Die Schande Europas
Rainhardt Buemberger kann nichts so schnell aus der Ruhe bringen: "Wenn wer wegen der neuen Regierung nicht mehr in Österreich Urlaub machen will, dann soll er halt daheim bleiben." Auch die EU-Mitgliedschaft ist für ihn kein Tabu: Sollte Europa weiter Faxen machen, "dann gehen wir halt".
Herr Buemberger ist nicht - wie man angesichts dieser Aussagen meinen könnte - ein grantiger Wiener Hausmeister, sondern Spitzenkandidat des Salzburger ÖVP-Wirtschaftsbundes bei den bevorstehenden Kammerwahlen und demnächst Präsident der dortigen Wirtschaftskammer.
Die Realitätsverweigerung des schwarzen Funktionärs entspricht jener seines Parteiobmanns: Monatelang war Außenminister Wolfgang Schüssel von seinen europäischen Amtskollegen, darunter auch Bürgerliche, signalisiert worden, die EU würde eine Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht widerspruchslos hinnehmen. Sowohl am Rande des Istanbuler OSZE-Treffens im vergangenen November als auch beim EU-Gipfel in Helsinki im Dezember hatten Regierungschefs - vor allem Frankreichs Präsident Jacques Chirac - auf die Gefahr einer Isolation Österreichs hingewiesen, sollte die Haider-Partei den Einzug in die Regierung schaffen. Auch die Briten hatten beim Helsinki-Gipfel während des Mittagessens Klima und Schüssel ihre Besorgnis anvertraut.
"Schüssel wäre ein sehr schlechter Außenminister, hätte er das alles nicht bemerkt", meinte dessen deutscher Amtskollege Joschka Fischer vergangenen Freitag in einem Gespräch mit profil.
Dennoch schien der Beinahe-schon-Bundeskanzler Montag vergangener Woche wie vom Donner gerührt, als die 14 EU-Außenminister ihre geplanten Sanktionen bekannt gaben. Innerhalb einer Woche wurde aus Österreich, dem geachteten Mitgliedsland der Europäischen Union, ein Paria der Staatengemeinschaft. Bloß Serbien ist auf dem gesamten Kontinent noch isolierter. Belgrads Regierung sandte vorige Woche auch prompt solidarische Grüße nach Wien.
Selbst zu Zeiten, als Bundespräsident Kurt Waldheim bestenfalls den Vatikanstaat und einige Israel-feindliche Destinationen des Vorderen und Mittleren Orients anfliegen durfte, war die Lage rosiger: Damals war wenigstens Kanzler Franz Vranitzky international handlungsfähig, jetzt steht die gesamte Bundesregierung auf der Watchlist der westlichen Völkergemeinschaft.
"Schüssel riskiert in einer egomanischen Übersteigerung einen massiven Konflikt mit der gesamten westlichen Welt", meint der Innsbrucker Politologe Anton Pelinka. "Die Isolation ist viel gewaltiger als bei Waldheim, Österreich hat dem außenpolitischen Sturm nichts entgegenzusetzen."
Dabei kann die ganze Tragweite der EU-Boykottmaßnahmen noch gar nicht abgeschätzt werden. "Wir trauen uns gar nicht nachzufragen, was das alles heißt, weil wir sonst womöglich noch schlafende Hunde wecken könnten", meinte vergangene Woche ein hochrangiger Außenamts-Diplomat.
Was feststeht, ist ohnedies dramatisch genug:
- Die 14 anderen EU-Staaten plus Israel und Norwegen beenden die bilateralen Kontakte mit Österreichs Regierung. Bis auf Weiteres gibt es damit keine Besuche von Staats- und Regierungschefs oder Ministern aus diesen Ländern. Die Mitglieder der neuen Bundesregierung werden keine Einladungen aus Rest-Europa erhalten. Ausnahme: Die Kontakte im Rahmen der Union selbst bleiben aufrecht. Als erstes neues Regierungsmitglied wird somit Sozialministerin Elisabeth Sickl (FPÖ) am Donnerstag am informellen Sozialminister-Rat in Lissabon teilnehmen. Wolfgang Schüssel wird wohl erst Ende März erstmals als Bundeskanzler ins „EU-Ausland“ kommen, wenn in Portugal der Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs stattfindet.
