Die Schleierhafte

Die Schleierhafte: Carla Amina Baghajati ist die PR-Beauftragte des Islam in Österreich

Porträt. Carla Amina Baghajati ist die PR-Beauftragte des Islam in Österreich

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Carla Amina Baghajati ist außer Atem. Sie hat sich extra beeilt, um nicht zu spät zum Termin zu kommen. Jetzt muss sie sich trotzdem entschuldigen. „Darf ich vorher noch kurz telefonieren? Es dauert nicht lange, nur ein paar Minuten.“ Der Radiosender Ö1 hat sich gemeldet und will, jetzt sofort, eine Stellungnahme für das Mittagsjournal. Es geht um die wachsende Radikalisierung junger Muslime. Baghajati sagt, was sie zu diesem Thema immer sagt: Mehr Aufklärung sei nötig. Theologische Begriffe wie Dschihad würden falsch verstanden. Guter Religionsunterricht könne helfen.

„So, jetzt schalte ich mein Handy aus“, erklärt sie nachher und setzt sich in einen der wuchtigen Sessel mit orientalischem Dekor, die im Büro der Islamischen Glaubensgemeinde (IGGiÖ) im siebten Wiener Gemeindebezirk herumstehen. Eigentlich sei ihre Arbeit ehrenamtlich, seufzt sie. „Aber wahrgenommen wird das hier inzwischen als eine Stelle, die rund um die Uhr erreichbar sein muss.“

Baghajati ist Medienreferentin der IGGiÖ und damit seit Jahren so etwas wie die PR-Beauftragte der Religionsgemeinschaft. Wann immer der Islam zum Thema wird, muss sie bereitstehen und soll Erklärungen liefern. Ein einfacher Job ist das nicht, denn sehr oft geht es um kaum Erklärbares. Derzeit lautet die brennendste Frage, was österreichische Muslime dazu bringt, sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Warum riskieren junge Männer und sogar einige Frauen aus einem demokratischen, freien Land ihr Leben im Dienst einer solchen Mörderbande? Das habe wohl eher einen psychologischen Hintergrund als einen religiösen, meinte Baghajati am Sonntag vergangener Woche in der ORF-Sendung „Im Zentrum“.
Praktisch alle Religionen gelten als Männerbastionen. Wenn eine kluge Frau von Amts wegen über den Islam spricht, bringt das zunächst einmal Pluspunkte. Baghajati argumentiert mit leiser, angenehmer Stimme und wohlformulierten Sätzen. Stets bleibt sie freundlich, ruhig und auf eine professionelle Art distanziert. Mit ihren Fähigkeiten hätte sie das Role Model für eine moderne Muslimin werden können. Aber falls sie das je wollte, ist das Projekt gescheitert. Carla Amina Baghajati lässt ihr Publikum meistens ziemlich ratlos zurück.

Koran statt den „Satanischen Versen“
Geboren wurde die heute 48-Jährige in Mainz – als Tochter einer katholischen Mutter und eines protestantischen Vaters. Carla Siebrasse, so heißt sie damals, führt das normale Leben eines deutschen Teenagers. An ein „sehr liebevolles, warmes Elternhaus“ erinnert sie sich heute. Nach dem Abitur geht sie nach Wien. Sie studiert vergleichende Literaturwissenschaft und absolviert eine Schauspielausbildung am Konservatorium. Elfriede Ott ist eine ihrer Lehrerinnen. 1989 wird für die junge Frau das Jahr, in dem sich alles ändert. Der iranische Ayatollah Khomeini erlässt eine Fatwa, ein Todesurteil, gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Aus Neugier geht Carla Siebrasse in eine Buchhandlung, um sich die „Satanischen Verse“ zu kaufen. Gleich daneben liegt eine Übersetzung des Korans, und statt für den Roman entscheidet sie sich für die heilige Schrift.

Wenig später konvertiert sie zum Islam, nennt sich „Amina“ (nach der Mutter des Propheten) und heiratet den in Wien lebenden Syrer Tarafa Baghajati. Fünf Jahre danach will sie ihrer Überzeugung auch äußerlich Ausdruck verleihen und beschließt, ein Kopftuch zu tragen – im strengen Hidschab-Stil.

Es macht nachträglich kein sehr stimmiges Bild, dass ausgerechnet die Fatwa gegen Salman Rushdie einst den Anstoß gab. Fand sie das etwa gut? „Natürlich nicht, das regt mich bis heute auf. Allerdings wurde diese sogenannte Fatwa in der islamischen Welt auch ganz scharf zurückgewiesen.“ Damals sei ihr bereits aufgefallen, wie schwer es sei, gegen die radikalen Töne aufzutreten, sagt Baghajati. Hat sie die „Satanischen Verse“ inzwischen gelesen? „Nur in Auszügen. Aber ich würde Salman ­Rushdie sehr gerne einmal treffen. Das wäre ein spannendes Gespräch.“

Es ist mitunter mühsam, Baghajati zu folgen. In ihrer Argumentation fällt kaum ein klares Ja oder ein dezidiertes Nein. Sie ist eine Meisterin der Relativierung, des Einschränkens, des Sowohl-als-auch. Die fein gedrechselten Sätze werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Ihre unerschütterliche Höflichkeit wirkt wie eine Gummiwand, von der alles abprallt, ohne eine Spur zu hinterlassen. Wie sie da sitzt, züchtig gewandet und fast bewegungslos, scheint sie aus einer anderen Welt zu ­kommen. Man könne mit Baghajati nicht diskutieren, weil sie einfach nicht festmachbar sei, meint der Islamexperte und Politologe Thomas Schmidinger. „Sie redet viel, aber sie sagt wenig.“

Fast gleichgültig, welches konkrete Problem der Religion gerade zur Debatte steht: Baghajatis Ausführungen enden stets mit dem Aufruf zu mehr Dialog, mehr Rücksichtnahme, mehr Verständnis. Daran wäre nichts auszusetzen. Leider richten sich diese Forderungen fast ausschließlich an Nicht-Muslime. Als die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ vor acht Jahren Mohammed-Karikaturen publizierte und es daraufhin in einigen muslimischen Ländern zu blutigen Straßenschlachten mit Dutzenden Toten kam, schrieb Baghajati in einem Gastkommentar von den „Grenzen der Provokation“. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, fand sie. „Die Folgen gezielter Herabwürdigung einer Religion haben in der jüngsten europäischen Geschichte aufgezeigt, dass damit nicht leichtfertig umzugehen ist.“ Das würde sie auch heute noch unterschreiben – obwohl die vielen Toten natürlich schrecklich waren.

Kein Hort des Liberalismus
Zur Not behilft sich Baghajati mit dem Hinweis auf Übersetzungsfehler und Fehlinterpretationen. Fragt man sie etwa, was sie von der Scharia hält, gibt es erst einmal eine sanfte Kopfwäsche: „Allein die Art der Fragestellung zeigt, welch großen Definitionsbedarf wir haben. Die Scharia ist doch nicht in Stein gemeißelt, sondern höchst dynamisch.“ Wörtlich übersetzt bedeute Scharia lediglich „Der Weg zur Quelle“. Die Auslegung dieses Prinzips sei ein bis heute andauernder Prozess. Dass die Scharia, wo sie in Kraft ist, meist mit drakonischen Strafen für Ehebruch und ähnliche Delikte einhergeht, räumt Baghajati ein. „Aber darüber können wir uns doch gemeinsam aufregen, oder? Ich finde entsetzlich, was in Afghanistan passiert.“ Dann fügt sie noch hinzu, dass sie persönlich natürlich auf dem Boden des österreichischen Rechtsstaates stehe.

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten ärgerlich wird Baghajati, wenn sie hört, der Islam brauche vielleicht so etwas wie eine Aufklärung, um endlich im Hier und Heute anzukommen. „Dieser Satz entspringt einer sehr westlichen, fast kolonialistischen Überlegenheitspose. Die europäische Aufklärung hätte ohne die Denkleistungen im orientalischen Raum gar nicht stattgefunden“, doziert sie.

Obwohl sie das nicht zugeben würde, steht Baghajati für eine wesentlich konservativere Auslegung des Islam als die meisten Muslime in Österreich. Auch die Führungsmannschaft der IGGiÖ gilt nicht gerade als Hort des Liberalismus. Präsident Fuat Sanac war für die umstrittene Milli Görüs-Bewegung aktiv, Mustafa Mullaoglu, Mufti der IGGiÖ, sprach vor ein paar Jahren noch öffentlich über seinen Traum von einem osmanischen Reich.
Die Glaubensgemeinschaft ist die größte muslimische Dachorganisation des Landes und ein wichtiger Ansprechpartner der Politik. Aber beileibe nicht alle Muslime sind mit der IGGiÖ glücklich: „Es stört mich, dass diese Leute den Anspruch erheben, uns zu vertreten“, meint etwa Birol Kilic, Obmann der türkischen Kulturgemeinde. „Wir wünschen uns eine säkulare Gesellschaft und nicht diesen politischen Islam.“ Amer Albayati, Sprecher der Intiative liberaler Muslime, wirft Baghajati „Volksverdummung“ vor, weil sie das Wort „Dschihad“ mit „Anstrengung“ übersetzt und als Beispiel die Bemühungen von Kindern in der Schule nannte. „In Wirklichkeit wird Dschihad als blutiger Kampf verstanden.“

Die Glaubensgemeinschaft hat mehrfach ihr Entsetzen über die Gräueltaten selbst ernannter Gotteskrieger deponiert. Carla Amina Baghajati fand ausnahmsweise klare Worte in diesen Aussendungen. Doch Kundgebungen und Demonstrationen wie in anderen Ländern gab es in Österreich bisher nicht. Man habe darüber nachgedacht, sagt Baghajati. Vielleicht werde es dazu noch kommen. Sehr groß scheint das Vertrauen in die eigene Mobilisierungskraft allerdings nicht zu sein. „Stellen Sie sich vor, wir setzen einen Termin an, und dann regnet es.“

Foto: Monika Saulich für profil

Rosemarie Schwaiger