Ein Jahr Corona in Österreich: Die große Umfrage

Viele ÖsterreicherInnen sind grantig, fühlen sich hinter das Licht geführt und sorgen sich um Freiheit und Demokratie. Ein Einblick in die Stimmungslage nach einem Jahr Pandemie.

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Die Corona-Krise hatte in Österreich gerade erst begonnen, als das Wiener Markt- und Meinungsforschungsinstitut Integral im März 2020 erstmals ins Feld ging. Seither wird das Auf und Ab der Stimmungslage im virusgeplagten Land regelmäßig vermessen. Die aktuelle Erhebung ist die fünfte aus der Serie "Milieus und Krise". 1000 Online-Befragungen, repräsentativ für die Bevölkerung zwischen 16 und 69 Jahren, wurden ausgewertet. profil und Kurier erhielten Einblick in die Ergebnisse.

Achtung, Verschwörung!

Ein diffuses Unbehagen, dass "die Mächtigen gegen das Volk" agieren, macht sich breit. Sechs von zehn Befragten meinen, man sage ihnen "über die Ursachen der Pandemie nicht die Wahrheit". Der Wert überraschte selbst die Studienautoren. Etwa jeder Zweite denkt, das Virus sei in Bio-Waffen-Laboren entwickelt und entweder versehentlich oder gar absichtlich in Umlauf geraten. Immerhin jeder Dritte glaubt, dass Impfen mehr schade als nütze (Jüngere: rund 40 Prozent). Zum harten Kern der Verschwörungsanhänger zählt ein Fünftel der Befragten.

Aufschlussreich ist hier der Vergleich mit Deutschland, wo das grundsätzliche Gefühl, dass mit "Corona irgendetwas nicht stimmt" zwar ähnlich stark ausgeprägt ist, nicht jedoch die Zustimmung zu konkreten Unterstellungen. Dass das Coronavirus auch als Vorwand für Freiheitsbeschränkungen diene, halten in Österreich 44 Prozent für plausibel, in Deutschland nur 30 Prozent. Der sinistre Verdacht, die Pandemie könnte "erlogen und erstunken" sein, setzt sich vor allem in der "bürgerlichen Mitte" fest. Aber nicht nur. Auch das junge Lifestyle-Milieu der "digitalen Individualisten" und die junge, hedonistische Unterschicht hegen ein starkes Misstrauen.

Viruslast

Das Virus brauchte wenige Wochen, um die Gedanken zu beherrschen. Im März 2020 beschäftigte das Thema so gut wie alle (88 Prozent). Inzwischen ist wieder Platz für andere Belange. Trotzdem bleibt Corona für das Gros relevant. Ein Fünftel nimmt es jedoch nicht ernst. Vor einem Jahr war die Ignoranz deutlich geringer (12 Prozent).

Grün-Wähler befassen sich am intensivsten mit der Pandemie (93 Prozent). Im FPÖ-Lager kümmert sich fast ein Drittel nicht um das Virus. Auch zwischen Wienern und Nichtwienern klafft eine Lücke: Während sich in der Bundeshauptstadt 86 Prozent damit auseinandersetzen, sind es außerhalb 79 Prozent. In den gehobenen Milieus ("Konservative", "Etablierte" und "Performer") ist der Respekt vor dem Coronavirus und seinen Mutationen am größten. Am wenigsten ernst nimmt man die Bedrohung in der "bürgerlichen Mitte" und in der traditionell gepolten Unterschicht. Unter den FPÖ-Anhängern grassiert die Sorglosigkeit: 32 Prozent nehmen die Mutationen "eher nicht" und ebenso viele "überhaupt nicht" ernst. Interessant ist auch hier der Vergleich mit Deutschland, wo die Wachsamkeit insgesamt höher ist: 86 Prozent betrachten Corona als Gefahr, hierzulande sind es 79 Prozent.

Impftiraden

Drei Viertel würden sich impfen lassen, wobei die Bereitschaft sowohl mit dem Alter als auch mit der Bildung steigt. Wiener zeigen sich deutlich impfwilliger als Nichtwiener. Die Gegner sammeln sich im FPÖ-Lager, wo sich 42 Prozent ziemlich sicher nicht impfen lassen. Die Befürworter wiederum tummeln sich vermehrt im Grünen-Lager. Auch die gehobenen Milieus sind zur Impfung entschlossen ("Performer" etwa zu 70 Prozent), während in der von einem grundsätzlichen Misstrauen angenagten "bürgerlichen Mitte" sich nur vier von zehn "auf jeden Fall" piksen lassen. wollen.

Sollen damit Vorteile verknüpft werden? Auch danach fragten die Forscher. Fazit: 70 Prozent sind für Erleichterungen. Freilich: Unter FPÖ-Wählern spricht sich jeder Zweite klar dagegen aus.