- Österreichs Botschafter werden in den EU-Mitgliedsländern bis auf Weiteres nur „auf technischer Ebene“ empfangen, also von Beamten. Zu leibhaftigen Ministern werden unsere Botschafter nicht mehr vorgelassen.
- Österreicher, die sich um einen internationalen Posten bewerben, werden von der Union nicht mehr unterstützt. Ausgerechnet Schüssels Vorgänger, Erhard Busek, dürfte das erste Opfer dieser Maßnahme werden: Er sollte im Rahmen des „Stabilitätspakts für den Balkan“ die Unterabteilung Menschenrechte übernehmen. Daraus wird jetzt wahrscheinlich nichts.
Ungeklärt sind noch die Auswirkungen des Boykotts auf den OSZE-Vorsitz, den Österreich bis Ende 2000 innehat. Österreich plant heuer zum 25. Jahrestag der KSZE-Schlussakte von Helsinki einen internationalen Festakt. Dabei ist schon jetzt fraglich, ob alle Außenminister westlicher OSZE-Staaten zum regulären Treffen im nächsten Herbst in Wien erscheinen werden.
Österreichs Botschafter bei der EU, der Schüssel-Vertraute Gregor Woschnagg, zeigte sich im Gespräch mit profil fassungslos: "Die Entwicklung ist für das Funktionieren der EU gefährlich. Was heute gegen Österreich gerichtet ist, kann morgen ein anderes Land treffen. So etwas haben wir in der EU noch nicht erlebt."
Woschnagg hat Recht: Die EU-Maßnahmen gegen Österreich sind ein bewusst gesetzter Akt eines neuen Integrationsverständnisses: Nicht mehr der freizügige Warenverkehr oder die Kontrolle der Außengrenzen sind ab sofort ein gemeinsames europäisches Anliegen, sondern auch die politische Hygiene in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Es werde, so der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen vergangenen Mittwoch programmatisch, "einfach nicht mehr hingenommen, dass man in Europa Wahlen mit fremdenfeindlichen und rassistischen Parolen gewinnen kann. Diese Zeiten sind vorbei - und ich bin froh darüber". Die europäische Hochdiplomatie fand im Verlauf der bewegten Woche zunehmend Gefallen am neuen Kurs.
"Ein Qualitätssprung", befand Italiens Außenminister Lamberto Dini am Freitag vor dem Senat in Rom. Seine finnische Amtskollegin Tarja Halonen meinte, man habe handeln müssen, "damit wir uns nicht eines Tages den Vorwurf machen müssen, nicht wachsam genug gewesen zu sein". Den Europäern steckt immer noch das Versagen der Diplomatie im Fall der Jugoslawien-Tragödie in den Knochen. Sie ist für das jetzige Vorgehen der Referenzfall: Haider wie Milosevic repräsentierten das "Europa der Nationalisten", meint der deutsche Außenminister Joschka Fischer im profil-Interview, und das dürfe nicht hingenommen werden. Am entschlossensten ist der Widerstand allerdings in Frankreich und Belgien - wohl nicht zuletzt wegen der Beleidigungen durch Jörg Haider, aber nicht nur deshalb.
In beiden Ländern wird Österreich seit jeher in starken Zusammenhang mit Nazi-Verbrechen gebracht. Außerdem besteht die Sorge, dass durch die Regierungseinbindung der FPÖ die eigenen rechtsextremen Parteien Auftrieb erhalten könnten. Am radikalsten ging Belgiens liberaler Außenminister Louis Michel vor: Er riet sogar vom Skilaufen in Österreich ab.
