Österreich

Die Grünen und die Polizei: Wie Namensschilder die Wogen glätten sollen

Das Verhältnis zwischen den traditionell polizeikritischen Grünen und der mächtigen Exekutive ist historisch von Misstrauen geprägt. Das soll sich jetzt ändern.

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Knüppel, Verletzte, Behinderung von Medien-die dramatische Bilanz des Einsatzes von 800 Polizisten in der Hainburger Au 1984. Die Niederschlagung der Proteste von Umweltschützern gegen ein Wasserkraftwerk in den Donauauen war die Geburtsstunde der Grünen. Mittlerweile sind sie eine Regierungspartei im Bund und in vielen Bundesländern. Doch die Beziehung zur Exekutive ist weiterhin "kompliziert",wie die Grünen sagen. Von einem "gestörten Verhältnis" spricht so mancher Polizist; Grünpolitiker würden Exekutivbeamte noch immer unter Generalverdacht stellen. Eine grüne Initiative versucht, das zerrüttete Verhältnis zu ändern. Ist das möglich-vor dem Hintergrund aktueller Anlässe wie der Räumung des Protestcamps in der Lobau, Abschiebungen von Schülern oder dem Tod der von Impfgegnern bedrohten Ärztin Lisa-Maria Kellermayr?

Wenn es nach Georg Bürstmayr, Sicherheitssprecher der Grünen, geht, sind "die Gräben zum Teil so alt, dass sie schon von selbst zugeschüttet worden sind". Schließlich sei ein Staat ohne Polizei "ein failed state", also ein gescheiterter Staat, erklärt der Nationalratsabgeordnete. Doch nicht alle sehen das so. Um für die tägliche Arbeit der rund 34.000 Beamten mehr Verständnis zu wecken, hat der grüne Politiker im Sommer ein Treffen organisiert. Bei der nicht medienöffentlichen Veranstaltung wurden Ansichten, Bedürfnisse und Wünsche von Polizeibeamten aus "erster Hand" abgefragt und diskutiert. Es ging vor allem um adäquate Bezahlung, Arbeitsbedingungen und die Planbarkeit des eigenen Lebens, sagt Bürstmayr. Doch ihm geht es auch um etwas anderes: "Es wäre ein kleiner Schritt in Richtung Vertrauensbildung, wenn Polizisten Namensschilder tragen würden." Und: Nicht jeder Polizist müsse schwer bewaffnet sein.

Von offizieller Seite der Polizei will sich niemand zum Verhältnis zur grünen Partei äußern. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Reinhard Zimmermann von der ÖVP-nahen Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG), kann den grünen Vorstößen nichts abgewinnen: "Die Grünen müssen das Berufsbild so nehmen, wie es ist: Die Polizei muss für Ordnung, Ruhe und Sicherheit sorgen, das ist nicht immer mit 'Bitte' und 'Danke' lösbar."Wer eine Entwaffnung der Polizei fordere, habe "keine Ahnung, was Polizeidienst heißt". Zum grünen "Austausch zur Zukunft der Sicherheit" war Zimmermann nicht eingeladen. Auf einen Gesprächstermin mit Vizekanzler Werner Kogler zu den Herausforderungen der Polizei in der Pandemie wartet er seit über zwei Monaten.

Dass sich die Grünen plötzlich um die schwierigen Arbeitsbedingungen der Polizei sorgen würden, begrüßt die FPÖnahe Personalvertretung Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher (AUF). Doch in der medialen Auseinandersetzung sei das Verhältnis zu den Grünen "überhaupt nicht gut", ja sogar "gestört",meint Franz Hartlieb, Personalvertreter der AUF im Zentralausschuss des Innenministeriums. Nach dem Tod der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr kritisierte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer etwa, dass die Polizei "weder die Kompetenz noch die Bereitschaft" gehabt hätte, die Social-Media-Hetze gegen die Ärztin zu verfolgen. Im Fall von Protesten in der Lobau erhob der grüne Klimasprecher Lukas Hammer schwere Vorwürfe: "Wir haben leider schon zu viele Fälle von überzogener Polizeigewalt gegen Klimaschützer erlebt." Massive Kritik der Grünen gab es auch bei der im Nachhinein als rechtswidrig eingestuften Abschiebung der 13-jährigen Tina nach Georgien.