Sorgenvoll

Die größten Sorgen macht man sich weiterhin um die wirtschaftliche Entwicklung (87 Prozent). Dahinter verschoben sich jedoch die Gewichtungen: Die gesellschaftlichen Folgen bereiten 85 Prozent Kopfzerbrechen (um 12 Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr). Die Sorge um die Gesundheit naher Angehöriger und Freunde bleibt hoch (74 Prozent). Dahinter rangieren inzwischen die möglichen Schäden für Demokratie und persönliche Freiheit (69 Prozent, plus 14 Prozentpunkte gegenüber März 2020).

Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut erhob für profil, wie die Normalität nach der Krise aussehen könnte. Fazit: Das Gros der Befragten rechnet damit, dass sowohl Homeoffice als auch Internet-Einkäufe auf hohem Niveau bleiben und Restaurantbesuche, Bars, Clubs irgendwann wieder zum Leben gehören. Was das Einkaufen betrifft, zeigen die Jungen wenig Lust, zum alten Status quo zurückzukehren "Der stationäre Handel wird sich etwas einfallen lassen müssen, damit ihm der Nachwuchs nicht abhandenkommt", so die Integral-Geschäftsführer Bertram Barth und Martin Mayr. Fast ein Viertel der Befragten geht davon aus, dass künftig weniger ins Ausland gereist wird.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie: 59 Prozent stellen sich auf ähnliche Gesundheitskrisen in den nächsten fünf Jahren ein, um fünf Prozentpunkte mehr als noch im Oktober 2020.

Optimismus

Im Jahr 2018 schauten 70 Prozent optimistisch in ihre persönliche Zukunft. Im Herbst des Vorjahres schrumpft die Mehrheit der Zuversichtlichen auf 64 Prozent. Inzwischen liegt sie wieder bei 68 Prozent, fast so, als hätten wir die Pandemie schon hinter uns.

Gebildete, Bessergestellte und Jüngere schreiten frohgemut voran. Für die Moll-Akkorde sind eher die Älteren zuständig. Meister des düsteren Faches sind freilich die FPÖ-Anhänger: Hier kommen die Pessimisten auf 59 Prozent. Ein "eigentlich normales" Bild, konstatieren die Integral-Geschäftsführer Barth und Mayr. Sprich: In virenfreien Zeiten fällt es ähnlich aus. Pandemiebedingte Verschiebungen zeigen sich vor allem in den Milieus: Während in der traditionellen und konsumorientierten Unterschicht nur jeder Zweite hoffnungsvoll nach vorn schaut, sind es im gehobenen und modernen Milieu der "Performer" 83 Prozent. "Packen wir es an", lautet hier das Credo.

Geht es allerdings nicht um einen selbst, sondern um das Land, schmilzt die Zuversicht: Für Österreich sehen nur 57 Prozent rosa, um 11 Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr. In der "bürgerlichen Mitte", die laut Integral-Milieuforschern auch schon vor der Pandemie das Gefühl quälte, dass "alles den Bach hinuntergeht", sammeln sich besonders viele Pessimisten.

Schau, trau, wem

2015, im Jahr der Flüchtlingskrise, war das Ansehen der Institutionen am Tiefpunkt angelangt. Mittlerweile sind die Vertrauensdellen repariert. 73 Prozent halten große Stücke auf die Justiz, etwas weniger auf die Regierung (59 Prozent), das Parlament (58) und die politischen Parteien (41). Traut man ihnen auch Lösungen zu? Zu Beginn der Pandemie lagen die Regierungsparteien deutlich voran, die Opposition schien abgemeldet. Inzwischen hat sich die Lage gedreht: Bei der ÖVP-Grünen-Koalition ist der Lack ab, nur mehr sechs von zehn trauen ihr zu, mit den Problemen fertigzuwerden (März 2020: 71 Prozent). Das Vertrauen in die Opposition hingegen wuchs (56 Prozent).

Das Gesundheitswesen, das Bundesheer, die Polizei, humanitäre Organisationen wie das Rote Kreuz stehen hoch im Kurs, aber auch der ORF und die Sozialpartner gelten als krisenfeste Institutionen. Der EU-Kommission und dem EU-Parlament gestehen hingegen nur jeweils 36 Prozent zu, bei der Pandemiebewältigung nennenswert geholfen zu haben.