Laut einer Untersuchung des Marketing-Professors Günter Schweiger von der Wiener Wirtschaftsuni werden etwa Neonazi-Bewegungen von Schweden, Griechen und Engländern viel eher mit Deutschland assoziiert als mit Österreich. Franzosen, Belgiern, aber auch Niederländern und natürlich den Bürgern Israels fällt dazu aber überdurchschnittlich oft Österreich ein.
Einschlägige politische Ereignisse verstärken dieses Bild. In den USA etwa fiel vor der Waldheim-Affäre nur etwa 15 Prozent der Befragten zum Thema Nazi auch der Name Österreich ein, 1989, nach der Affäre, waren es fast 50 Prozent. Die Welle des Protests hat erste Folgen: Israels Botschafter verließ bereits Wien. Seine US-Kollegin Kathryn W. Hall wurde nur zur Berichterstattung heimgeholt. Wien wird wohl weder den Zuschlag für die "World Anti-Doping Agency" bekommen, noch Sitz der EU-Behörde für Lebensmittelkontrolle werden. Nur die schon tätige EU-Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wird im April feierlich eröffnet werden. Wohl auch als Wachturm für Österreich.
Bei der Durchsetzung von nationalen Anliegen wie Verlängerung des Transitvertrags werden in der Union die Partner fehlen. Die Kongresswirtschaft ist bereits von schmerzhaften Stornos betroffen (siehe auch Seite 62), als Erstes wurde - eh klar - der für März in Wien angesetzte "Europäische Rabbiner-Kongress" abgesagt. Der große Radiologen-Kongress 2001 wackelt, der für 2002 ist so gut wie abgeblasen. Wiens Finanzstadträtin Brigitte Ederer musste eine Pressekonferenz in Brüssel abblasen. Sie wollte ein neues Call-Center präsentieren, zu dem eine belgische Firma das Know-how beisteuerte: Das belgische Wirtschaftsministerium verbot der Firma die Teilnahme. Die ehemalige Europa-Staatssekretärin befürchtet, "dass man uns künftig auch bei den EU-Förderungen strenger behandeln wird als bisher".
Auch ein österreichisches Nationalheiligtum, der Opernball, ist in Mitleidenschaft gezogen. Das Nobelfest sollte dem EU-Präsidentschaftsland Portugal gewidmet sein - mit portugiesischem Blumenschmuck und Vinho Verde. Inzwischen sagte allerdings sowohl Portugals Präsident Jorge Sampaio, als auch der griechische Ministerpräsident Konstantin Simitis ab. Damit sind zehn Top-Logen wieder zu haben.
Seine Visite abgesagt hat auch der NATO-Oberkommandierende US-General Wesley Clark, der einen Termin mit Wolfgang Schüssel vereinbart hatte.
Verschwörungstheorien
ÖVP und FPÖ hegen den Verdacht, die Strafexpedition der EU könnte von Wien aus in Gang gesetzt worden sein.
Das ist grotesk", erklärt Michael Steiner, außenpolitischer Berater des deut-schen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, zum Verdacht von ÖVP und FPÖ, Bundeskanzler Klima und Bundespräsident Klestil hätten die Strafaktion der EU durch Interventionen im Ausland selbst bestellt. "Seit Monaten haben alle möglichen EU-Politiker, darunter auch Konservative, die ÖVP vor den Folgen einer Regierungsbeteiligung der FPÖ gewarnt. Jeder, der hören wollte, konnte hören. Als dann all diese Warnungen nichts bewirkt haben, mussten wir reagieren. Aus einem Grund: Wir wollen solche Parteien wie die FPÖ in den EU-Hauptstädten nicht hoffähig machen."
An der Erklärung der 14 EU-Partner über die gegen Österreich einzuleitenden Sanktionen haben federführend Mitarbeiter des Kabinetts Schröders gearbeitet. Anregungen kamen aber auch von Frankreichs Staatspräsidenten Jacques Chirac und von Premier Jose Maria Aznar, beide konservative Politiker.
