Commerzialbank-Skandal: Das letzte Hemd von Schwarzenbach

Der kleine Ort Schwarzenbach hat coronabedingt seine wichtigste Haupteinnahmequelle verloren. Jetzt sind auch noch alle Ersparnisse verschwunden, quasi durch den burgenländischen Hinterausgang.

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Von Johanna Brodträger

An der Grenze zum Burgenland im südlichen Niederösterreich, inmitten goldfarbener Getreidefelder, weiter Wiesen und grüner Wälder. Die Straßen sind schmal und kurvig, aber breit genug, um einen Traktor zu überholen. Von hier führen neun Serpentinen bergab. Unten im Schatten der Buckligen Welt, des Rosaliengebirges und der Landseer Berge: die Ortseinfahrt. Die Hauptstraße führt zuerst vorbei an Einfamilienhäusern, dann kommt das erste Wirtshaus, wieder Einfamilienhäuser, der Fußballplatz, gegenüber liegt das zweite Gasthaus. Ein paar hundert Meter weiter lässt sich ein Ortskern erkennen: Raiffeisenbank, Volksschule, der nächste Wirt und das Gemeindeamt. Alles beieinander. An diesem Freitagvormittag ist es unaufgeregt still in der 950-Einwohner-Gemeinde. Trotzdem passiert hier gerade Außergewöhnliches.

Schwarzenbach hat nämlich alles verloren. Als am 15. Juli die Malversationen des Martin Pucher, Chef der Mattersburger Commerzialbank, aufgeflogen sind, haben sich Schwarzenbachs Rücklagen in einer Höhe von 435.000 Euro vorerst aufgelöst. Pucher, dessen Mutter, so heißt es, übrigens auch aus Schwarzenbach stammt, habe die Bilanzen der Bank über Jahre hin heftig verfälscht: Ein Drittel, ja fast die Hälfte der Bilanzsumme, die zuletzt 800 Millionen Euro betrug, sei frei erfunden. Betroffen sind neben vielen Privatpersonen und Unternehmen auch zahlreiche burgenländische Gemeinden, die ein Gros ihres Budgets bei der Kleinbank angelegt haben und nun hohe Verluste fürchten. Und dann ist da auch noch die niederösterreichische Gemeinde Schwarzenbach.

Die nächstgelegenen größeren Städte, Wiener Neustadt und Eisenstadt, erreicht man von Schwarzenbach in ungefähr 30 Minuten. Zur Commerzialbank in Mattersburg sind keine 20 Minuten. Dass ausgerechnet diese Bank eine Strahlkraft bis in die tief gelegenen Ort haben wird, war ein unglücklicher und vielleicht gar nicht so zufälliger Zufall.

Die Gänge des Gemeindeamts in Schwarzenbach sind leer. Drinnen wartet Bernd Rehberger. An einem kleinen Tisch im Vorzimmer sitzen zwei kleine Mädchen und malen: Es sind die beiden Töchter des Bürgermeisters. Der junge Mann in rotem Hemd wirkt gefasst, er macht Kaffee und beginnt zu erzählen.

Rehberger ist seit Jänner 2019 Bürgermeister der Ortschaft, kein gewöhnlicher: Für sein Amt ist er relativ jung. Er ist 1984 geboren – im selben Jahr als sein Vorgänger zum ersten Mal zum Bürgermeister gewählt wurde. Und - inmitten der türkisen, dort eher noch tiefschwarzen Buckligen Welt - ist er ein Roter. Bei den Gemeinderatswahlen 2020 gewann er mit etwa 77 Prozent der Stimmen zu seinen 14 Mandaten ein weiteres dazu, bei einer Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent. Nach zwei Jahren Amtszeit steckt er mit beiden Beinen tief in der Krise - und wirkt trotzdem relativ gelassen.

Tiefschlag für kommunale Projekte
Schon das Coronavirus traf Schwarzenbach hart, obwohl es nur einen einzigen Infektionsfall gab. Die Haupteinnahmequelle des Dorfs, das dreitägige Keltenfest, das seit 1998 jährlich gefeiert wird, fiel weg. Um die Verluste zu kompensieren, hätte die Gemeinde Anspruch auf einen winzigen, für die Gemeinde aber lebensnotwendigen Bruchteil der Corona-Milliarde für kommunale Projekte. Jetzt kommt aber noch der Tiefschlag aus Mattersburg. Schwarzenbach kann sich vielleicht nicht einmal mehr den Selbstbehalt finanzieren, um diese Förderungen zu erhalten.

 

Das Loch, das der coronabedingte Ausfall des heurigen Keltenfests ins Gemeindebudget gerissen hat, verzwanzigfacht sich plötzlich. Die in der Commerzialbank versunkenen Rücklagen der Gemeinde von 435.000 Euro - das waren die Überbleibseln der Einnahmen aus dem Keltenfesten der letzten 20 Jahre.

Dieses Geld hat die Gemeinde auf drei Sparbüchern seit 2017 in Mattersburg angelegt gehabt. Der Transfer des Geldes zur Commerzialbank wurde damals unter dem ehemaligen Bürgermeister Johann Giefing in die Wege geleitet. Warum zur Commerzialbank? Laut Giefing ist die Antwort simpel: Die versprochenen Zinsen waren achtmal so hoch wie anderswo. Natürlich war es auch geografisch naheliegend - und vielleicht auch ein bisschen dem stets guten Rufe Martin Puchers zu verdanken. Giefing, der Pucher von Gesprächen auf der Tribüne am Fußballplatz kennt, hat diesen immer als „Ehrenmann“ geachtet, erzählt er im Gespräch mit profil.

Nun ist der Altbürgermeister auch persönlich betroffen. Wie viel Geld er genau verloren hat, sagt er nicht.  Es ist jedenfalls genug, um ihm schlaflose Nächte zu bereiten: „Ich habe seit 40 Jahren meine Ersparnisse dort angelegt“, erklärt Giefing.  Von den Ermittlungen, die bereits 2015/16 gegen Pucher wegen Untreue liefen, wie profil letzte Woche berichtete, wusste er nichts.

Jetzt bangt die Gemeinde um die Wasserversorgung, dessen Steuerzentrale dringend erneuert werden muss, um ein lang versprochenes Feuerwehrauto und um den Zubau eines Multifunktionsraums beim örtlichen Aussichtsturm, der regionalen Firmen - es sind 50 Gewerbetreibende angesiedelt - als Seminarraum auf Höhe der Baumkronen dienen könnte.

Im Osten der Gemeinde, einige Serpentinen bergauf. Auf einem kleinen Parkplatz stehen etwa zehn Autos. Von hier aus geht es zu Fuß weiter auf den Schwarzenbacher Burgberg, wo sich neben dem Turm ein Freilichtmuseum, das von der Gemeinde betriebene Turmcafé und ein großes Tiergehege befinden. Rehberger füttert selbst jeden Morgen die Tiere und wischt anschließend die Tische im Café.

Das, was bleibt
Es sei die einzige Chance für Schwarzenbach, so Rehberger, dessen Unterarm ein Tattoo des Gemeindewappens und der Schriftzug „Keltengemeinde Schwarzenbach“ ziert, jetzt vermehrt auf Tourismus und vor allem auf Tagesausflügler aus Wien und Umgebung zu setzen. Der Berg ist symbolisch für den Aufschwung der geografisch eher suboptimal positionierten Gemeinde und maßgeblich für die Zukunft Schwarzenbachs. Dieser ist eigentlich den Kelten zu verdanken, die sich hier vor mehr als zweitausend Jahren angesiedelt haben und der Gemeinde aus ihrer verhängnisvollen Gewöhnlichkeit verhalfen. Wegen der keltischen Vergangenheit strömen seit 20 Jahren jeden Juni zur Sonnenwende tausende Menschen auf den Berg zum Fest. Das ist freilich nur deshalb ein so großer Erfolg, weil 300 Gemeindebürgerinnen und -bürger, fast ein Drittel, ehrenamtlich mithelfen.

Genau aus diesem Grund möchte der SPÖ-Bürgermeister auch etwas zurückgeben an die Dorfgemeinschaft. Zum Beispiel in Form eines neuen Hilfeleistungsfahrzeugs für die örtliche Feuerwehr. Kommandant Manfred Oberger hatte bereits Anfang Juli eine Zusage des Landes Niederösterreichs für Förderungen über 170.000 Euro. Dann kam der Bankenskandal und damit die Ungewissheit, ob sich die Gemeinde den Rest des Anschaffungspreises überhaupt leisten kann.

Auch Bürgermeister Rehberger bereitet der Commerzialbankskandal Schlafprobleme: „Ich habe kurzfristig nicht gewusst, wie ich jetzt weitertun soll.“ Der Jungpolitiker hat dann aber schnell entschieden, dass auch die Bevölkerung Schwarzenbachs Bescheid wissen muss. Er erklärte die Lage per Video und stellt es auf Whatsapp. So erreicht Rehberger fast jeden Haushalt in der Gemeinde. „Da hat man mir die Verzweiflung noch stark angesehen“, sagt er.

Rehberger hofft nun auf die Unterstützung des Landes Niederösterreich. Er ist sich noch nicht sicher, ob er sich der Sammelklage der burgenländischen Gemeinden gegen die Pucher-Bank anschließen oder einen Alleingang wagen will.
Als Gemeinde bliebe nur die Option direkt bei potenziellen dritten Haftpflichtigen anzuklopfen. In diesem Fall wäre das der Wirtschaftsprüfer TPA oder die Finanzmarktaufsicht selbst, die nur über die Republik Österreich klagbar ist: Hätten die Behörden bei den ersten Ermittlungen gegen die Commerzialbank in den Jahren 2015/16 nicht versagt, hätte Schwarzenbach nie Geld dort angelegt. Dann wären die Sanierung der Wasserversorgung bereits aus den Rücklagen bezahlt, das Feuerwehrauto vermutlich bestellt und die Bauarbeiten am Aussichtsturm bald im Gange. Manchmal kommt aber eben alles anders.

Am Weg retour vom Aussichtsturm zum Parkplatz tut sich ein idyllisches Panorama auf. Ein älteres Paar in Wandermontur sitzt vergnügt auf einer Bank und schaut zwei Ziegen beim Rangeln zu. Von hier oben wirkt Schwarzenbach gar nicht so verloren.