Bei den "Rechtspopulismus-Items" pendelt sich die Zustimmung auf das hohe Niveau vor der Corona-Krise ein: 84 Prozent meinen, die "meisten Politiker hätten keine Ahnung, wie es normalen Menschen geht", 77 Prozent empfinden eine "zunehmende soziale Kälte" in der Gesellschaft, und jeder Zweite findet, er habe vom Staat "gar nichts". Neu ist die Frage, ob es im "Krisenfall einen starken Führer" brauche: Hier stimmen ganze 48 Prozent zu. Der autoritären Ansicht, in schwierigen Zeiten solle ein starker Mann "anschaffen" und nicht von "langwierigen Abstimmungen im Parlament" gebremst werden, neigt man sowohl in der gesellschaftlichen Mitte zu als auch bei den "digitalen Individualisten".

Maßnahmencheck

Die Pandemiebewältigung startete mit einem Schulterschluss. 80 Prozent der Bevölkerung standen im März des Vorjahres hinter den Anstrengungen der Regierung, das Virus einzudämmen. Drei Viertel hielten sie für "angemessen". Davon ist bestenfalls ein müder Abklatsch übrig: Heute bewerten nur mehr 31 Prozent das politische Corona-Krisenmanagement positiv; für "sehr gut" halten es verschwindende acht Prozent. Jeder dritte Befragte (31 Prozent) lehnt die Arbeit der Regierung ab. 

Das Land driftet auseinander: Jedem Dritten gehen die Maßnahmen zu weit, jedem Vierten zu wenig weit. Zu den Getreuen der Regierung zählen-wenig überraschend-vor allem ÖVP-und Grün-Wähler. Drei Viertel der FPÖ-Anhänger verteilen schlechte Noten. Aber auch unter den Jüngeren sieht man die Regierung kritisch. Hinter ihr stehen vor allem traditionelle und etablierte Milieus. Zum Vergleich Deutschland: Die generelle Zustimmung zu den Anti-Corona-Maßnahmen ist mit 41 Prozent exakt wie hierzulande, allerdings wünscht man sich in Deutschland eher noch mehr Strenge (34 Prozent) als Lockerheit (25 Prozent).

Demo-Fieber

Etwa ein Drittel steht den Anti-Corona-Protesten grundsätzlich positiv gegenüber. Vor allem Männer, Jüngere und FPÖ-Wähler haben für die Straßenaktionen ohne Maske und Abstand besonders viel übrig. In der hedonistischen Unterschicht, wo alles Anklang findet, das Anti-Mainstream ist, hält jeder Zweite die Aufmärsche für gut, in der Lifestyle-Avantgarde der "digitalen Individualisten" sind es nicht viel weniger (45 Prozent).

Das Leben danach

Die Bevölkerung hat genug: Fast 60 Prozent empfinden die Lockdown-Maßnahmen als belastend, doch glaubt nicht einmal jeder Dritte, dass die Rückkehr zur Normalität noch heuer möglich sein wird.

Jeder Zehnte - unter ihnen viele FPÖ-Wähler - meint gar, der Pandemiemodus bleibe uns auf Dauer erhalten. An der Raunzermentalität der Landsleute liegt es dieses Mal nicht. Die Datenlage in Deutschland ist fast deckungsgleich. Immerhin können die Österreicherinnen und Österreicher der Krise auch positive Seiten abtrotzen. Fast jeder zweite Befragte bemerkt ein steigendes Gesundheitsbewusstsein und ein besseres familiäres Zusammenleben. Das Homeoffice könnte die Krise überdauern. Die Zukunft gehört dem "Hybridbetrieb": 65 Prozent wünschen sich, zwischen Büro und eigenem Wohnzimmer wechseln zu können. Zumindest in diesem Punkt ist man sich landauf, landab recht einig.

Die Geschichte hinter der Geschichte

Vor acht Jahren veröffentlichte profil eine Titelgeschichte zu den heimischen Sinus-Milieus und machte sie damit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Mit diesem Modell werden Menschen zusammengefasst, die ähnlich denken, wohnen, konsumieren und auch wählen. Knapp erklärt: Je weiter oben ein Milieu in der Grafik liegt, desto wohlhabender und gebildeter ist es, entsprechend höher ist auch der soziale Status. Je weiter links ein Milieu angesiedelt ist, desto mehr gilt hier das Althergebrachte. Zu den gehobenen Milieus zählen - von links nach rechts - die Konservativen, die Etablierten, die Postmateriellen, die Performer und die Digitalen Individualisten. Das gesellschaftliche Zentrum bilden die "Bürgerliche Mitte" und die etwas jüngeren "Adaptiv-Pragmatischen", während die Unterschicht und die untere Mittelschicht - wieder von links nach rechts - aus Traditionellen, konsumorientierter Basis und Hedonisten bestehen. In Österreich werden die Sinus-Milieus seit 2001 vom Marktforschungsunternehmen Integral erhoben. profil berichtet regelmäßig über Erkenntnisse.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges