History

Eine Reise durch Kärnten zum 50. Jahrestag des Ortstafelsturms

Kärnten war in seiner Geschichte immer zweisprachig, doch heute ist die slowenische Sprache im Verschwinden und die gefeierte Ortstafel-Lösung ein fauler Kompromiss.

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Der brave Ackergaul, vor den Heuwagen gespannt, wurde vom Vater mit deutschem Befehlston auf Trab gebracht; das Kätzchen, das ihm in der Stube um die Beine strich, bedachte er mit zärtlichen slowenischen Worten. So erinnerte sich der verstorbene Kärntner Schriftsteller Fabian Hafner an die Sprachenwelt seiner Kindheit.

Der Pfarrer von Bleiburg, Ivan Olip, schon ein halbes Jahrhundert im Dienst der Kirche, bekommt ein weiches Gesicht, wenn es um seine Kindheitssprache geht. Er beherrscht Deutsch und Slowenisch gleichermaßen, doch in seinen Träumen spricht er Slowenisch, und wenn er allein sei mit seinem Gott, dann auch. Wenn er auf Slowenisch über Dinge spricht, die ihm nahe gehen, bekomme er leicht nasse Augen, gesteht er.

Das Slowenische ist heute die Sprache der Großeltern, nur noch für wenige die Sprache der eigenen Kindheit. Auch wenn die Anmeldungen für zweisprachige Kindergärten seit einigen Jahren konstant leicht nach oben gehen, bricht der zweisprachige Unterricht nach der Volksschulzeit ab. Experten sagen: Lernt man eine Sprache weniger als sieben Jahre, verfliegt sie wieder. Slowenisch ist in Kärnten zu einer Sprache geworden, die im Alltag keinen Widerhall findet. So sitzt der Pfarrer oft am Sterbebett alter Menschen und übersetzt für die Nachkommen, die nichts verstehen und sich wundern, dass die Oma oder der Onkel überhaupt Slowenisch sprechen, denn in ihrer Erinnerung haben sie es nie getan.

Komm nicht heim. Die bringen dich um. Die Ortstafelstürmer sind bei uns im Hof.

Marian Sturm, Ex-Vorsitzender des Slowenischen Zentralverbands

Der ehemalige Hohe Repräsentant von Bosnien und Herzegowina, der österreichische Diplomat Valentin Inzko, ist noch mit dem Slowenischen aufgewachsen. Wenn er heute durch das Bärental fährt, über holprige Forstwege in den rotgoldenen Herbstrausch der Blätter, hier in eine Schlucht hinein deutet, dort zu Seen und fernen Hügelketten, beschreibt er die berückend schöne Landschaft anhand ihrer-meist fehlenden-zweisprachigen Wegweiser und Ortstafeln. Dort, sein Heimatdorf-Sveče. Vor einem Jahr noch gab es eine Unterschriftensammlung dagegen, Streit im Gemeinderat, traurig, doch ihm werde "warm ums Herz",wenn er die Tafel sieht, auf der nicht mehr allein der deutsche Name steht: Suetschach. Hart spricht er es aus.

Von slowenischen Ortsnamen lernt man allerlei: dass das Dorf auf einem Berg liegt (Göriach/Gorje), rundum Haselnusssträucher stehen, von einem Föhrenwald beschützt wird (Ferlach/Borovlje), Birken, Ahorn oder Hopfen wachsen oder auf einen reißenden Bach (Feistritz/Bistrica) zu achten ist. Die alten slowenischen Namen erzählen Geschichten. Die Pasterze etwa, der Gletscher, heißt "die Hirtin" und stammt aus einer Zeit, als das Eisfeld am Fuße des Großglockners noch grünes Weideland war.

"Verschwinden/Izginjanje" hat die Filmemacherin Andrina Mračnikar ihren neuen Film genannt. Ihr Familienname hat auch eine Geschichte. "Mračnikar" bedeutet Fledermaus. Die Vorfahren hatten ihren Hof am Waldesrand, wo in der Dämmerung die Fledermäuse fliegen.

Mračnikar erzählt von ihrer Familie, den Traumata der Deportation, den Partisanen, vom Umgang der Politik mit den Kärntner Slowenen, von Gemeinheiten und Ignoranz. Das Werk wurde mit dem Publikumspreis der Diagonale ausgezeichnet. Das junge Premierenpublikum in Graz war zum Teil fassungslos, wie schlimm es um das Slowenische bestellt ist.

Es war mehr eine Mutprobe, und es war die allgemeine Stimmung.

Ewald Inzko, Kärntner Slowene, den es heute reut, dass er die Ortstafel in Ludmannsdorf abmontierte.

Im profil-history-podcast berichtet die Filmemacherin von der Wagenkolonne der Ortstafelstürmer, die in einer Oktobernacht 1972 mit aufgeblendeten Scheinwerfern und hupend vor dem Gehöft ihrer Großeltern auftauchten. Sie waren in Panik, sahen sich ins Frühjahr 1942 zurückversetzt, als die ganze Familie abgeholt und in Viehwaggons in deutsche Arbeitslager deportiert worden war. Später auch in Konzentrationslager. Sie drehten das Licht aus, verbarrikadierten sich unterm Dach und beobachteten, wie sich jemand am Scheunentor zu schaffen machte-wollten die hasserfüllten Männer die Scheune in Brand setzen? Nein. Doch es geschah Schlimmes. Am nächsten Tag fanden sie ihre Stute tot, ein Seil um den Hals gewickelt, erhängt.

Diese Wochen haben Kärnten verändert. Nicht, dass es davor für die slowenische Minderheit paradiesisch gewesen wäre, aber die Angst wuchs. Auf der Straße, am Markt, sprach man seltener Slowenisch, weniger Kinder gingen in zweisprachige Volksschulen. Es schade dem Fortkommen, sagten Lehrer bei der Anmeldung in der Schule. Man hörte: "Tschusch-geh obi zum Tito, wenn's dir da nit passt."Die Slowenen begannen zu flüstern.

Ewald Inzko war damals 16 Jahre alt und wurde ein Ortstafelstürmer. Der Cousin von Valentin Inzko war unter Kärntner Slowenen aufgewachsen, doch sein Vater hatte mit ihm selten Slowenisch gesprochen. Zum Unterricht in der Schule war er nicht angemeldet. Seine Volkstanzgruppe wurde von einem Mitglied des rechten "Kärntner Heimatdiensts" geleitet, und mit dem slowenischen Pfarrer hatte er "einige schlechte Momente". Wegen seines Namens-sein Onkel Valentin Inzko senior war führender Funktionär des Rates der Kärntner Slowenen-wurde er oft auf Slowenisch angesprochen und konnte nicht antworten.

In einer Nacht Anfang Oktober fuhren sie auf zwei Mopeds, er hinten drauf, zur nagelneuen, rein deutschen Ortstafel von Ludmannsdorf, montierten sie mit einem 13er-Schlüssel ab, trampelten darauf herum, um sie zu biegen, und warfen sie in den Wald. Bald stand Ersatz dort, doch auch ein Auto mit zwei Gendarmen im Fonds, die die Tafel bewachten, und die Jungen fuhren auf und ab, doch die Gendarmen blieben die ganze Nacht auf dem Posten. "Warum, wie und was, war uns nicht klar. Es war mehr eine Mutprobe als ein Statement, und es war die allgemeine Stimmung. Auch wir sagten tagsüber: 'Tschuschen, schleicht's euch.'"Seine Familie wusste von nichts. Sein Vater hätte ihn enterbt, sagt er. Im Alter von 19 Jahren verließ er Kärnten, ging zum Arbeiten nach Deutschland. Kinderleicht wäre es gewesen, von Anfang Slowenisch zu lernen. Das verpasst zu haben, tue ihm heute leid, auch für seine Tochter.

Auch Marian Sturm, der ehemalige Vorsitzende des linken Zentralverbandes der Kärntner Slowenen, damals Student in Wien, hat den Oktober 1972 in den Knochen. Das Ausreißen einzelner Ortstafeln begann Ende September und steigerte sich zu mehreren nächtlichen Autokonvois Mitte Oktober, in denen Kärntner Heimatdienstler mit 300 Pkw durch Südkärnten fuhren, Ortstafeln ausrissen und vor der Landesregierung deponierten.

"Meine Mutter rief mich an, völlig fertig. Komm nicht heim. Die bringen dich um. Die Ortstafelstürmer sind bei uns im Hof und fahren im Kreis",schrie sie in den Hörer. Sturms Familie war 1942 nach Deutschland deportiert worden.

Sturm war damals ein bekannter Aktivist. Er wurde angezeigt, weil er auf die Ortstafel von Hermagor den slowenischen Namen geschmiert hatte.-Von den Ortstafelstürmern stand keiner jemals vor Gericht.

Seine früheren Freunde verstehen nicht, warum Sturm heute mit dem Kärntner Heimatdienst klüngelt, sogar mit Andreas Mölzer, dessen neuen Chef, gemeinsame Pressekonferenzen abhält. Ausgerechnet Mölzer, der den Nazi-Begriff "Umvolkung" in die Politik einführte und von der EU als einem "Negerkonglomerat" sprach.

Sturm sagt: "Bis zum 40. Lebensjahr war ich ein Volksgruppenpolitiker und wollte das Recht zum Durchbruch bringen. Das hat nicht funktioniert." Jetzt ist er ein Paradepolitiker für den Konsens und will die Narrative ändern. "Hätte man noch länger mit einer Ortstafelregelung gewartet, hätte es eine neue Slowenenzählung gegeben",sagt Sturm. Im Übrigen seien der Volksgruppe die Tafeln nicht so wichtig gewesen.

Sein Kompagnon Josef Feldner, der den Kärntner Heimatdienst von 1968 bis 2022 führte und mit dem Periodikum "Ruf der Heimat" die antislowenische Stimmung übel anheizte, gesteht Irrtümer ein. Doch es bleibt ein Schönreden. Feldner scheint nicht zu begreifen, was seine Hetze gegen Ortstafeln, gegen das slowenische Gymnasium und für getrennte Klassen von Zweisprachlern und Einsprachlern angerichtet hat. Er meint, als begabter Redner habe er beim riesigen Aufmarsch in Klagenfurt im Oktober 1972 das Schlimmste verhindert. Er behauptet, vom Ortstafelsturm seiner Leute habe er im Vorfeld nichts gewusst. Er sei nicht gegen zweisprachige Ortstafeln gewesen, nur gegen das Prozedere. Man hätte vorher eine Zählung der Kärntner Slowenen vornehmen müssen. Ab einem Bevölkerungsanteil von 25 Prozent hätte er zweisprachige Aufschriften akzeptiert.

Warum ist das Slowenische für die Mehrheit eigentlich so gefährlich?

In der Monarchie war Südkärnten fast geschlossen slowenischsprachiges Gebiet. Nach ihrem Zusammenbruch durften die Bewohner dort entscheiden, wohin sie gehören wollten. In einem öffentlichen Aushang war ihnen ein "feierliches Versprechen" gegeben worden: "Kärntner Slowenen: Die Laibacher wollen euch glauben machen, dass Ihr Eure Sprache und Euer Volkstum verliert, wenn Ihr für ein Kärnten bei Österreich stimmt. Das ist Lüge! Ihr werdet in Kärnten ruhig wie bisher leben können und Sprache und Schule behalten." Eine große Mehrheit votierte für Österreich. Doch der Ton änderte sich rasch.

Hans Steinacher etwa, ein in Kärnten immer noch wie ein Säulenheiliger verehrter ehemaliger Nationalsozialist und Abwehrkämpfer, propagierte die "Überlegenheit des Deutschtums". Martin Wutte, später ebenfalls bei der NSDAP, auf dessen Ehrengrab selbst der sozialdemokratische Landeshauptmann Peter Kaiser Kränze niederlegt, erfand die "Windischen" - das waren jene, die daheim noch Slowenisch redeten, sich aber beflissen dem Deutschtum annäherten.

