Franz Küberl

Corona: Lockdown-Tagebuch von Franz Küberl, Teil 3

Ex-Caritas-Präsident Franz Küberl führte während der Corona-Krise Tagebuch. profil veröffentlicht Auszüge daraus. Teil 3.

Drucken

Schriftgröße

Einträge vom 11.4.2020

*)Zweimal im Jahr bringe ich einigen befreundeten Familien frisches Gebäck aus der Bäckerei zu ihrer Haustüre. Auch heute, am Karsamstag. Allerdings: daheim Maske auf, zur Bäckerei, dann Bestellung von 7 „Gebäck-Abteilungen“. Verständlich, trotz Schutzmaske in logischerweise etwas lärmiger Umgebung sich verständlich machen sollend. Denn die einzelnen Bestellungen sollen ja richtig verstanden werden…Fahrt zu den Freunden, normalerweise rede ich mit ihnen, setze mich kurz in die Küche, trinke vielleicht auch einen Espresso. Heute, schutzmaskenbewehrt, bloß stummes vor die Tür stellen. Später Kommunikation über WhatsApp – immerhin. Aber es ist eben nur die halbe Miete.

Dann, um 13.10 Uhr pünktlich: ORF II einschalten, Speisensegnung. Korb mit Osterspeisen ist gerichtet, Blick auf DB Dr. Krautwaschl, Händefalten vor dem Fernseher ist zu ungewohnt. Fernsehen tut man mit den Augen, nicht mit den Händen. O tempora o mores. Natürlich, als getaufter Katholik habe ich die Kompetenz, die Speisen selbst zu segnen. Das gilt auch.

Aber der spirituell – kulturelle Akt der Speisensegnung ist eben ein Gemeinschaftsakt, auch die gemeinsam ausgedrückte Denke, dass nicht alles bloß durch unserer eigenen Hände Arbeit entsteht, sondern durch die Arbeit vieler Menschen. Und, dass das Wachstum – heute durch chemische Zutaten zwar beschleunigt – Teil des Schöpfungsgeheimnisses bleibt.

Einträge vom 12.4.2020

* Stefan Cornelius hat in der Osterausgabe der SZ gemeint, dass Corona wie ein „Wachstumsbeschleuniger für gute und schlechte Eigenschaften eines Staates“ wirke. Als Gegensätze benennt er einerseits funktionierende Bürokratien mit gut finanzierten Gesundheitssystemen, auf den Rat von Fachleuten hört, der Staat als Dienstleister seiner Bürger Vertrauen genießt. Beispielhaft, aufgeklärt und wissenschaftlich fundiert. Das Gegenteil davon seien Staaten, in denen sich institutionelles Chaos, politisches Missmanagement, Behördenrivalität, Inkompetenz, Wankelmütigkeit, mit Ignoranz gepaart, wie auch radikale Sparpolitik als systemgefährdend herausstellen können. Dazu könnten Probleme mit autokratischen und populistischen Typen an der Spitze, die die Probleme verschärften, kommen. (Trump: sich um Kopf und Kragen redend, harsch und autoritär (Xi Jinping) Sündenböcke suchend (Putin). Es gehe auch um den Unterschied von zentralistisch geführten Staaten mit großer Machtfülle an der Spitze – versus „Schwarmintelligenz föderaler Strukturen, die bessere Ergebnisse brächten – auch wenn der Entscheidungsprozess von außen chaotisch anmute“. (Interessant ist in diesem Zusammenhang der dieser Tage in den USA ausgebrochene Kompetenzkampf zwischen Trump und den Gouverneuren der Bundesstaaten. Also zwischen selbst definierter Allmacht und den realen verfassungsmäßigen Zuständen eines Landes…Anm fk). Durchsetzen möge sich eine „Koalition der Kompetenten“.

Die Frage, ob es nach Corona mehr oder weniger Reform der internationalen Zusammenarbeit mit dem Ziel besseren Zusammenspiels (und einer gewissen Kompetenz- und Verantwortungsneueinteilung) gehen kann, oder ob es bei stärker nationalistisch werdenden politischen Verhaltensweisen bleiben werde, ist heftig debattiert – es wird wohl erst die Zukunft weisen, welche Schlüsse gezogen werden. Die scheinbare Süße des noch stärker gewordenen Nationalismus – ein Prozess, der schon geraume Zeit quer über die Welt enorme Zuwachsraten hat- könnte noch eine Weile andauern.

Das Spannende am Nationalismus (staatsgewordene Ich-AG’s) beruht ja auf einem interessanten Prinzip: zunächst: wir machen alles selbst. Dann, wenn das nicht ausreicht: sich Ressourcen bei anderen besorgen (wenn notwendig, auch in Wildwestmanier). Hilft das alles nichts, werden andere Staaten beschuldigt, die eigenen nationalen Hilfsüberlegungen zu boykottieren, dann, wenn alles nichts hilft, entsteht der Hilferuf an andere, die helfen sollen. Helfen sie(aus nationalistischem Vorrangdenken) nicht, entsteht logischerweise Ärger, Zurücksetzungsphantasie. Denn: Wenn ich Hilfe brauche, dann müssen die anderen schon hilfsbereit agieren…

Dass es auch mit dem Helfen von Staaten untereinander dieselben Hilfsprinzipien gibt, die in der individuellen Hilfe von Menschen untereinander Regeln sein müssen, damit Hilfe klappt, wird oft übersehen. + wirksame Hilfe ist immer abhängig davon, dass der Hilfebedürftige Hilfe annehmen kann, +der Hilfesuchende muss wissen, wo der Hut brennt und welche Abhilfe notwendig wäre. +der Hilfegebende muss kommunizieren, was er an Hilfe leisten kann. Und wohl auch die Qualität der Hilfeleistungen beschreiben – im Zusammenwirken mit dem Hilfesuchenden. +wirksame Hilfe ist immer abhängig davon, dass sie politisch „bedingungsfrei“ gegeben wird. Hilfe dient nicht der Berühmung des Helfers, sondern wird in ihrer Wirksamkeit gegenüber den in Not geratenen Menschen zu messen sein. (Menschen – und wohl auch Staaten, die Hilfe benötigen, sind nicht frei. Not ist immer Unfreiheit). Daher nicht Zeitpunkt von Missionierung… +Die Hilfe im von Not betroffenen Land muss ein Grundmaß an Nachvollziehbarkeit Effektivität, Effizienz, Transparenz haben – sonst ist das Verständnis im hilfegebenden Land nicht gegeben. Es würde zum Abbruch der Hilfeleistung führen. +Hilfe hat immer einen Anfang und ein Ende. Wird man auch zwischen Helfer und dem der Hilfe braucht, abklären müssen.

Es gibt übrigens viele Beispiele von gelungener Hilfe. Vgl. Hilfe nach Naturkatastrophen, Hunger… Allerdings: keine Fehler macht nur derjenige, der noch nie geholfen hat… Und es gilt auch hier: wer rasch hilft, hilft doppelt. Und. Wer zu rasch hilft(keine Klarheit über Bedingungen, Ausmaß, Transparenz,) kann sehr schnell in die Situation kommen, den Wert der Hilfe zu halbieren. (Als kleines Beispiel kann hier die sehr rasche Hilfe der Regierung von NRW gelten, alles über elektronische Hilfsanforderung der Betroffenen, keine Kontrolle über Auseinanderhalten von notwendiger Hilfe für die Betroffenen und allfälligen kriminellen Ansuchen. Das kann Hilfe auch halbieren. Und die Reparatur kostet wertvolle Zeit)

Einträge vom 13.4.2020

*) Meine Corona „wohnhaft“- Strategie ist, dass ich einfach Corona-Sportwochen ausgerufen habe. Ganz in der Diktion der Vorgaben unserer von uns gewählten „Oberlehrer“ der Nation. Meist gehe ich mit Frau oder alleine auf den Schöckel. Seit der verfügten Ortsfestigkeit war ich 20x auf dem Berg. Beeindruckend, frei atmend, Natur erlebend, Anstrengung auf diese Weise ausübend. Möglicherweise auch gesund. Ob die physikalische Stärkung des Körpers coronaresistenter macht, wünscht man sich zwar, aber ich möchte nicht die Probe auf’s Exempel machen. Übrigens, es sind unter der Woche gar nicht viele Leute unterwegs. Und, jeder weicht jedem aus. Auch wenn man keinen Zollstab bei der Hand hat, den metrigen Abstand beherrscht man schon. Ein wenig verläuft es sich auch. Es nämlich viele unterschiedliche Wege und Steige auf den Schöckel.

* Die Diskussion um die unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugänge gewinnt an medialer Öffentlichkeit. Ein wenig macht es auch den Eindruck, dass bestimmte Wissenschaftszweige aus dem elfenbeinernen Turm in die Auseinandersetzung des Lebens geworfen sind. Weil auch Wissenschaftsausübende eitel sein können. Weil es auch bei ihnen um Anerkennung, Aufträge, Machtstellung, Egomanie, Altruismus gehen kann. Weil ihre Lehrmeinungen, Prognosen, Maßnahmenbenennungen, reale Auswirkungen auf Ökonomisches, Lebenseinstellungen, Ängste und Hoffnungen von ungemein vielen Menschen haben. Und weil das Zusammenspiel von unterschiedlichen Wissenschaftssträngen auch noch entwickelbar sein kann. Es ist ein spannender Lernprozess. Wie Prozesse dieser Art steuern, wie politisches „Rosinenpicken“ möglichst vermeiden. Welche Formen von Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind denkbar. Es gibt auch in der Wissenschaft die berühmte Unterscheidungsnotwendigkeit zwischen Herstellung und Darstellung von erforschtem Wissen. Wie Mehrheits-Minderheitsmeinungen gegenüberstellen…Da ist viel Stoff für – falls wir das hoffentlich erleben – nachkrisliche Debatten. Und Ansatzpunkt für künftige Verbesserungen.

Einträge vom 14.4.2020

+Soeben habe ich meine 50. Schöckelbegehung in diesem Jahr absolviert. Die Gewichtsprobe ergibt, dass ich seit Beginn der Corona-Sportwochen immerhin 2kg abgenommen habe. Langsam, trotz Osterschinken und einigen Tropfen sehr guten Weines. + Heute ist der Beginn des langen Marsches zur Normalisierung. Geschäfte mit einer Größe bis zu 400 m² dürfen geöffnet haben. Dazu Baumärkte. Schlangen entstehen vor den Baumärkten. Österreich ist halt doch ein Land von Heimwerkern. Und good governance äußert sich halt auch im Erspüren von Bedürfnissen der Bürger. Warum größere Geschäfte nicht offen halten dürfen, ist mir verschlossen geblieben. Denn die hätten meistens mehr Möglichkeit, die neuen Trennungslinien zwischen Menschen einzuhalten. Die Bautätigkeit – entsprechend den neuen Richtlinien wird allerorten wieder aufgenommen. An Rohbauten, an Straßensanierungen, im Baugewerbe. Die Übung möge gelingen. Der Geschäftslauf ist allerdings – außer bei den Baumärkten endenwollend. Es wird sich wohl im Laufe der Tage normalisieren. Denn, es ist auch klar, wenn Beschäftigung wieder anlaufen kann, hilft das den Menschen, die wieder arbeiten können, den Menschen, die etwas brauchen, und allen Menschen, weil ja der Staat wieder auf der Einnahmenseite wenigstens ein wenig Zuwachs erwarten kann.

+“DIE ZEIT“ bringt ein Interview mit Peter Sloterdijk. Er hält die europäische Desintegration für eine optische Täuschung. Denn die Handlungsfähigkeit der Exekutiven in Europa sei nur im Rahmen national formatierter Rechtsräume gegeben. Europa sei ein Patchwork von abgegrenzten Territorien des Rechtsvollzuges. Abe es gebe auch „Brüche“: grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, grenzüberschreitende Versorgung von Kranken. Es gebe nicht nur Überwachungsstaaten und plausiblen, strengen aber unfanatischen Strategien. Sondern auch europäische und weltweite Vernetzungen. Und, die Helfer geben ihr Äußerstes, auch ohne Tagesbefehl und Flaggenparade. Als große Fragen sieht er den Trendartikel „Sozialkybernetik“, wie auch das Einschwören der Individuen auf wechselseitigen Schutz. „Eine immunologische Risikogemeinschaft, die weltweite Solidarität verlangt, ist allen Schrecken zum Trotz denkbar“. (Erstaunlich, welche Pfade das Zusammenwachsen der Welt zu einem Dorf gehen könnte – Anm. fk) Es gebe aber auch die Sehnsucht nach einem Bild der Mitmenschen, dass dieser ein möglichst symptomfreier „spreader“ sein möge. Mit enormen Auswirkungen auf die Kommunikation untereinander. „Das Objekt (Mensch, Anm. fk) hat zu allen bestehenden Optionen, dich unglücklich zu machen, noch eine weitere dazu bekommen…

+) Ein langes Telefonat führe ich mit einem früheren Kollegen aus der Caritas. Er war damals Caritasdirektor in Bozen, wir hatten sehr guten Kontakt, den wir über die Jahre aufrecht gehalten haben. Er schickte mir Ostergrüße aus der Lombardei. Das führte zu mehreren WhatsApp. Dann redeten wir miteinander. Und er erzählte. Er ist inzwischen für die deutsche Stiftung Liebenau in Italien tätig. Sie führen eine Reihe von Altenheimen in Südtirol, eines auch in der Lombardei. Und da kam er in das Auge des Taifuns. Denn er war gerade an Ort und Stelle, als Corona ausbrach. Und erlebte in diesem Altenheim alle Dramen, die es in dieser Zeit zu erleben gab. Keine Schutzausrüstungen, überforderte Gesundheitsstrukturen, Ärzte schwer erreichbar. Angst unter den Bewohnern des Altenheimes, keine Besuche mehr, schlechte Information. 16 Personen starben. Allerdings, nachdem es keine Autopsien gibt, weiß man nicht, wie viele an Corona starben oder aufgrund anderer Krankheiten. Eine ganze Reihe von Bewohnern hatte enorme Ängste. Erst die Einrichtung einer eigenen Infektionsabteilung schaffte etwas Angstentlastung. Auch die Reaktion der Mitarbeiter war durchaus unterschiedlich. Manche engagierten sich über alle Maßen. Nicht wenige hatten Angst. Auch wegen komplexer Zustände in ihren Familien. Bei anderen – es reichte dem Arzt telefonisch den Gesundheitszustand zu erzählen – kam es zu einer Häufung von Krankenständen mit Quarantäne. Und ungeklärten Situationen. Wer hatte wirklich Probleme, gab es auch Mitarbeiter, die die irreguläre Situation dazu benützten, von den Wirrnissen der täglichen Arbeit eine quasi selbstverschriebene Auszeit zu nehmen. Es sollte sich langsam normalisieren. Allerdings: das ist auch Italien. Jetzt sind die Carabinieri zu erwarten, die den Auftrag haben, in allen Pflegeheimen zu untersuchen, welche Unterlassungen die Verantwortlichen dieser Häuser begangen haben könnten. Mein Freund ist zwar guter Hoffnung, weil er nachvollziehbar gehandelt habe. Aber ob das hält, weiß man erst nach der Untersuchung.

Auf einmal ist man selbst noch einmal ganz anders erfasst. Und bekommt eine leise Ahnung vom Auge des Taifuns, der in der Lombardei besonders gewütet hat. Aber, am Schluss unseres langen Telefonates, waren wir auch bei der Zukunft, ob und wie Normalisierung entstehen kann –hoffentlich. +Ein anderes Telefongespräch brachte eine in Österreich inzwischen verdrängte Problematik zur Sprache: die entsetzliche Situation von Kindern und Familien in den griechischen Flüchtlingslagern. Und die Frage, wie man allenfalls helfen kann. Gottseidank gibt es auch bei uns noch Menschen, die mehr als ein Problem zur selben Zeit anpacken wollen.

Eintrag vom 16.4.2020

+ Immer deutlicher wird, dass es bis zur Entwicklung von Medikamenten noch viele Monate dauern kann, bis zur Entwicklung eines breit verwendbaren Impfstoffes möglicherweise bis zu 2 Jahren. Also, Ziel staatlicher Gesundheitspolitik wird wohl die berühmte Herdenimmunität sein. Ob es gelingt, mit halbem Gas und halb angezogener Handbremse über so lange Zeit zu fahren, wird sich weisen. Geduld der Bürger und Nüchternheit gepaart mit Weisheit auf der Regierungsseite werden auf die Folter gespannt.

Einträge vom 17.4.2020

+ Die Medien erleben einen Boom. Die Einschaltquoten bei ORF-Sendungen sind enorm. Seit Wochen. Nur vergleichbar mit den Reichweiten vor dem Start des Privatfernsehens. Bei den gestrigen Sendungen des ORF ist mir wieder aufgefallen, mit welchem „Sendungsbewusstsein“ die Redakteur*innen tätig sind. Das kann man durchaus im doppelten Sinne des Wortes verstehen. Zum einen die präzise Arbeit, die man eh gewohnt ist. Und zum anderen ein Engagement in der Präsentation – einschließlich der Hinweise für die Zusehenden, Zuhörende, weil ihnen die Menschen auch persönlich ein Anliegen sind. So entsteht eine neue Dimension des „Lagerfeuers der Nation“, als das das Fernsehen in den 70iger Jahren („Straßenfeger“) bezeichnet wurde. – Vielleicht ist das auch ein Teil der aktuellen Ausformung von Zivilreligion. Moderatoren werden zu Motivatoren. Mit beachtlichem Stil. Kein Zeigefinger, nein, aber ein beachtliches Maß an spürbarer Empathie.

Es kommt eine weitere Dimension dazu: es gibt aus den Diskussionen über gewaltarme Antworten auf Gewalt und Unterdrückung das Prinzip, dass Widerstand gegen Unrecht damit beginnt, in Krisenzeiten gesteigerte Normalität umzusetzen. Dies meint, dass das was zu tun ist – eines Menschen Aufgabe und Verantwortung – sehr genau, präzise, anständig zu tun – damit ist auch Widerstand gegen Verharmlosung, Abwehr von Rechtsverletzungen, Schutz der Menschlichkeit eher gewährleistet. Natürlich ist das nicht auf Journalisten zu reduzieren, auch in unserem Gemeinwesen sind wir darauf verwiesen, dass die Mehrzahl der Politiker*innen, Beamten, Anwälte, Ärzte, Forscher, Mitarbeitende in allen Dimensionen des Wirtschaftlichen, Kulturellen, Sozialen, Touristischen… sich so verhält. Beispiele haben wir eine Menge: von Verkäufer*innen, über Techniker, die in Quarantäne gehen, um im Notfall Systeme aufrecht erhalten zu können, Forscher, Mediziner, Pflegepersonal…Erstaunlich, wie viele Menschen in einer Krisensituation diese gesteigerte Normalität einzusetzen wissen. Und damit auch Schwächen, die es in all diesen Bereichen geben kann, ausgleichen können. Weil sie „gute“ Menschen sind – und die dumme, manches Mal böse Abwertung, die in der abfälligen Rede über „Gutmenschen“ durch ihr Engagement aushebeln. Denn ein Gemeinwesen kann nur vernünftig funktionieren, wenn die Mehrzahl der Menschen „Gutmenschen“ sind. Aber so kann in einer Gesellschaft Hoffnung aufrecht erhalten bleiben.

+ Übrigens, Quarantäne zugunsten der strukturellen Sicherstellung von Betriebsleistung und Notfallvermeidung hat stark zugenommen. Es erinnert ein wenig an die Lebensweise von Kartäusermönchen – natürlich etwas säkular gelockert. + Die notwendigen Umstellungsarbeiten auch in medialen Organisationen – home Office ist ja für Medien ein Horrorwort – haben enorme organisatorische Bewältigungsstrategien ausgelöst. Sozusagen Reparatur bei laufendem Motor + Makaber ist trotzdem, dass auch die Qualitäts - Medien von Kurzarbeitsmaßnahmen und redaktionellen Einschränkungen nicht verschont bleiben. Gerade jetzt, wo sie dringend gebraucht werden. Denn sie sind auch Ersatz für die von den einzelnen Menschen nicht mehr herstellbare öffentliche Kommunikation. Die Zahl der Einsamen erhöhte sich in den letzten Wochen beträchtlich. Da genügt ein Blick in die Bevölkerungsstatistik, hunderttausende leben alleine. Ob da alle knapp vor Ausrufung der Daheimbleibepflicht Unterschlupf bei Verwandten, Bekannten … finden konnten? Nein, viele – sehr oft auch Ältere und Kränkere sind auf Minimalkommunikation gestellt. + Aber der ökonomische Einbruch zeigt sich auch hier. Der Anzeigenmarkt ist eingebrochen. Mit Todesanzeigen alleine kann sich eine Zeitung zum Glück nicht finanzieren. Und die Sonderzuwendung der Regierung an alle Printmedien ist ein Zeichen der Wertschätzung, kann aber natürlich nicht die Probleme ausräumen. Auch nicht die komplexe Frage, ob bei Medienförderung nicht auch qualitative Kriterien eine Rolle spielen müssten.

+ Wirtschaftliche Dramen spielen sich bei Verkehrsbetrieben ab. Busunternehmen stehen, Flugzeuge sind hangarisiert, Züge fahren leer, Gastronomie und Beherbergungsbetriebe stehen, und überall muss bzw. soll der Staat einspringen. Er wird quasi auch ökonomisch wieder mächtiger. Denn es gibt logischerweise nicht nur verlorene Zuschüsse, sondern möglicherweise – zumindest vorübergehend – auch die Möglichkeit staatlicher Beteiligung. Sozusagen Ordnungsrahmenhersteller und Unternehmer in einem. Kann wichtig sein, kann aber – über die Jahre – auch heikel werden. +Unternehmerischer Zugang zu den zT. dramatischen Einbrüchen sind ausgesprochen unterschiedlich. Von fundamentaler Fürsorglichkeit über Fairness, Stichwort Kurzarbeit, auch Kündigung mit Wiedereinstellungszusage gehört noch in diese Kategorie. Mir ist schon bewusst, dass so manchem Unternehmen nichts außer Kündigungen übrig bleiben kann. Trotzdem ist es auch Realität, dass beachtliches Spiel mit betroffenen Mitarbeitern gespielt werden kann. Wenn Mitarbeiter brutal hinausgedrängt werden (so manche Tourismusbetriebe…), das was man eh immer schon kürzen wollte, jetzt mit großer Verve ins Gespräch bringen (vgl. AUA) deutet schon darauf hin, dass Menschen nicht als Mitarbeiter sondern als Verschubmenge gesehen werden. Eh immer, aber in Krisensituationen eben besonders rustikal.

+ Zu Skurrilitäten gehört, dass so manche Fremdenverkehrsregion nach Einschränkung der Auswärtigen ruft. Manches Mal auch jener, denen man in guten Zeiten Baugenehmigungen, Ehrungen…gegeben hat. Da kommt mir ein Wort von Qualtinger in den Sinn: er hat in den 60igern, als der Tourismus in Österreich Aufwind erhielt, einen satirischen Vortrag gehalten: „der Fremde als Rohstoff und Devisenbringer“. (Sich selbst als Kommerzialrat Abstierer „verkleidet“, vor Bürgermeistern sprechend…). Es gibt eben die Doppelbödigkeit des Umganges der Einheimischen mit Touristen. Einerseits sind sie unabkömmlich – sonst täten Fremdenverkehrsverbände nicht Millionen und Abermillionen in die Bewerbung ihrer Regionen investieren – andererseits, das Blatt kann sich in Krisenzeiten sehr rasch ändern. Denn sichtlich ist dieses Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden manches Mal sehr dünnes Eis. Bin gespannt, wie Versöhnungsarbeiten vonstattengehen werden. Natürlich kommen mir auch andere Bilder in den Sinn. Ich denke an die „Zieglbehm“ in Wien – wahrlich nicht willkommen – aber unbedingt gebraucht um den Bauhunger in der wachsenden Weltstadt Wien zu stillen. An die vielen Gastarbeiter, die, obwohl unseren Wohlstand mehrend – ausgesprochen unwirsch behandelt wurden und werden (siehe 24 h Betreuer*innen). Und, dass die reicheren Staaten dieser Welt viele Länder – und daher auch ihre Bewohner - nur als Rohstoff und Devisenbringer sehen, mit ungeheuren Dramen als Auswirkung. Da sind Entwicklungshilfeformen wohl nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Man stelle sich vor, dass alle Unternehmungen aus dem Norden im Süden anständige Löhne bezahlen, fair wirtschaften, nicht korrupt wären, Steuern bezahlen, Achtung auf Entwicklung der Infrastruktur legten. Das wäre wohlverstandene Entwicklungspolitik.

+Die andere Dimension dieser Auseinandersetzung zunächst touristischer Art könnte mit dem gerne konstruierten Gegensatz von Land und Stadt zu tun haben. Da hat nämlich die Touristik samt den gerne Geld klingen hörenden Bürgermeistern guten Anteil daran. Es geht ja darum, das Land als unberührte Natur, als heile Welt, blumengetränkte Bergwiesenlandschaft, g’standenem, also echtem Brauchtum, aus nur regionalen Lebensmittelproduzierenden Bauern … bestehe. Wir wissen, Felix Mitterer hat in seiner „Piefkesaga“ dieses Bild großartig gezeichnet und zerrissen. Allerdings: Ischgl ist nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorgekommen… Wie wahr. Also, Will man die Stadt, braucht man das Land. Aber ich würde es auch umdrehen: will man das Land, braucht man die Stadt. Klingt hanebüchen, ja aber: der Kern der Frage wäre wohl, ob der eine an der guten Entwicklung des Anderen Interesse hätte, weil es einem selbst bekanntlich nur gut geht, wenn es dem Nachbarn auch gut geht…Die jetzt deutliche gewordene Aufgabe, dass man Globalisierung „begradigen, einrenken“ muss, könnte ja auch im kleinen der Globalisierungsphänomene, die es zwischen Ballungszentren und Landgebieten gibt, auch Spuren hinterlassen. Und: Die Frage, ob es nicht auch in Österreich konsistentere Raumplanung, Flächenwidmung, reale öko-soziale Landwirtschaft braucht. Spannend: Jahrhunderte lang galt der Satz: „Stadtluft macht frei“. Aus gutem Grund. Heute, auf einmal, durch Corona (außer man hat Boccaccios „Il Decamerone“ Schlüsse aufs Heute ziehend gelesen) heißt es: „Landluft macht frei“. Wer weiß, ob sich nicht da etwas verändert – und wer sich zum Leitstern der Veränderung aufschwingt.

+Die Fixierung auf Corona, auf Nationalstaatlichkeit bringt es mit sich, dass der Blick auf die Schwierigkeiten ärmerer Länder sehr schwach geworden ist. Wen kümmert es heute, dass in Asien, Lateinamerika, in Afrika, in Kriegsgebieten, Heuschrecken- und Trockenheitsgebieten Menschen in großer Lebensgefahr sind – mit Auswirkungen, die uns (bzw. unsere Kinder und Kindeskinder) auch einholen können oder gar werden…Vergesslichkeit und Nichtlernen aus der Geschichte ist eine Fehlprogrammierung von Menschen und Staaten, eine andere Fehlprogrammierung ist die mangelnde Zukunftsvorsorge. Man meint immer, wenn die ganz persönliche Zukunft gesichert sei, sei alles in Ordnung. Nein. (Elias Canetti hat in Masse und Macht darauf aufmerksam gemacht, dass Restaurants eine schreckliche Wirkung hätten: da in diesen alle Menschen zu essen haben, meine man fehlschließend, dass eh alle Menschen satt würden…)

Anmerkung: Die folgenden Textauszüge aus Franz Küberls Tagebuch wurden wortwörtlich übernommen und nicht redaktionell bearbeitet.