Der Mut der frühen Jahre

Das erste Redaktionsteam des profil wollte nicht die Welt verändern - aber Österreich. Es war ein wöchentlich ausgetragener Kampf gegen Proporzdenken, Korruption, NS-Gedankengut und Illiberalität.

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Es kam nicht oft vor, dass in der profil-Redaktion in der Wiener Marc-Aurel-Straße tagsüber gefeiert wurde. Aber im September 1980 öffnete Herausgeber Peter Michael Lingens eine Flasche Sekt. Wegen des Verdachts der Korruption rund um den Bau des Wiener AKH war der damalige Industriellen-Präsident und Österreich-Chef eines internationalen Telekom-Konzerns in Untersuchungshaft genommen worden. Und damit war auch eine Millionenklage, die er zuvor gegen profil eingebracht hatte, vom Tisch. Sonst hätte dies mit großer Wahrscheinlichkeit das Ende einer zehnjährigen Erfolgsgeschichte bedeutet.

Das junge, unabhängige Magazin ragte damals unter den sonst weithin angepassten Medien heraus. Es war linksliberal, auch wenn viele Mitarbeiter aus dem ÖVP-Umfeld stammten. profil traute sich etwas und war niemandem verpflichtet. Es war ein bunter Mix von Individualisten, die in der ehemaligen Hemdenfabrik "Manhattan" mit ihren verwinkelten Gängen und knarrenden Holztreppen ein freches Magazin produzierten.

Der erste Chefredakteur, der Wirtschaftskonservative Jens Tschebull, erschien im Zweireiher und achtete streng auf Ausgabendisziplin. So heftete er in der Früh stets die Seiten von teuren ausländischen Gazetten zusammen; waren sie am Abend nicht aufgerissen, drohte er mit Kündigung der teuren Abos. Für die Grafik war Bernhard Paul verantwortlich, der später den Circus Roncalli gründen sollte.

Es war die Zeit, in der Journalisten prinzipiell mit Sakko und Krawatte zum Dienst zu erscheinen hatten. Da tanzten die meist jüngeren profil-Kollegen mit Lederjacken oder Pullovern schon optisch aus der Reihe.

profil deckte in den 1970er-Jahren eine ganze Reihe von Skandalen auf, etwa die Zugehörigkeit des damaligen FPÖ-Chefs Friedrich Peter zu einer SS-Einheit, die im Zweiten Weltkrieg in Polen und der Sowjetunion Massaker an Zivilisten angerichtet hatte; die seltsamen Waffengeschäfte eines Verteidigungsministers mit Syrien-und nicht zuletzt eine Vielzahl von Finanzaffären der Stadt Wien, vom Bauring bis zum AKH. Später waren es Rüstungsexporte, die Waldheim-Affäre oder Missbrauchsvorwürfe gegen den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër.

Ich kam 1976 als Student zum profil, als via Inserat junge Mitarbeiter gesucht wurden. "Wer den Kapitalismus kritisieren will, sollte vorher im Handelsregister nachgeschaut haben", hatte Lingens getextet. Damals zählten die profil-Titelgeschichte und der Leitartikel jeden Montag zur Pflichtlektüre politisch interessierter, aufgeschlossener Menschen in Österreich. Beliebt waren auch die bissigen Cartoons von Manfred Deix oder die satirische Kolumne von Reinhard Tramontana. Wo sonst konnte man zwei völlig konträre Kommentare zu Ronald Reagans schmutzigem Krieg in Mittelamerika lesen? Erst Lingens' Appell zur Eindämmung des Kommunismus, dann gleich anschließend eine Brandrede von Joachim Riedl gegen Reagans Contras-Söldnertruppe.

Lingens hatte Spaß daran, uns vorzuführen. Als in Wien ein Student als mutmaßlicher Doppelmörder verhaftet wurde, wollte niemand binnen eines Tages eine Titelgeschichte liefern. PML machte es erzürnt selbst, und ihm gelang eine eindrucksvolle Reportage über den "Psycho-Killer".

Damals ging man noch großzügig mit der Ressource Zeit um: Ein Kollege heuerte undercover als Pfleger auf der Psychiatrie am Steinhof an und deckte brutale Übergriffe auf Patienten auf. Eine Kollegin recherchierte monatelang die weltweit verzweigte Familienchronik der Kreiskys.

Auch im Kulturressort gehörte Widerspenstigkeit zum Jobprofil. Sigrid Löffler schrieb wortgewaltig über Theaterstücke und Romane, meist gnadenlose Verrisse. Manchmal entschuldigte sich PML im nächsten Leitartikel bei Löfflers Opfern.

Sibylle Fritsch steuerte viele Titelgeschichten zu Psycho-Themen bei. Anregungen sammelte sie mitunter im eigenen Haus, als etwa einmal jemand aus Wut eine Schreibmaschine aus dem Fenster geworfen hatte. Ein früheres Mitglied der Lokalredaktion, der immer mit geladener Pistole in der Redaktion auftauchte, überfiel im Waldviertel stark alkoholisiert eine Bank. Dass er von der Beute nicht viel hatte, lag daran, dass er im eigenen Auto zur Bank vorgefahren war.

Zur Gründungsmannschaft gehörten auch der spätere TV-Dokumentarfilmer Claus Gatterer, Hans Rauscher und Erhard Stackl, der später gemeinsam mit Michael Siegert und mir das Außenpolitikressort betreute. Stackl verfolgte die Gründung der Solidarność in Danzig und berichtete über den Falkland-Krieg aus Argentinien. Mir selbst gelang bei der Verhängung des Kriegsrechts Ende 1981 in Polen ein unerwarteter Erfolg: Eines meiner außer Landes geschmuggelten Fotos landete auf den Covers von "Time", "Paris Match" und anderen internationalen Magazinen.

Rein technisch waren profil-Redakteure damals suboptimal ausgestattet. Die meisten tippten ihre Artikel auf mechanischen, vereinzelt auch schon elektrischen Schreibmaschinen. Die Texte wurden dann nach dem Redigieren durch die Chefredaktion mittels Boten in die Druckerei befördert. Einmal wäre profil beinahe nicht erschienen: Der Bote hatte einen ausgiebigen Zwischenstopp in seinem Stammbeisl eingelegt. In späteren Jahren wurden die Manuskripte in die Druckerei gefaxt.

Der erste Kollege mit Computer war Aufdecker Alfred Worm. Aber auch er scheiterte beinahe bei seiner heikelsten Mission. Ein Gespräch mit dem korrupten Direktor der AKH-Baugesellschaft nahm er mit einem versteckten Tonbandgerät auf. Doch danach war auf dem Band nur Rauschen zu hören. Da gelang ihm ein Bluff: Der Manager knickte ein, als Worm ihm mit der Veröffentlichung des Gesprächs drohte.

Aus Angst um die Exklusivität seiner Story unterließ ein Chefredakteur den sonst üblichen Gegencheck. Die genau aufgelisteten "neuen Radarfallen auf der Westautobahn" erwiesen sich als harmlose Eiswarngeräte. Und 1976 schaffte es sogar die Meldung, wonach der damalige, recht beleibte Sportminister Fred Sinowatz zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Innsbruck von der untersten Luke der Sprungschanze des Berg Isel einen "tadellosen 35-Meter-Sprung hinlegte",ins Blatt.

Bundeskanzler Bruno Kreisky pflegte ein enges Verhältnis zu profil. Es gefiel ihm, dass wir über seinen Disput mit dem ehemaligen Ziehsohn Hannes Androsch berichteten. Als Lingens Kreiskys Attacken auf angebliche "Mafiamethoden" von Simon Wiesenthal im Zusammenhang mit der SS-Vergangenheit von FPÖ-Chef Friedrich Peter scharf kritisierte, klagte der Kanzler uns jedoch. Die Causa ging bis zum Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der uns recht gab und die Republik verurteilte. Peter wollte noch Dritter Präsident des Nationalrates werden, was eine frühe Form von "Crowdfunding" verhinderte: Hunderte profil-Leser unterschrieben gegen diese Beförderung und bezahlten anteilsmäßig die Kosten für Inserate.

Wirtschaftspolitisch steuerte profil einen Schlingerkurs: Jens Tschebull verteidigte unbeirrbar die Marktwirtschaft. Lingens warb für die Arbeitszeitverkürzung und lobte den damaligen SPÖ-Sozialminister Alfred Dallinger. Gestritten wurde häufig und heftig, meist in der Konferenz am Montag. Doch vielleicht entstand auch deshalb Woche für Woche ein spannendes Heft.

Ein einziges Mal gab es einen Betriebsausflug, der uns am 1. Mai 1981 per Schiff nach Budapest führte. Da erreichte uns die Nachricht, dass SPÖ-Stadtrat Heinz Nittel vor seinem Wohnhaus erschossen worden war. Die erste Spur zu den Mördern, der PLO-Splittergruppe von Abu Nidal, deckte profil auf. Andere Medien hatten sich davor zur Behauptung verstiegen, dass der in der Nähe des Tatorts gesichtete ÖVP-Generalsekretär als Täter infrage komme.

Otmar Lahodynsky war von 1976 bis 1988 und von 1998 bis 2019 profil-Redakteur.