Einbürgerung: Der Streit um Doppelstaatsbürgerschaften

Einbürgerung: Der Streit um Doppelsstaatsbürgerschaften

Über Doppelstaatsbürgerschaften ist in Österreich erstaunlich wenig bekannt. Umso hitziger wird nun debattiert.

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In Schweden müsste längst das Chaos ausgebrochen sein: 57 Prozent der zweiten Generation von türkischen Einwanderern besitzen dort eine doppelte Staatsbürgerschaft. In der Schweiz sind es sogar 63 Prozent. Doch aus den beiden Ländern kommen keinerlei entsprechende Alarmsignale. Weder hört man von Planquadraten vor Botschaften noch von landesweiten Null-Toleranz-Aktionen.

Die Zahlen entstammen einer europäischen Studie aus dem Jahr 2008. "Möglicherweise liegen sie inzwischen höher“, sagt Migrationsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger, die den Österreich-Teil des Forschungsprojeks leitete. Befragt wurden Kinder von Einwanderern zwischen 18 und 35 Jahren. Für Österreich weist die Erhebung in der türkischstämmigen zweiten Generation zwölf Prozent Doppelstaatsbürger aus. Das ist der niedrigste Wert von acht untersuchten Ländern (Frankreich: 54 Prozent, Deutschland: 36 Prozent).

Ausgerechnet hierzulande aber sorgen Doppelstaatsbürgerschaften derzeit für heftige Aufregung. Verantwortlich dafür ist der zusehends rabiate Wahlkampf des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der auch die Diaspora mobilisiert. Dass sich viele türkischstämmige Österreicher nach ihrer Einbürgerung verbotenerweise ihre alte Staatsbürgerschaft zurückgeholt (oder gar nie abgelegt) haben, gilt schon lange als offenes Geheimnis. Man nahm es bisher mit resignativem Schulterzucken hin. In der aufgeheizten Stimmung vor dem türkischen Referendum am 16. April wird der Missstand zum Skandal aufgebauscht.

Weder Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) noch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wollen Doppelstaatsbürger länger akzeptieren. Die Regierung betraute Experten damit, zu prüfen, wie das Problem gelöst werden könnte. Tatsächlich muss spätestens zwei Jahre nach einer Einbürgerung die frühere Staatsbürgerschaft zurückgelegt werden.

Empirische Lücke

Wie viele Türken eingebürgert wurden und dafür ihre alte Staatsbürgerschaft zunächst zurückgelegt haben, um sich danach ihre alte unerlaubterweise zurückzuholen, kann man nur schätzen. Die Kontrollen funktionieren, sofern die Staaten zusammenarbeiten. Deutschland etwa meldet Einbürgerungsanträge von Österreichern routinemäßig; die Türkei tut dies schon seit Jahren nicht einmal mehr sporadisch. Unrechtmäßige Besitzer eines Zweitpasses fliegen deshalb, wenn überhaupt, eher zufällig auf.

Für diese empirische Lücke kann Österreich nichts, für andere sehr wohl. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen liegen nämlich selbst jene Daten nicht vor, die man problemlos erheben könnte, etwa die Zahl der legalen Doppelstaatsbürger. "Da pocht der Staat auf Alleinstellung bei der Staatsbürgerschaft und will dann nicht einmal wissen, wie viele Ausnahmen er einräumt“, wundert sich der Einbürgerungsexperte Gerd Valchars. Bei der Volkszählung 2001 hatten sich rund 55.000 Österreicher dazu bekannt.

Grundsätzlich führen zum regulären Doppelpass mehrere Wege. Er kann Menschen sozusagen in die Wiege gelegt werden, wenn ihre Eltern unterschiedliche Staatsbürgerschaften haben. In fast allen Ländern der Welt ist die Doppelstaatsbürgerschaft per Geburt akzeptiert und darf in der Regel auch bis ans Lebensende behalten werden. Österreich bildet hier keine Ausnahme. Heiratet etwa ein Österreicher eine Türkin, erbt ihr gemeinsames Kind eine austro-türkische Doppelstaatsbürgerschaft. Wer nicht durch Geburt zu einer doppelten Staatsbürgerschaft kommt, kann sie durch Einbürgerung eigentlich nicht mehr erwerben. Österreich gehört unter den 28 EU-Ländern zur Gruppe jener zwölf Staaten, die Mehrstaatlichkeit verbieten.

Allerdings sieht das heimische Verbot von Mehrstaatlichkeit Ausnahmen vor. Nachfahren von Holocaust-Überlebenden erhalten aus historischer Verantwortung neben der israelischen auch eine österreichische Staatsbürgerschaft. Außerdem kommen Sportler, Künstler und andere Persönlichkeiten zu zwei verschiedenen Pässen, wenn ihre "bereits erbrachten und noch zu erwartenden Leistungen“ im Interesse der Republik liegen. Die russisch-österreichische Opernsängerin Anna Netrebko durfte Wladimir Putin bei den Olympischen Spielen in Sotschi sogar ein Ständchen darbieten, ohne sich nach ihren Loyalitäten fragen lassen zu müssen. Normalsterbliche erwerben auf dem Einbürgerungsweg nur dann eine Doppelstaatsbürgerschaft, wenn sie einen im "Privat- und Familienleben für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdigen Grund“ plausibel machen. Ein Haus in der Türkei reicht dafür dem Vernehmen nach nicht, im Unterschied zu Kindern oder pflegebedürftigen Eltern. Das sind anekdotische Eindrücke, weil es keine Auskunft darüber gibt, wie oft die Behörde in diesen Fällen ein Einsehen hat.

Neben den beschriebenen Gruppen von Doppelstaatsbürgern gibt es eine ebenfalls unbekannte Zahl von Eingebürgerten, die sich von ihrer alten Staatsbürgerschaft trennen muss, es praktisch aber nicht kann. Dazu gehören Flüchtlinge, denen man aus guten Gründen nicht zumutet, zur Botschaft des Landes zu gehen, aus dem sie geflüchtet sind; aber auch Einwanderer aus Staaten, die ein Zurücklegen der Staatsbürgerschaft schlicht nicht vorsehen, etwa Afghanistan, Syrien, Libanon oder der Iran.

Rund 90.000 Türken in Österreich wahlberechtigt

Doch um Personen mit diesem Hintergrund geht es nicht, wenn von Doppelstaatsbürgern die Rede ist. Dreh- und Angelpunkt der aktuellen Debatte ist die Türkei. Seit fünf Jahren können Auslandstürken politisch mitbestimmen. Bei der Präsidentenwahl 2014 waren in Österreich rund 90.000 Türken wahlberechtigt, fast jeder zweite gab eine Stimme ab (45 Prozent). Nun baut Erdoğan einmal mehr auf seine weit verstreute Fangemeinde. Rund sechs Millionen Staatsbürger leben außerhalb der Türkei, die meisten in Europa.

Dass nationalistische Politiker die Diaspora irgendwann als Machtbasis nutzen würden, hatte sich abgezeichnet. Anfang der 2000er-Jahre fiel der Migrationsforscherin Herzog-Punzenberger bei einer Konferenz auf, dass die Debatten einen neuen Dreh bekamen. Nicht nur die Türkei entdeckte damals die Auswanderer - die ungarische Regierung drängte Angehörigen der ungarischen Minderheit in der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Serbien die Staatsbürgerschaft förmlich auf. Kroatien brüstete sich mit Emigranten, die aus Australien zurückkehrten, um in ihrer alten Heimat ein Geschäft aufzubauen.

Inzwischen wird mit Staatszugehörigkeit unverhohlen Stimmung gemacht. Dass Doppelpässe zum Symbol für Loyalitätskonflikte stilisiert werden, erweist der Integration einen schlechten Dienst. Das sagt Herzog-Punzenberger mit Blick auf jahrzehntelange einschlägige Forschung. "Nicht zwei Pässe, sondern die Ablehnung bestimmter ethnischer Identitäten führt zu Entfremdung und Rückzug. Die Erzählungen über Zugehörigkeit sind viel wirkmächtiger, als rechtliche Instrumente es je sein können.“

Je ausschließender die Rhetorik, desto eher greifen Einwanderer auf die Traditionslinien ihrer Herkunftskulturen zurück. Nicht das Phänomen von Doppelstaatsbürgerschaften gefährdet den Zusammenhalt, sondern die Art, wie darüber geredet wird. Das Gefühl der Zugehörigkeit kann sich selbst dann einstellen, wenn die objektive Rechtslage dagegen spricht. Herzog-Punzenberger: "In Amerika gibt es viele Menschen, die sich nie einbürgern ließen, sich aber selbstverständlich als Staatsbürger empfinden, weil ihre Zugehörigkeit nicht infrage gestellt worden ist.“ Das könnte sich unter US-Präsident Donald Trump ändern.

Wie rasch Debatten sich drehen, zeigt das Integrationsleitbild, das die Kärntner Regierung erst im Jänner absegnete. Eine von 120 vorgeschlagenen Maßnahmen betrifft die Erleichterung von Doppelstaatsbürgerschaften. Heute würde der Punkt vielleicht entfallen. Auch eine Amnestie für reumütige Bürger, die sich den türkischen Zweitpass verbotenerweise zugelegt haben, erscheint inzwischen abwegig. ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka erklärte vergangene Woche: "Die Staatsbürgerschaft ist eines der höchsten Güter. Einen Missbrauch nicht zu ahnden, sondern straffrei zu stellen, halte ich für untragbar.“ Die SPÖ signalisiert ebenfalls kein Erbarmen. Nur die FPÖ könnte sich vorstellen, das Verbot von Staatsbürgerschaften zu lockern - allerdings nicht für Türken, sondern für Südtiroler.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges