„Es gab auch Täter unter uns“

Burschenschaften: Akademische Corps als Gäste in der Israelitischen Kultusgemeinde

Burschenschaften. Akademische Corps als Gäste in der Israelitischen Kultusgemeinde

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Eine eigenartige Premiere geht dieser Tage im Gemeindezentrum der Wiener Juden über die Bühne. Mehr als 100 Gäste aus dem Lager der schlagenden Verbindungen werden erwartet: Alte Herren und aktive Corpsstudenten, die meisten von ihnen mit Narben im Gesicht – „Schmiss-Germanen“, wie der Schriftsteller Stefan Zweig sie einst spöttisch nannte.
Es ist keineswegs ausgemacht, ob dieses Ereignis auf eine Imagepolitur oder eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hinausläuft. Der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde, Raimund Fastenbauer, der seinerseits schon einmal von den Korporierten zu einer Diskussion auf eine Bude eingeladen worden war, hat sich entschieden, den honorigen Alten Herren zu glauben und ihre Bemühungen, sich von deutschnationalen und rechtsextremen Burschenschaften zu distanzieren, ernst zu nehmen.

„Dummheiten bei Fackellicht“
Es ist kein neues Phänomen, dass Angehörige schlagender Verbindungen versuchen, Juden für sich zu vereinnahmen. Ebenso ärgerlich wie unanständig waren in der Vergangenheit die zahlreichen Versuche von Burschenschaften, mit jüdischen Mitgliedern von anno dazumal anzugeben; immer wieder mussten Heinrich Heine, Theodor Herzl, Karl Marx oder Victor Adler dafür herhalten. Doch Herzl, der Gründervater des Zionismus, war aus seiner Burschenschaft ausgetreten, weil er die antijüdische Hetze nicht ertragen konnte. Auch Heine musste gehen: Der Dichter hatte schon 1840 vor den „Dummheiten bei Fackellicht“ gewarnt, vor dem „Teutomanismus“, dem nichts anderes einfalle, „als auf der Wartburg Bücher zu verbrennen“ – neben jüdischen Schriften übrigens auch den französischen Code civil, die Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches. Die meisten Korporationen hatten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Juden für nicht satisfaktionsfähig erklärt, später dann einen Arier-Paragrafen eingeführt, sich am Ende dem NS-Regime an den Hals geworfen und nach 1945 die Verbrechen, die im Rassenwahn geschehen waren, kleingeredet und als „Missbrauch von Idealen“ verbucht.

Die deutsch-jüdische Symbiose hatte nicht einmal ein Jahrhundert lang gewährt. Die Beziehung zum Deutschtum, zu seiner Sprache und Kultur war die große Liebesgeschichte der Juden in Europa. Als das deutsche und das österreichische Volk beschlossen, sich endgültig von den Juden zu trennen, brannten die Öfen.

„Entgegen aller korporierten Legenden war der Antisemitismus von Anfang an fixer Bestandteil burschenschaftlichen Lebens“, sagt Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.
Bisher galt die waffentragende Studentenschaft – Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften – als mehr oder weniger rechtsextremer Block. Archaisch anmutende Saufrituale, der Kult um den Männerkörper, der die Zeichen des Kampfes, den Schmiss, ein Leben lang vorführt, die Selbstüberwindung zur Pflichtmensur sind ihnen gemein.

Was treibt nun ausgerechnet die Corps, sich von Burschenschaften zu distanzieren? Und warum haben sie es nicht schon längst getan?
In den Corps sammelten sich einst die Söhne reicher Industriellen-und Kaufmannsfamilien. Man ging zu einem Corps, weil schon Großvater und Vater dort eine Heimat gefunden hatten. Die Rebellion der Söhne bestand höchstens darin, ein anderes Corps zu erwählen. Hier war die deutsche Elite vertreten, was man noch heute an ihren prachtvollen Verbindungshäusern in vielen Städten sieht. In den Burschenschaften dagegen drängte sich das aufstrebende Kleinbürgertum. Sie agierten politischer und radikaler in jeder Hinsicht. Ihre aggressiv deutschnationalen und wüst antisemitischen Stoßtrupps waren vor allem in Österreich zu Hause.

„Es gab auch Täter unter uns, das muss einmal gesagt werden“
So brach der Konflikt zwischen Rechten und Liberalen zuerst auch in Deutschland auf, schon vor drei Jahren. 2011 war ein Deutscher mit vietnamesischen Wurzeln in eine Burschenschaft aufgenommen worden. Daran hatte sich im Dachverband der Burschenschaften eine Diskussion um die Einführung eines „Arier-Nachweises“ entzündet. Die Österreicher, allen voran die Burschenschaft „Olympia“, befürworteten das Kriterium der „deutschen Abstammung“. In der „Aula“, dem freiheitlichen Akademikerblatt, wurde damals die Frage erörtert, wie man noch „glaubwürdig gegen Umvolkung auftreten könne“ mit einem „Pigmentierten“ in den eigenen Reihen. Der „Arier-Paragraf“ wurde nicht beschlossen, doch allein das Ansinnen war manchen zu viel. Dutzende Burschenschaften traten aus dem Dachverband aus, die Österreicher blieben.

Für den deutschen Präsidenten des Altherrenverbands der Corps, Alexander Hartung, war dies der Anlass, die Corps zu einer Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit aufzufordern. „Es gab auch Täter unter uns, das muss einmal gesagt werden“, so Hartung.

Der Unternehmensberater ist ein Paradebeispiel für geschliffenes Benehmen und das elitäre Selbstverständnis eines Korporierten, dessen Großvater schon ein Corpsstudent gewesen war und dessen Söhne es wieder sind. Stolz zeigt Hartung ein Handy-Foto seines Sohnes bei der ersten Mensur. Hartung verhehlt nicht, wie ihn die rassistischen Ausfälle des zurückgetretenen EU-Mandatars und Alten Herren des Corps Vandalia, Andreas Mölzer (die EU als „Negerkonglomerat“), anwidern. Doch er möchte sich zum Verhalten eines anderen Corps nicht äußern. „Corps sind nicht politisch. Über ein Fehlverhalten ihrer Mitglieder entscheiden sie autonom. Corps vertreten das Toleranzprinzip. Corpsstudenten gehen nicht auf eine Parteiveranstaltung mit Band und Mütze. Die Toleranz endet, wo jemand den Boden der Verfassung verlässt“, sagt Hartung.

Auch in Österreich gab es einen „Arier-Paragraf“-Vorfall – natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Er trug sich im Ballausschuss für den WKR-Ball in der Hofburg zu. Das Corps Hellas hatte für die Eröffnung der Tanzveranstaltung einen Österreicher türkischer Abstammung nominiert, was die rechte Mehrheit im Ballkomitee nicht goutierte. „Hellas“ trat daraufhin aus dem Wiener Korporationsring (WKR) aus.

Das in Wien beheimatete „Corps Symposion“ hat sich bereits vor 25 Jahren aus dem WKR verabschiedet. Damals hatte die „Olympia“ den Vorsitz eingenommen. Wie der Name nahelegt, war „Symposion“ als geselliges Trinkgelage mit einem gewissen intellektuellen Anspruch im 19. Jahrhundert gegründet worden. Ein erheblicher Teil seiner Gründungsmitglieder waren Juden. Dem herrschenden Antisemitismus hatte das Corps nicht in dem Maße nachgegeben wie andere. Allerdings hatte auch „Symposion“ ehemals glühende Nationalsozialisten in ihren Reihen, etwa den mittlerweile verstorbenen Rektor der Grazer Universität, Friedrich Hausmann.

Der amtierende Vorsitzende des „Corps Symposion“ ist Karl Heinrich (Foto), ein Schönheitschirurg, der mit verschmitztem Lächeln sagt, er habe „glücklicherweise keine Mensurnarbe, die man sieht“. – „Wie ich mich fühle, wenn die schlagenden Verbindungen dauernd als antisemische politische Verbindungen durch die Medien geistern? Gar nicht gut“, erklärt Heinrich. Doch auch er verfällt sofort in das Lob des unpolitischen Corps. Zu Mölzer & Co stehe es ihm „nicht zu, etwas zu sagen“.

Liberale Speerspitze unter den Korporierten
Vor zwei Jahren hatte das „Corps Symposion“ Verbindungsbrüder aus der Steiermark in ihr Lokal eingeladen. Man focht und veranstaltete hinterher eine Kneipe. Dabei kam es zu einem antisemitischen Zwischenfall. Ein junger Fuchs eines befreundeten Corps aus der Steiermark begann zu pöbeln und beschimpfte einen der Anwesenden als „Saujud“. Der damalige Vorsitzende von „Corps Symposion“ sagte daraufhin, bei ihnen seien „sogenannte Saujuden sehr willkommen“, und er bitte die Gäste, das Haus zu verlassen – die Kneipe sei beendet. Eine solche Replik sei auch heute noch nicht in jedem Corps mehrheitsfähig, meint ein Alter Herr, der damals anwesend war.

Das „Corps Symposion“ und ihr Vorsitzender Karl Heinrich sind heute die liberale Speerspitze unter den Korporierten, die sich ihrer Vergangenheit stellen. Mit dabei sind naturgemäß auch die „Ottonen“, eine monarchistische oder, wie es exakt heißt, legitimistische schlagende Verbindung, die nach Otto Habsburg benannt ist und sich erst 2009 neu gegründet hat. Bei den Ottonen waren Juden immer willkommen, denn unter dem Kaiser ging es den Juden gut. Die „Ottonen“ wechselten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 in den Widerstand. Ihr ehemaliger Vorsitzender wurde in einem Konzentrationslager ermordet, ein anderer starb unter der Guillotine im Wiener Landesgericht. Derzeit steht der Arzt Kambis Atefie, ein Österreicher mit iranischen Wurzeln, den Ottonen vor. „Die Ottonen sind für ihre Haltung in den Tod gegangen. Die Pflichtmensur hat bei uns auch den Aspekt, dass man unmöglich Ottone sein kann, ohne auch physisch etwas zu riskieren.“

Corps, die Widerstandskämpfer in ihren Reihen haben, tun sich in der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit naturgemäß leichter. Doch gemeinsam ist ihnen allen das Toleranzprinzip, das sie davor zurückscheuen lässt, antisemitische und rassistische Aussagen von Verbindungsbrüdern öffentlich anzuprangern. Das ewige Mantra, jedes Corps sei autonom und jeder dürfe „politisch nach seiner Façon glücklich werden“ (Karl Heinrich), lässt einen unbefriedigt zurück.

In der IKG ist die Initative ihres Generalsekretärs nicht unumstritten. Fastenbauer hält es dennoch für richtig, unter den Korporierten zu differenzieren, „weil sonst manche Gruppen zu falscher Solidarität gedrängt werden“. Aber auch er hat das Problem, dass die Corps in ihrer Liberalität alles zulassen. „Antisemitismus oder Rassismus sind keine Meinungen, über die man diskutieren kann, sondern ein Verbrechen. Da erwarte ich mir schon eine öffentliche Reaktion.“

Bild: Michael Rausch-Schott für profil

Christa   Zöchling

Christa Zöchling