EU-Beobachter erstaunte freilich die Tatsache, wie schnell sich die 14 EU-Partner auf so schwer wiegende Sanktionen geeinigt hatten. "Es ist schon auffällig, wie rasch und wie hart man gegen ein kleineres EU-Land vorgegangen ist", meint der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Lamers. "Haider ist keine appetitliche Erscheinung. Aber die Reaktion ist von Inhalt und Form her überzogen und inakzeptabel. Warum billigt man in der EU nur Kommunisten zu, lernfähig zu sein?"
Die Erklärung der 14 wurde am vorvergangenen Wochenende von der portugiesischen EU-Präsidentschaft an alle EU-Staats- und Regierungschefs weitergereicht. Hinter dem Rücken der österreichischen Diplomatie. Erst zwei Stunden, bevor die offizielle Drohung der portugiesischen EU-Präsidentschaft am vorigen Montag veröffentlicht wurde, wurden auch Klima und Klestil aus Lissabon benachrichtigt. Noch-Außenminister Schüssel erfuhr die harsche Botschaft aus einer Agenturmeldung.
Gewarnt war er mehrfach worden. Beim EU-Gipfel in Helsinki wurde Wolfgang Schüssel im Dezember von Chirac angesprochen. Luxemburgs christdemokratischer Premier Jean-Claude Juncker war von Schröder und Jospin ersucht worden, Schüssel vor einer Koalition mit der FPÖ zu warnen. Schüssel: "Juncker hat mich nur nach dem Stand der Regierungsverhandlungen gefragt." Er vermutet hinter den Sanktionen eine "parteipolitisch gesteuerte Kampagne". Demnach hätte Bundeskanzler Klima beim "Holocaust"-Forum in Stockholm seine SP-Kollegen über das Scheitern seiner Gespräche mit Schüssel informiert und um Protestaktionen gebeten.
Klimas Pressesprecher Josef Kalina bestätigt Gespräche über Österreich in Stockholm. "Natürlich wurde er mehrfach auf die Regierungsbildung angesprochen. Aber er hat ganz sicher nicht um Proteste gebeten. Dass die kommen würden, war jedem klar. Auch Schüssel."
Unfreiwilliger Kronzeuge für die Verschwörungstheorie ist der dänische Premierminister Poul Nyrup Rasmussen. Er soll nach den Angaben einer konservativen dänischen Zeitung dem außenpolitischen Ausschuss in Kopenhagen über Klimas Interventionen berichtet haben. Auch Klestil soll bei Chirac um Schützenhilfe gebeten haben, meldete die französische Agentur afp unter Berufung auf Regierungsvertreter in Paris. Dies ließen die Sprecher beider Politiker umgehend dementieren. Es habe sich um einen normalen Meinungsaustausch gehandelt. FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler: "Wenn die höchsten Staatsrepräsentanten für die internationale Kritik verantwortlich sind, wäre das ein handfester Staatsskandal." Doch die Indizien dafür sind bisher eher dürftig ausgefallen. (OL)
Eine umfassende Gegenstrategie des Wiener Außenministeriums ist vorderhand nicht zu erkennen. In Vorbereitung scheint ein eher plumper Konter. Ende vergangener Woche wurden die österreichischen Botschaften schriftlich aufgefordert, "sehr dringend" Informationen darüber nach Wien zu kabeln, wo in ihren Gastländern "rechtspopulistische (radikale) Parteien" in welcher Stärke in Regional- und Kommunalregierungen vertreten sind.
Die neue Außenministerin Benita Ferrero-Waldner kündigte an, alle Interview-Wünsche ausländischer Medien akzeptieren zu wollen.
Vielleicht ist darunter auch jener der chinesischen Wochenzeitung "Huanjiu Shibao", die die EU-Sanktionen lobte und Österreich ernsthaft mahnte: "Wenn solche verrotteten Ansichten (gemeint sind jene Haiders, Anm. d. Red.) noch einen Markt haben, weist dies auf Defizite des Regierungswesens hin."
Aus dem Archiv (profil 6/2000)