kanzler Werner Faymann, Klubchef Andreas Schieder sowie die Landeschefs Michael Häupl (Wien) und Peter Kaiser (Kärnten) für die SPÖ; Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Finanzminister Hans Jörg Schelling und die Landeshauptleute Josef Pühringer (Oberösterreich) und Markus Wallner (Vorarlberg) für die ÖVP.

Die Wortmeldungen triefen schon jetzt vor Dramatik, viel Spielraum bleibt da nicht mehr: Sollte bis Mitte März 2015 keine Steuerreform paktiert sein, müsse es Neuwahlen geben, erklärte der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl: „Da geht es ums Prinzip.“ Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl sieht das genauso: „Scheitert die Steuerreform, scheitert die Koalition.“

„Faymann hat nichts mehr zu verlieren“
Seit SPÖ-Chef Werner Faymann beim Bundesparteitag mit nur 83,9 Prozent der Delegiertenstimmen wiedergewählt wurde, gilt die Steuerreform praktisch als letzte Hoffnung für den angeschlagenen Parteichef. „Jetzt erst recht, Faymann hat nichts mehr zu verlieren“, sagt mit drohendem Unterton ein Genosse, der durchaus im Faymann-Unterstützungslager anzutreffen ist: Josef Muchitsch, SPÖ-Sozialsprecher und Chef der Gewerkschaft Bau-Holz. Ein Verhandlungserfolg bei diesem Thema ist für den Kanzler ein Muss. Und ohne die symbolisch hoch aufgeladene „Millionärssteuer“, den roten Wahlkampfschlager, zählt ein Ergebnis nicht als Erfolg. Punkt.

Dumm nur, dass der Koalitionspartner da nicht mitgehen will. Die Dringlichkeit einer Abgabenreform bestreitet zwar auch in der ÖVP niemand. Aber von Vermögenssteuern wollen die Konservativen nach wie vor nichts wissen.

Ist das jetzt ein ganz normaler innenpolitischer Disput? Der übliche Theaterdonner als Untermalung eines kleinen Zwischenwahlkampfs vor dem Superwahljahr?

Nicht nur. Gerade bei diesem Thema wurde aus lockerem Geplänkel schon ziemlich oft Ernst. An dem Streit um Steuerreformen sind in den vergangenen Jahrzehnten bereits einige Regierungen zerbrochen. Werner Faymann muss die Gemengelage verflixt bekannt vorkommen: Das „übliche Gesudere“ schwillt zum lauten Protestgesang an, die Genossen jammern, dass sich der Parteivorsitzende und Kanzler nie gegen die ÖVP durchsetze. In dieser ungemütlichen Situation war der SPÖ-Chef im Sommer 2008. Er hieß damals Alfred Gusenbauer, aber seine Tage waren gezählt: Die SPÖ-Granden erzwangen eine Ablöse, Werner Faymann wurde neuer Parteichef (und verhandelte eine Neuwahl später 2009 mit einem neuen ÖVP-Obmann die Steuerreform). Faymann weiß also aus eigener Erfahrung um die Dringlichkeit der Situation; er kann die SPÖ nur durch Reichensteuern befrieden. Sonst taumelt er in Neuwahlen oder in das eigene Karriereende.

Noch schriller lief die Auseinandersetzung zum selben Thema im Herbst 2002. Wegen der Hochwasserkatastrophe in weiten Teilen des Landes war die geplante Steuerreform auf Initiative der ÖVP verschoben worden. Dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider missfiel das außerordentlich. Er beorderte seine Getreuen in das Kulturhaus der Gemeinde Knittelfeld, wo Haiders Gefolgsmann Kurt Scheuch ein von der damaligen Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer ausgearbeitetes Kompromisspapier in einer Art Show-Act zerriss. Am nächsten Tag traten Riess-Passer, der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubchef Peter Westenthaler zurück. Kanzler Wolfgang Schüssel erklärte die Koalition für beendet. Bei der Neuwahl am 24. November fuhr die ÖVP mit über 42 Prozent der Stimmen einen grandiosen Sieg ein. Grasser blieb Finanzminister.

Gefährliches Drehen an der Steuerschraube
Der Begriff „Steuerreform“ enterte die politische Bühne in den 1960er-Jahren. Damals wurde vorrangig über die steuerliche Begünstigung von Familien gestritten. Zu einer großen Reform kam es aber erst 1973, als die SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky die Individualbesteuerung einführte, die vor allem berufstätigen Frauen nützt. In die Zeit der SPÖ-Regierung fällt auch die Einführung der Mehrwertsteuer, die der damalige Finanzminister Hannes Androsch an Stelle der alten Umsatzsteuer verwirklichte. Wie gefährlich das Drehen an der Steuerschraube für eine Partei sein kann, zeigte sich 1983: Bruno Kreisky war mit der Idee einer 20-prozentigen Zinsertragssteuer für Sparbücher in den Wahlkampf gegangen – und verlor die absolute Mehrheit. Sein Nachfolger im Kanzleramt, Alfred Sinowatz, führte die sogenannte ZEST in der Koalition mit der FPÖ trotzdem ein.

Soweit bisher bekannt wurde, liegen die Konzepte von SPÖ und ÖVP weit auseinander: Die SPÖ will Vermögen ab einer Million Euro besteuern und zudem die Erbschafts- und Schenkungssteuer ab Vermögen von einer Million Euro einführen, die auch für Stiftungen gelten soll. In diesen Privatstiftungen liegen rund 100 Milliarden Euro. All diese Millionärssteuern zusammengerechnet könnten zwei Milliarden Euro pro Jahr bringen, rechnet die SPÖ vor. Auf der anderen Seite sollen höhere Negativsteuern jenen Kleinverdienern helfen, die keine Einkommenssteuern bezahlen.
Für die ÖVP lehnte Finanzminister Hans Jörg Schelling Negativsteuern bereits „aus voller Überzeugung“ ab. Zwischen dem Finanzministerium in der Johannesgasse und dem Wirtschaftsministerium am Wiener Stubenring herrscht dieser Tage reger Austausch. Nach dem Feiertag am 8. Dezember will Vizekanzler Reinhold Mitterlehner das Steuerreformkonzept der ÖVP präsentieren. Am Wochenende davor versammelt der ÖVP-Chef seine Landes- und Bündeobleute, um das Papier der Expertenkommission zu besprechen und die Linie festzulegen.

„Wie sich das ausgehen soll, weiß niemand“
An Ideen zur Entlastung herrscht auch in der ÖVP kein Mangel. Der ÖAAB propagiert in Anlehnung an die Gewerkschaft vor allem eine Senkung der Lohnsteuer der Arbeitnehmer. Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner deponierte bereits die Forderung, die Beiträge der Arbeitgeber zum Familienlastenausgleichsfonds zu senken, was der Wirtschaft 500 Millionen Euro pro Jahr sparen würde. Und weil die ÖVP die selbst ernannte Familienpartei ist, wird Mitterlehner wohl auch in diesem Bereich vorweihnachtliche Wünsche an den Koalitionspartner formulieren, etwa durch neue Steuerfreibeträge für Kinder. Für die untersten Einkommen sollen die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden – schließlich will man sich vom Image der Millionärsversteherpartei lösen.

Als Gegenfinanzierung der Fünf-Milliarden-Euro-Entlastung werden ÖVP-intern Pläne zur Erhöhung der Mehrwertsteuer gewälzt. Betreffen soll das aber nur Bereiche, die nicht lebensnotwendig sind, wie Konzertkarten und Hotelnächtigungen. Dafür könnte der Steuersatz auf Lebensmittel generell auf sieben Prozent gesenkt werden. In ÖAAB-Kreisen wird auch über höhere Einnahmen aus der Grundsteuer B (Häuser, Firmengrundstücke) nachgedacht. Gegen eine weitere Ausweitung der Grundsteuer A (land- und forstwirtschaftliches Vermögen) würden wohl die Bauern revoltieren.

Ausfinanziert ist die geplante Reform aber längst nicht, und die sich abzeichnende Rezession macht das Vorhaben nicht einfacher. Ein hochrangiger Koalitionär: „Wir werden noch mehr Arbeitslose haben und noch weniger budgetären Spielraum. Wie sich das ausgehen soll, weiß niemand.“ Schon jetzt läuft Österreich Gefahr, im Jahr 2015 mit seinem Budgetdefizit gegen den Euro-Stabilitätspakt zu verstoßen. Rügen der EU-Kommission liegen bereits schriftlich vor, die Nachbesserungen, die Finanzminister Michael Spindelegger (im vergangenen Mai) und sein Nachfolger Hans Jörg Schelling (Ende Oktober) versprochen haben, existieren bisher nur auf dem Papier.

Experten sind sich einig, dass man allein durch die Streichung diverser Steuerausnahmen viel Geld einsparen könnte. Doch dafür fehlte bisher der Tatendrang. Bei jeder Reform kamen sogar ein paar neue Extras dazu. Und dass die Bundesländer von allfälligen Sparmaßnahmen nicht betroffen sein werden, ist seit vergangener Woche amtlich. Da wurde der aus dem Jahr 2007 stammende Finanzausgleich einfach um weitere zwei Jahre verlängert.

Der Grund liegt auf der Hand: Kommendes Jahr wird in vier Bundesländern gewählt. Das ist ein schlechter Zeitpunkt für Knatsch mit den Landeshauptleuten. Wenigstens in diesem Punkt sind sich Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner absolut einig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin