Das Ende des Zweiten Weltkrieges: Budapest ist erobert

Vor 70 Jahren brach Adolf Hitlers Reich zusammen. profil stellt in einer Serie anhand von Zeitdokumenten die dramatischen Wochen des Jahres 1945 dar, in denen Österreich zum Schlachtfeld wurde und das NS-Regime bis zuletzt mordete. Teil V: 9.-15. Februar 1945.

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Die Bäcker dürfen kein frisches Brot mehr verkaufen; dieses ist für Notfälle in Reserve zu halten. Die Schulferien werden bis Ende Februar verlängert. Um Energie zu sparen, müssen Friseure, Fotografen, Schuhmacher, Schneider und Putzereibesitzer ihre Geschäfte bei Einbruch der Dunkelheit schließen. Mütter und Ehefrauen haben die Uniformen gefallener Straßenbahner, Eisenbahner und Postbeamten abzuliefern. Diese werden in den Nähstuben des BDM ("Bund deutscher Mädchen“) für den Volkssturm eingefärbt. Milch wird ab sofort nicht mehr pasteurisiert und muss vor dem Genuss abgekocht werden. Das "Neue Wiener Tagblatt“ ruft die Kleingärtner auf: "Heraus mit den alten Staudenbeeten und Sträuchern aus den Gärten. Baut Gemüse an, Gemüse und noch einmal Gemüse! In diesem Jahr müssen um viele tausend Gemüsebeete mehr geschaffen werden.“ In Wien sind immer weniger Straßenbahnen einsatzbereit, die Wägen sind daher so überfüllt, dass die Menschen in Trauben auf den Trittbrettern stehen und sich an den Haltegriffen anklammern. Es kommt immer wieder zu entsetzlichen Unfällen, wenn sie von vorbeifahrenden Fahrzeugen abgestreift werden.

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Am 12. Februar erobert die Rote Armee nach wochenlangen Kämpfen Budapest. 100.000 deutsche und mit ihnen verbündete ungarische Soldaten sowie 60.000 Rotarmisten sind gefallen. Budapest ist weitgehend zerstört. Der "Völkische Beobachter“ meldet lediglich: "Budapests Verteidiger ausgebrochen.“ Tatsächlich gelang nur 100 deutschen Soldaten die Flucht. Der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner schätzt in seinem Buch "Der Krieg in Österreich“, dass durch die Schlacht um Budapest der Vormarsch der Roten Armee nur um vier Wochen verzögert wurde. Die Sowjetarmee rückt nun Richtung Wien und Graz vor.

Der berühmte Chirurg Leopold Schönbauer (1888- 1963), Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie am Wiener AKH, hält am Pathologischen Institut einen Vortrag über "Wundbehandlung und Wundinfektion“ - eines der großen Probleme in den Feldlazaretten. Im Auditorium sitzt auch sein Kollege Lorenz Böhler, der sich in der Entwicklung der Wundexzision verdient gemacht hat. Leopold Schönbauer wird sich Ende März weigern, im AKH eine Kampfstellung einzurichten. Er kann auch die Rote Armee davon überzeugen, nicht ins Krankenhaus vorzudringen. Noch während der Kämpfe wird Schönbauer von einer Widerstandsgruppe zum ärztlichen Direktor gewählt - eine Funktion, die er bis 1960 innehaben wird.

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Gleich neben dem AKH, in der zur "Filmbühne“ umgebauten Volksoper am Währinger Gürtel, hat am selben Tag der Film "Der Opfergang“ des "Jud Süß“-Regisseurs Veit Harlan Premiere. Die weibliche Hauptrolle spielt seine Frau, die Schwedin Kristina Söderbaum, die in mehreren Filmen durch Ertrinken endete und daher "Reichswasserleiche“ genannt wird. Harlan wird nach dem Krieg wegen "Beihilfe zur Verfolgung“ angeklagt, jedoch freigesprochen. Er dreht bis zu seinem Tod 1964 mehrere wenig erfolgreiche Filme. Kristina Söderbaum (1912-2001) tritt 1993 noch in der ersten Staffel der TV-Serie "Der Bergdoktor“ auf.

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Auszug aus dem "Innviertler Heimatblatt“ vom 9. Februar 1945:

"Für die Anteilnahme und Blumenspenden danken: Familie Wagner und alle Verwandte, Ried, für gefallenen Sohn und Enkel, Gefr. Hans Andreßner. Familie Plemely und alle Verwandten für gefallenen Gatten, Papa, Sohn, Bruder und Schwager, Obergrefreiten Alois Plemely, Ried. Maria Hillinger als Mutter für gefallenen Sohn, Matrosen Alfred Hillinger, Aurolzmünster. Heiratsanzeige: 42jährige Frau mit 4 Kindern wünscht braven Mann bis zu 50 Jahren zwecks Ehe kennenzulernen. Ried im Innkreis.“

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Die ganze Woche über gibt es schwere Fliegerangriffe auf Wien. Das Belvedere wird teilweise zerstört, das Franz-Josefs-Spital und das Preyer’sche Kinderspital müssen wegen der Bombenschäden gesperrt werden. Aus Anlass der Fliegerangriffe erhalten die Wiener auf der Raucherkarte zehn Zigaretten zusätzlich. Die Wasserballmeisterschaften im Dianabad werden nicht abgesagt.

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Das Propagandaministerium erlässt verschiedene Sprachregelungen für die Zeitungen:

- In Berlin findet die internationale Hundeausstellung statt, bei der auch die Schwester des nach Großbritannien geflüchteten "Führer“-Stellvertreters Rudolf Heß ihre Hunde zur Schau stellt. Über sie darf nicht berichtet werden.

- Über die Schauspielerin Greta Garbo, die sich in New York ins Privatleben zurückgezogen hat, darf freundlich berichtet werden.

- Die deutsche Presse wird angewiesen, sich nicht mehr mit der Frage zu beschäftigen, ob Jesus Jude war.

Noch 12 Wochen bis zum Ende des Weltkrieges in Europa.

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