Keine Illusionen macht sich der grüne Sicherheitssprecher Bürstmayr, was eine bessere Zusammenarbeit mit der blauen AUF betrifft, die bei den letzten Personalvertretungswahlen 2019 von fast jedem vierten Polizisten gewählt wurde. Die Hauptaufgabe der Polizei sehe sie noch immer in "Repression". Misshandlungsvorwürfe nehme die AUF nicht ernst. Der Wiener Grüne Nikolaus Kunrath, der sich seit 20 Jahren mit Gewalt in Polizeikommissariaten auseinandersetzt, sieht noch tiefe Gräben zu überwinden: "Wir sind fast das Feindbild." Auf der einen Seite rufen Grüne zu Demonstrationen auf, die für viele Beamte mehr Überstunden und mehr Arbeit bedeuten. Zum anderen gäbe es noch zu oft den Korpsgeist, so Kunrath.

Wenn die Polizei einen Fehler begangen hat, kommt wie das Amen im Gebet ein Landeshauptmann oder ein Minister, der sagt: 'Alles richtig gemacht!'."

Georg Bürstmayr, Sicherheitssprecher, Grüne

Laut Regierungsprogramm von Grünen und ÖVP sollte es längst eine unabhängige Stelle zur Überprüfung von Polizeigewalt geben. Doch innerhalb der Exekutive formte sich Widerstand. Vor allem die AUF wehrt sich gegen diese Einrichtung, weil sie "zu Verunsicherung und Frustration der Polizisten" führe. Doch solange es so eine Stelle nicht gäbe, gehe es so weiter wie bisher, meint Bürstmayr: "Wenn die Polizei einen Fehler begangen hat, kommt wie das Amen im Gebet ein Landeshauptmann oder ein Minister, der sagt: 'Alles richtig gemacht!'."So gab es zwischen Anfang 2017 und Ende Mai 2019 1244 Strafanzeigen gegen Polizeibeamte. Verurteilt wurde nur in 21 Fällen. Die Debatte um eine Polizeibeobachtungsstelle gibt es seit nahezu 40 Jahren. Schon 1986 gründete der Grüne Rudolf Leo den Verein "Bürger beobachten die Polizei"-um Betroffenen von Polizeigewalt Anwälte und Psychologen zu vermitteln. 1988 gab der grüne Parlamentsklub unter dem Titel "Prügelnde Polizisten" eine Dokumentation von 100 Fallbeispielen von Polizeigewalt heraus. "Doch abschaffen wollten wir die Polizei nie", sagt Rudolf Leo.

In den 1990er-Jahren "outeten" sich in Österreich erstmals Polizisten als grüne Sympathisanten. 1994 wurde eine grüne Polizeigewerkschaft ins Leben gerufen, die es allerdings nicht mehr gibt. Sie kam nie über rund 50 Mitglieder hinaus. "Allein der Umstand, dass man auf die Grünen zugeht oder mit ihnen zusammenarbeitet, war für viele Polizisten so etwas wie Verrat",sagt ein ehemaliges Mitglied.

Sind die Differenzen zwischen Grün und Polizei jemals überwindbar? Der Historiker Robert Kriechbaumer hält dies für möglich, "wenngleich nach wie vor der linke Parteiflügel mit seinen zahlreichen Berührungen zur linksautonomen und fundamentalistischen Szene der Polizei distanziert bis ablehnend begegnet". Bürstmayr: "Trotz aller Kritik an manchem Vorgehen der Polizei brauchen wir vor allem gegenseitige Wertschätzung und Respekt."Da haben auch die Grünen noch eine große Aufgabe vor sich.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.