TikTok

Was machen ein Polizist und ein Tschetschene gemeinsam auf TikTok?

Der 23-jährige Tschetschene Ahmad fragt den Polizisten Uwe alles, was jugendliche Randgruppen interessiert. Diese "Cop & Che"-Videos sind auf TikTok ein Renner, sie wurden 1,5 Millionen Mal angesehen. Warum schlagen sie so ein?

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Es war eines dieser Treffen, bei denen hohe Polizeibeamte und Respektspersonen aus der tschetschenischen Community über Jugendliche reden, die in Parks herumhängen und Probleme machen, während jene, um die es geht, daneben sitzen. Ahmad, 23, hörte sich das Gerede eine Weile an und lachte laut auf, als jemand vorschlug, Polizisten und Tschetschenen sollten gegeneinander Schach spielen, anschließend könnte man davon Videos auf Facebook posten. Ein Polizeioberst drehte sich zu ihm um: "Möchtest du etwas sagen?"

Es war ein magischer Moment. So erzählen es jene, die bei der Zusammenkunft vor einigen Monaten im Amtshaus Wien-Brigittenau dabei waren. Und so erinnert sich auch Ahmad selbst. Als hätte der 23-Jährige auf ein Stichwort gewartet, packte er aus: Was für ein "geiles Leben" Polizisten doch hätten, denn anders als in Frankreich oder Deutschland gäbe es in Österreich gar keine richtigen Gangs. "Das glaubst auch nur du", schnappte ein Grätzelbeamter zurück. Ahmad ließ sich nicht stoppen: "Genau! Weil ich aus der Szene bin und ganz genau weiß, wo es langgeht, was Jugendlichen gefällt und was nicht."

Danach scharten sich die Gleichaltrigen um ihn: "Danke, Bruder! Danke!", und die Älteren, noch etwas verdutzt, klopften dem Burschen, der ihnen vor all den Polizisten, Magistratsbeamten und Bezirksvertretern widersprochen hatte, auf die Schultern: "Du hast sehr gut geredet."

Inzwischen kennen den 23-jährigen Tschetschenen und den Grätzelpolizisten aus dem 20. Wiener Gemeindebezirk Hunderttausende Jugendliche als TikTok-Duo "Cop& Che".Der Polizist und der Tschetschene. Uwe und Ahmad. Sagenhafte 1,5 Millionen Mal wurden-Stand: vergangene Woche-ihre Videos angeklickt. Es geht darin um Gewalt, Kriminalität, schlechte Erfahrungen mit staatlichen Institutionen und so ziemlich alles, was Jugendliche immer schon von der Polizei wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Auf beiden Seiten sitzt das Misstrauen tief. Für Jugendliche, die im Ruf stehen, schwierig zu sein, sind Polizisten ein Feindbild. Und umgekehrt. Auf Ahmads TikTok-Kanal "Cop& Che" aber hinterlassen sie Likes (bis dato: über 70.000). Hunderte posten Kommentare und Fragen an Uwe, den Polizeibeamten. Warum funktioniert das?

"Hallo, ich bin der Uwe!" So stellt sich der Polizist in Uniform vor. Es folgt ein fester Händedruck. profil traf den Grätzelbeamten und seinen TikTok-Konterpart Ahmad in einem Café im 20. Wiener Gemeindebezirk. Hier werden üblicherweise ihre Videos vorbesprochen. Was ist aktuell? Was kann warten? Uwes Dienststelle liegt um die Ecke. Schnell offenbart sich eines der Erfolgsgeheimnisse von "Cop& Che".Keiner verstellt sich. Der Polizist ist auf TikTok nicht anders als in seinem Stammlokal. Freundlich, ein bisschen steif, stets sachlich, wenn es um seine berufliche Rolle geht. Und auch Ahmad ist-hier wie dort-Ahmad. Das bescheinigen ihm sogar seine schärfsten Beobachter. Die ersten Kommentare trieften noch vor Argwohn. "Ne is doch alles nur Gespielt Save." Oder: "Die wollen nur Informationen von dir." "Kein einziger Bulle ist vertrauenswürdig."

Mittlerweile ist nicht nur Ahmad, sondern auch der Grätzelpolizist auf dem Weg zum TikTok-Star. "Wie trocken dieser Uwe ist. Ich liebe seine Art",ist neuerdings zu lesen. Oder auch: "Toller Mann!" "Top-Polizist". "Wenn es nur mehr von ihm gäbe." Der Verdacht, dass die Anliegen der Poster zensuriert werden, scheint ausgeräumt. So lautete der Deal am Start von "Cop &Che": Alles darf zur Sprache kommen. Kritik wird nicht gefiltert. Darin liegt, wie sich nun zeigt, sowohl das Wagnis dieses Formats für die Polizei als auch die Attraktion für jugendliche Randgruppen. Die Fragen entspringen ihrer Lebenswelt. Egal wie blöd oder provokant sie daherkommen, sie sind-total echt. Das vor allem zählt.

"frag ihn bitte ab wann man meier geht mit cannabis", schreibt "Alex". Das dazugehörige Video, in dem Ahmad diese Frage stellt und Uwe darauf antwortet, wird 92.400 Mal geklickt. Das meistgesehene Video ist aber immer noch die kurz vor Silvester von "Tyson" gepostete Frage: "Sind Böller dieses Jahr erlaubt?" Es kommt auf ganze 385.400 Views. Auch "user997748847" trifft einen Nerv. Er postet: "Ist meine Strafe noch höher, wenn ich vor Polizei weglaufe? "Die Antwort interessiert 195.100 Mal. Fast 70.000 Klicks erhält "sind sie muslim herr kommissar?".Und auch die Frage von "710 Döcki": "Wie ist Ihre persönliche Meinung zu Moped tuning?" oder jene von "Cimi kss" - "Darf man als Albaner manchmal Serben schlagen"-wird zum Renner (45.900 bzw. 41.000 Klicks).So geht es weiter: "Wie lange bleibt man ihn knast wenn man ein Überfall macht mit 15!" (37.100 Views); "Warum kontrolliert ihr immer die Jugendlichen?" (32.200 Views); "Was kann ich machen das die Polizei Respekt hat und nicht immer denkt sie wären die größten" (20.000).

Die in der Millennium City in Wien aufgezeichneten Gespräche haben ihre launigen, ernsten und frechen Passagen. Der Ton aber bleibt respektvoll. Auch das wird von Usern wohlwollend registriert. Wie aber geht es der Polizei mit dem unverhofften TikTok-Erfolg? Grätzelbeamter Uwe ist im Rahmen der Initiative "Gemeinsam. Sicher" auch dafür zuständig, die Jugendlichen in seinem Rayon in Wien-Brigittenau "darüber aufzuklären, was sie dürfen und was nicht". Auf welchem Kanal, sei ihm egal, wenn er nur überhaupt noch an sie herankomme, sagt er. Als Ahmad bei der Zusammenkunft im Amtshaus erklärt habe: "Vergesst Facebook! Wer Jugendliche erreichen will, kommt an TikTok nicht vorbei", habe ihn das sofort angesprochen.

Bei seinen Vorgesetzten hielt sich das Interesse zunächst in Grenzen. Im Sommer des Vorjahres starteten Uwe und Ahmad einen Versuchsballon. Damals noch ohne Wissen der Polizeidirektion. Sie luden ein erstes, im Innenhof eines Gemeindebaus gedrehtes Video hoch. Und obwohl darauf nicht viel zu sehen war-"Cop" und "Che" treffen aufeinander und wechseln ein paar Worte-,schlug es sofort ein. Bis heute wurde der Clip über 70.000 Mal angeschaut. Für das zweite Video gab es grünes Licht von den Entscheidungsträgern. Wirklich ernst genommen wurde das TikTok-Projekt von ihnen noch nicht. "Dass wir damit einen Zugang zu einer Gruppe schaffen, an die wir sonst nur schwer herankommen, ist erst allmählich gesickert",räumt Dominik Grabner ein, Social-Media-Manager der Wiener Polizei, und auch, dass manche der "Cop& Che"-Videos aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit eher "wehtun".

Genau das ist freilich der Schlüssel. Zumindest wenn es nach Fabian Reicher, Jugendsozialarbeiter der Beratungsstelle Extremismus/bOJA geht. Er begleitete Ahmads "Cop& Che"-Projekt von Anfang an (siehe Kasten). "Wenn man sich auf den anderen einlässt, tut das weh, weil man die Kontrolle verliert. Aber nur so funktioniert es", sagt er. Bewegen mussten sich dafür alle Seiten: Die Verantwortlichen in der Polizei und Grätzelpolizist Uwe, der sich von Kollegen, die bei ihren Einsätzen kaum einen wohlerzogenen Tschetschenen treffen, mitunter fragen lassen muss: "Was? Du arbeitest mit so jemandem zusammen?"-sowie Ahmad, der als Jugendlicher nach eigenem Bekunden "nie an einen Polizisten oder eine Polizistin geraten ist, "denen ich sagen konnte, was ich denke, ohne direkt Handschellen oder eine Strafe zu bekommen". Und heute?

Wenn Ahmad in Wien unterwegs ist, wird er "gefühlt vier bis fünf Mal am Tag" von Jugendlichen angesprochen, die ein Selfie mit ihrem TikTok-Role-Model machen wollen. Fallweise passiert das auch "Cop" Uwe. Und das ist für einen Polizisten doch eher ungewöhnlich.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges