Österreich

Debatte um neue Sicherheitsstrategie: “Neutralität schützt nicht”

Die Regierung plant eine neue Sicherheitsdoktrin. Das Bedrohungsszenario Österreichs hat sich radikal verändert. Das Bundesheer wird aufgerüstet. Die Neutralität bleibt?

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Zehn Jahre hat die bisherige Sicherheitsdoktrin der Republik bereits auf dem Buckel. In ihrer aktuellen Version wird Russland noch als “wesentlicher Partner" der österreichischen Außenpolitik genannt. 

Die geopolitische Lage hat sich vor knapp über einem Jahr aber radikal verändert und zwingt die Bundesregierung jetzt zum Umdenken.Vor einer Dekade herrschte auch Krieg auf der Welt, allerdings nicht 450 Kilometer vom Wiener Ballhausplatz entfernt. Russland griff die Ukraine an, zeigte dem Westen wirtschaftlich aber auch militärisch die kalte Schulter und suchte sich neue Verbündete. China unter Präsident Xi Jinping wurde lauter, mächtiger und zumindest für die USA und Europa gefährlicher. 

Grund genug, um noch in dieser Legislaturperiode eine neue Sicherheitsstrategie zu verabschieden. Mit dieser soll auch auf neue “hybride und viefältigere” Bedrohungslagen reagiert werden, wie Hackerangriffe, virtuelle Propaganda oder Falschmeldungen ausländischer Geheimdienste auf Social Media. Sowohl die strategische Landesverteidigung als auch die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit sollen abgebildet werden, heißt es. Die “immerwährende Neutralität” bleibe weiterhin erhalten, da sind sich Bundeskanzler Karl Nehammer, ÖVP, und Vize Werner Kogler von den Grünen einig. Auch wenn aus beinahe allen Parteien - vor allem in den Brüsseler Vertretungen und im Verteidigungsministerium - mit vorgehaltener Hand zumindest eine fundierte Diskussion zur Sicherheitsdoktrin gefordert wird. Heilige Kuh bei dieser Debatte: die Neutralität. 

Drei Inseln und ein Binnenland

Nach dem NATO-Beitritt Finnlands Anfang der Woche (und bald auch Schwedens) bleiben vier Länder in der Europäischen Union übrig, die offiziell neutral und paktfrei sind: Irland, Malta, Zypern und Österreich. Eines davon ist keine Insel. 

Innerhalb der EU habe die Neutralität zwar weniger Bedeutung, aber außerhalb Europas sei sie "wichtig für die Rolle als Mittler”, erklärte Karl Nehammer. Es gelte, die Neutralität weiterzuentwickeln, damit Österreich „in guter Tradition“ einen solchen Beitrag leisten könne, ergänzte Werner Kogler. 

Die NEOS sind die einzige Partei, die öffentlich einen Diskurs über einen NATO-Beitritt Österreich und die Beibehaltung der Neutralität fordert. Verteidigungssprecher Douglas Hoyos sieht Österreichs Sicherheit in einer starken Europäischen Armee als kollektiven Sicherheitsschirm der EU. “Neutralität schützt nicht”, kritisierte Hoyos die aktuelle Sicherheitsdoktrin am Donnerstag. “Die Neutralität ist seit dem Beitritt zur Europäischen Union Geschichte”. Dem widerspricht FPÖ-Verteidigungssprecher Volker Reifenberger: “Unsere Neutralität schützt uns auch in der Union vor militärischer Einflussnahme durch die NATO-Mitgliedsländer rund um Österreich". 

Für Österreich ist die EU tatsächlich ein sicherheitspolitischer Hafen; der oft zitierte Artikel 42 Abs. 7 des EU-Vertrages der Anker: Im Falle eines "bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats" sind die anderen EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, den Mitgliedstaat zu unterstützen. Für das neutrale Österreich wurde hier allerdings eine Ausnahme gemacht: Wien müsse im Fall des Falles nur Hilfe leisten, die mit seiner Neutralität vereinbar ist, darf sich aber trotzdem auf den Schutz der anderen 26 Mitgliedstaaten verlassen. Verteidigungsministerin Claudia Tanner lehnt diesen Begriff zwar vehement ab, doch die Kritik als “Trittbrettfahrer” der Sicherheitspolitik der EU, und in weiterer Folge der NATO, muss sich Österreich hier dann doch gefallen lassen. 

Die EU liefert aus ihrer sogenannten “Friedensfazilität” aus dem von Österreich mitfinanzierten Budget Waffen zur Verteidigung an die Ukraine. Bisher mehr als 3,6 Millionen Euro. Wien ist somit in der sicherheitspolitischen Debatte mittendrin, nach außen hin aber zumindest am Papier neutral. 

"Die Neutralität in dieser Form, wie sie uns hier vorgegaukelt wird, ist spätestens seit dem Beitritt zur Europäischen Union Geschichte."

Douglas Hoyos, Verteidigungssprecher der NEOS

Neverending Neutralität

Österreichs Regierungen rühmen sich seit Jahrzehnten mit ihrer aktiven Neutralitätspolitik, mit der Bruno Kreisky in den 1970ern unter anderem die UNO nach Wien geholt hatte und als geschickter Verhandler zwischen West und Ost fungierte. Mit dem EU-Beitritt 1995 gingen weite Züge der Außenpolitik allerdings in die kollektiven Brüsseler Hände, um nach außen hin als geopolitische Großmacht geeint vorzugehen. Auch wenn sich Österreich auch bilateral in vielen Regionen der Welt, wie zum Beispiel am Westbalkan, aktiv engagiert, nimmt es außenpolitisch keine große Rolle ein - und macht sich verwundbar. Mehrere Prominente aus Politik, Wirtschaft und Kultur, darunter auch Top-Diplomat Emil Brix Ex-Richterin Irmgard Griss, Autor Robert Menasse, Brigadier Walter Feichtinger oder Politologe Gerhard Mangott, forderten angesichts dessen in einem offenen Brief eine Debatte um Österreichs Neutralität. “Neutralität schützt uns nicht”, heißt es auch darin. Es war bereits das zweite Schreiben an die Bundesregierung, den Bundespräsidenten und den Nationalrat. Das erste vom vergangenen Mai blieb unbeantwortet. 

Finnland wurde diese Woche freundlich in der NATO empfangen, bei Österreich wäre es  vermutlich ähnlich. Eingeladen wird man aber nicht, da Länder ihren Antrag auf Mitgliedschaft von sich aus stellen müssen. Dafür müsse man aber die Neutralität aufgeben - und, da sie verfassungsrechtlich verankert ist, das Volk darüber entscheiden lassen. 

Maximilian Mayerhofer

Maximilian Mayerhofer

war bis Mai 2023 Online-Redakteur bei profil. Davor war er beim TV-Sender PULS 4 tätig.