Betrugsverdacht

Der Fertigteil-Friedhof der Causa Christian Kern

Ex-Bundeskanzler Kern verteidigt sich gegen Betrugsvorwürfe. Ein Mitbeschuldigter und vermodernde Fertigteilhaus-Module helfen ihm dabei.

Drucken

Schriftgröße

Die Natur hat gewonnen. Schimmel und Algen bedecken die verblichenen Wände. An mehreren Stellen ist das Holz derart vermodert, dass es dunkel durch die weißen Transportplanen scheint. Fotos von Ende Mai zeigen 22 Wohnmodule, die angeblich gar nicht existieren, in 19 Containern verpackt auf dem Fabriksgelände im bosnischen Brčko. Seit Monaten haben sie bei Wind und Wetter vergeblich darauf gewartet, auf LKWs gepackt zu werden und sechseinhalb Stunden Fahrtzeit später neuen Wohnraum in Wien zu schaffen. Nun müssen 450 Quadratmeter möglicher Wohnfläche vernichtet werden. Der Schaden geht in die Millionenhöhe und wird die Justiz wohl noch jahrelang beschäftigen.

Bis zu zehn Jahre Haft drohen Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) aufgrund der nie errichteten Fertigteilhäuser. Sein ehemaliger Geschäftspartner Avial Yosopov wirft dem früheren SPÖ-Chef und weiteren Geschäftspartnern in einer profil vorliegenden Sachverhaltsdarstellung schweren Betrug vor: Kern habe ihn im Herbst 2020 von der slowakischen „ECO SMART HOME s.r.o.“ und ihrer Fertigteil-Bauweise überzeugt, behauptet der Immobilienunternehmer. Allerdings sei auch nach knapp mehr als  einer Million Euro Investition „keine einzige vereinbarte Leistung erbracht“ worden, fühlt sich Yosopov in die Irre geführt. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen den Ex-Kanzler, seinen ehemaligen Geschäftspartner E. S. und eine weitere Person wegen schweren Betrugs. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe vehement und gehen in die Gegenoffensive: Die Anzeige sei voller „Lügen“ und „verleumderisch“, Yosopov sollen die Behauptungen gerichtlich untersagt werden.

(Alb-)Traum-Geschäft

Doch von Beginn. Die Wohnungen, die heute in Bosnien als Mahnmal dahinschimmeln, hätten noch im Herbst 2020 ein großer Wurf werden sollen: Die Wiener Immobilienfirma Sveta Group hatte an der Eßlinger Hauptstraße am Rande Wiens ein leeres Grundstück erworben, auf dem mittels Modularbauweise rasch neuer Wohnraum geschaffen werden sollte. Produziert werden sollten die Wohnelemente in Bosnien, wo der Geschäftsführer der „ECO SMART HOME s.r.o.“, E. S., auf Fertigteil-Produktion setzt. In seiner Fabrikhalle in Brčko sollten Wohnmodule gebaut, per Lkw zum Baugrund geführt und dort zu einem neuen Haus mit 1400 Quadratmeter Wohnfläche verbunden werden. Gesamtkosten der Fertigteil-Wohnungen: 1,44 Millionen Euro, von der Sveta in drei Tranchen zu zahlen – die letzte nach Lieferung.

Ab hier gehen die Erzählungen auseinander. Laut der Anzeige, die Anwalt Volkert Sackmann im Auftrag der Sveta im Februar 2023 eingebrachte, soll Ex-Kanzler Kern den Sveta-Chef Yosopov von der modularen Bauweise der Eco Smart Home überzeugt und so bewusst um eine Million Euro gebracht haben. Kern bestreitet das. Der ehemalige SPÖ-Chef hatte sich nach seiner Zeit in der Politik als Unternehmer selbstständig gemacht. Die „Blue Minds Living GmbH“, in der Kern bis November 2020 Geschäftsführer war und an der er weiterhin Anteile hält, trat für das Projekt auch als Zahlungsabwickler der Eco Smart Home in Österreich auf.

Das Geschäft vermittelt habe der Ex-Kanzler nicht, betont dessen Anwalt Paul Kessler. Der ehemalige SPÖ-Chef sei erst hinzugezogen worden, nachdem sich die beiden Bauunternehmer geeinigt hatten, sagt auch S. Tatsächlich heißt es im Generalunternehmervertrag vom 7. Oktober 2020, der das Projekt besiegelte und der Anzeige der Sveta beiliegt, dass das Geschäft zwischen der Sveta und Eco Smart Home „direkt“ angebahnt wurde. Blue Minds Living – und damit Kern – hätte die Eco Smart Home als Auftragnehmerin „nicht ausgesucht oder vorgeschlagen“. Im Vertrag sei schlicht nicht festgehalten, was tatsächlich passierte, hält dem Sveta-Anwalt Sackmann entgegen. Kerns Anwalt Kessler sieht das anders und will eine Klage auf Unterlassung kreditschädigender Aussagen gegen die Sveta einbringen.

Schneller Start

Was heute die Justiz beschäftigt, war einst ein Bauprojekt voller Hoffnung, für das der bosnische Fertigteilhaus-Produzent (in seiner Version) auch in Vorlage geht: Er trägt die ersten Kosten für die Bauarbeiten in Wien, die Anfang April starten. In regelmäßigen Abständen schickt S. stolz Bilder vom Baufortschritt an Sveta-Mitarbeiter. Es ist sein erstes Projekt in modularer Bauweise. Er will zeigen, was er kann – und wie schnell: Am 12. April 2021 sind die Kellerwände fertig. Das Fundament wurde rasch geschaffen, seit zwei Jahren steht es aber brach. Die beiden Streitparteien bekamen sich in die Haare, wer welche Kosten zu tragen habe – und wer schon was bezahlt habe. Neuer Wohnraum entstand an der Eßlinger Hauptstraße bisher darum nicht.

Steigende Kosten, sinkende Lust

Auch in Bosnien musste gebaut werden. In der Fabrikhalle in Brčko werden Stahlträger zu Wohneinheits-Containern zusammengeschweißt und dann komplett verkleidet. Größere Wohnungen würden erst an der Baustelle aus mehreren solchen Modulen zusammengesetzt werden. Doch bis nach Wien schafften es die Wohnmodule nie. Die Produktion kam ins Stocken. Ein Grund dafür waren explodierende Kosten mit gleichzeitiger, fehlender Liquidität. Vor allem die Preise für Holz und Stahl vervielfachten sich im zweiten Corona-Jahr innerhalb weniger Monate, erzählt S. profil. Während die Produktionskosten explodierten, habe das vereinbarte Geld der Sveta auf sich warten lassen, behauptet er. Immer wieder sei es zu Verzögerungen bei der Zahlung gekommen, er habe seine Lieferanten mühsam bei Stange halten müssen – und gleichzeitig Kosten an der Baustelle in Wien getragen.

Fakt ist: Die Sveta überwies laut profil vorliegenden Zahlungsunterlagen mehr als eine Million Euro, um die Produktionskosten zu decken . Allerdings waren insgesamt 1,44 Millionen Euro vereinbart – und die Immobilienfirma berappte die zu zahlenden Summen nur peu à peu.  Eine erste Teilrechnung der Eco Smart Home über 500.000 Euro am 1. März 2021 wurde etwa in vier Tranchen bezahlt. Die letzte Tranche schickte die Sveta fast zwei Monate später ab. Da hatte S. bereits dringend um den Rest des Geldes gebeten, da er sonst seine Lieferanten nicht bezahlen könne, wie Chats zeigen. Bei der Sveta kann man die Kritik nicht nachvollziehen: Die Zahlungen seien an vereinbarte Bauziele gekoppelt gewesen, auf Bitten von Kern und S. sei man in Vorleistung gegangen.

Chat-Protokolle des Fortschritts

 „Weil aber die SVETA bereits eine halbe Million Euro investiert hatte, ohne auch nur eine Modularwand zu Gesicht bekommen zu haben“, habe Yosopov im Mai mit einer weiteren Überweisung gezögert, erklärt die Sveta in ihrer Anzeige. Auch bei einem anschließenden Besuch in der bosnischen Fabrikhalle sei „kein einziges Bauteil“ vorhanden gewesen, das für das Projekt gekennzeichnet war. Erst Ex-Kanzler Kern hätte Yosopov überzeugen können, weiter zu investieren.

Er habe Mitte Mai 2021 mit dem Bau der Module begonnen, sagt S. Zum Beweis schickte der Fertigteilhaus-Bauer Fotos der Schweißnähte, die Stahlträger zu Grundfesten neuer Wohnungen verbinden sollten, an Mitarbeiter der Firma Sveta weiter. Als es Ende des Monats wieder finanziell knapp wurde, machte S. Druck: Anfang Juni sei es zur direkten Konfrontation mit dem Gründer der Sveta-Group gekommen. Ende Juni zahlte die Sveta noch einmal knapp über eine halbe Million Euro. Die Bauteile blieben aber auch weiterhin in Bosnien und wurden nicht geliefert.

Notausstieg

Insgesamt hatte die Sveta 1.004.106,89 Euro der vereinbarten rund 1,44 Millionen überwiesen. Diese Summe will sie nun zurück. S. denkt nicht daran. „Weil das restliche Geld nicht gekommen ist, konnten wir auch nicht weitermachen.“ Er sei auf den halbfertigen Modulen sitzen geblieben – und das wortwörtlich: Monatelang hätten die Einzelteile seine Fabrikhalle blockiert. Dabei habe er Fixkosten von 200.000 Euro im Monat, etwa die Gehälter seiner 135 Mitarbeiter, bezahlen müssen. Immer wieder bat er in den nächsten Wochen und Monaten um die Überweisung der restlichen Summe. Doch die Sveta blieb hart: Ohne gelieferte Bauteile kein Geld. „Von unserer Seite wurde die Lieferung mehrfach urgiert“, lässt Sveta-Anwalt Sackmann wissen. Fotos der mittlerweile vermoderten Bauteile würden nicht beweisen, dass die Module auch wirklich für den Bau in Wien bestimmt waren. Vereinfacht formuliert es ein Sveta-Vertreter: „Da steht nicht unser Name drauf.“

Im Dezember 2021 zog zumindest der Ex-Kanzler die Reißleine: Die Blue Minds Living verzichtete auf die Option, die sie an der Projektgesellschaft zu 45 Prozent beteiligt hätte – und damit auf einen möglichen Gewinn aus dem Verkauf der Wohnungen. Dieser hätte laut S. zu großen Teilen an sein Unternehmen, die Eco Smart Home, weiterfließen sollen. Andererseits konnte sich die Blue Minds Living somit aus dem Streit um die Restsumme herausnehmen. Die Sveta sieht darin ein „starkes Indiz“ dafür, dass Kern beziehungsweise der damalige Geschäftsführer der Blue Minds Living gewusst hätten, dass keine Wohnungen geliefert würden. Kerns Anwalt Paul Kessler weist den Vorwurf des Betruges entschieden zurück und spricht seit Wochen von „verleumderischen“ Vorwürfen: Die Blue Minds Living habe durch das Projekt selbst Verluste in sechsstelliger Höhe verkraften müssen.

Die Sveta Group hat unsere Familienunternehmen zerstört.

"Eco Smart Home"-Geschäftsführer E. S.

geht es nicht nur um verlorenes Geld.

Neu verkleidet

Auch Kerns ehemaliger Geschäftspartner S. verteidigt den Ex-Kanzler. Dieser sei selbst nur Geschädigter „und sicher kein Krimineller“. Den größten Schaden sieht aber S. freilich bei sich selbst: Insgesamt habe er durch das Projekt fünf Millionen Euro verloren, erzählt er profil. Wie Kern bereitet auch er eine Gegenklage vor. Inklusive des entgangenen Gewinnes will er außerdem zehn Millionen Euro Schadenswiedergutmachung von der Sveta und vor allem ihrem Unternehmensgründer fordern.

Laut Sveta habe dieser nur versucht, S. doch noch zur Vertragserfüllung zu bewegen. Für S. geht es aber nicht nur um Geld. Er habe durch das gescheiterte Projekt sein Gesicht verloren – und zwei Firmen, sagt er zu profil: „Die Sveta Group hat unsere Familienunternehmen zerstört.“

Was übrig geblieben ist hat mittlerweile der österreichische Industrielle und Strabag-Gründer Hans Peter Haselsteiner übernommen. Gemeinsam mit S. produziert nun eine seiner Firmen Fertigteilhäuser in der Fabrik in Bosnien und errichtet sie in Österreich. Und dieses Mal auch wirklich. Erste Projekte habe man in wenigen Monaten erfolgreich abschließen können, erzählt S. Weitere Mietwohnungen in Modulbauweise sind etwa in Niederösterreich am Markt und sollen teils noch dieses Jahr übergeben werden.

Alles kaputt

Das Projekt an der Eßlinger Hauptstraße ist hingegen ruiniert. Nach monatelanger Wartezeit im Freien sei „alles kaputt“, sagt S.

Wilfried Konrad Beikircher beschäftigt sich täglich mit solchen Fällen. Der zertifizierte Sachverständige hat für profil einen Blick auf die Schimmel-Fotos geworfen. Seine Meinung: Die weiße Transportfolie, die die einzelnen Wohnteile auf dem Parkplatz vor dem Werk bedeckt, sei für eine dauerhafte Lagerung ungeeignet. Und: „Bei fachgerechter Lagerung wäre Schimmelbildung unwahrscheinlich, weil es sich um eine Trockenbauweise handelt und dabei gar keine Baufeuchte vorhanden ist.“ Durch die mangelhafte Lagerung wurden die fast fertigen Wohnungen unzureichend vor Wind und Wetter geschützt, wodurch Feuchtigkeit eindrang und sich Schimmel bildete. Nun müssen sie fachgerecht entsorgt werden.

Das sieht auch Fertigteilhaus-Produzent S. so: „Man darf die Bauteile so keine Woche lagern, erst recht kein Monat oder Jahr. Die Folie ist nur für den Transport gedacht.“ Trotz dieses Wissens wurden die Teile nach rund einem Jahr vor die Tür gestellt. Der Grund: Er habe den Platz in der Halle für die Produktion neuer Teile dringend benötigt, so seine Argumentation. Die nahezu fertigen Wohnteile für ein anderes Projekt zu nutzen, wäre Vertragsbruch gewesen, erklärt S. Doch ewig konnte die Fabrik auch nicht blockiert bleiben. So wurden sie, anstatt auf Lkws nach Wien zu reisen, dem Wetter ausgesetzt. Die Kraft der Naturgewalten hat das Bauprojekt nun endgültig begraben. Das juristische Gewitter nimmt jedoch erst seinen Anfang.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".