Mir wird schlecht, wenn ich höre, es sei alles gelöst. Die Mehrheit hat sich durchgesetzt.

Rudolf Vouk, Anwalt

Im NS-Regime war Slowenisch in der Öffentlichkeit komplett verboten. Unter schärfster Strafandrohung, die Wahrheit zu sagen, wurden die Kärntner Slowenen im Jahr 1939 gezählt. Etwa 40.000 bekannten sich als windisch oder slowenisch. Das konnte ein Todesurteil sein. Mehr als 1000 Kärntner Slowenen wurden 1942 deportiert, was in den Wochen nach der Befreiung im Jahr 1945 zu Denunziation, Racheaktionen und Verschleppungen führte.

Unter britischer Besatzung wurden in Südkärnten alle Schüler zweisprachig unterrichtet. Im Staatsvertrag 1955 war zusätzlich das Recht auf zweisprachige Ortstafeln und die slowenische Amtssprache festgeschrieben. Kaum waren die Alliierten abgezogen, traten Heimatdienst und Abwehrkämpfer, verstärkt durch ehemalige Nazis aus allen Parteien, auf den Plan und zettelten eine Kampagne gegen das Schulwesen in Südkärnten an. Sie schickten ihre Leute von Haus zu Haus, agitierten vor Schulen und riefen zur Abmeldung vom Slowenisch-Unterricht auf. Mit großem Erfolg. Nach den Sommerferien 1958 waren von 12.774 Kindern nur noch 186 zum Slowenisch-Unterricht angemeldet worden. Die Politik gab nach. Das Schulgesetz wurde geändert.

Damals wurde die Volksschule im Bärental berühmt, in deren Nachbarschaft heute die Grabstätte Jörg Haiders liegt. Eine Kommission des Unterrichtsministeriums in Wien wurde nach Kärnten geschickt, um nachzuschauen, was dort los sei. Nahezu jeder der im Bärental beschäftigen Holzfäller und Knechte hatte seine Kinder vom Slowenisch-Unterricht abgemeldet. Die nationalsozialistische Idee lebte auf ungeahnte Weise fort-denn Haiders Großonkel Josef Webhofer hatte große Teile des arisierten Bärentals 1942 erworben, mit der Auflage, dort das "Deutschtum" hochzuhalten.

profil traf einen Schüler des letzten Jahrgangs der Volksschule im Bärental, der dabei war, als die Beamten kamen. "Sie haben uns nach deutschen Wörtern gefragt."In ihrem Bericht stellte die Kommission fest, ein rein deutscher Unterricht sei nicht machbar.

Die bittere Armut ist dem einstigen Bärentalschüler stärker im Gedächtnis geblieben als sein Kampf mit der deutschen Sprache.

Scham, Angst und Gefühle der Minderwertigkeit waren in den darauffolgenden Jahrzehnten treibende Kräfte im Kärntner Klima. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer vermutet einen Wunsch nach Überanpassung.

Er sagt: "Wir müssen davon ausgehen, dass in der Mehrheit der Kärntner Familien Großeltern und Urgroßeltern existieren, die Slowenisch sprachen und die eine große Angst entwickelten, öffentlich als slowenisch geoutet zu werden. Etwa um 1900 sprachen noch 80.000 bis 100.000 Kärntner Slowenisch. Also jeder fünfte Einwohner. Sie haben es ihren Kindern nicht mehr beigebracht, um sie zu schützen."

Die sogenannte Kärntner Urangst-oft begründet mit der Furcht vor Titos Gebietsansprüchen-speist sich demnach auch aus der Angst, zu denen zu gehören, die man verachtet-es war die Angst vor dem eigenen slowenischen Anteil, dessen man sich schämt.

Den Kampf um Ortstafeln, um ein öffentliches Zeichen, dass es sie gibt, haben die Kärntner Slowenen in den 1970er-Jahren das erste Mal verloren. Kanzler Bruno Kreisky, der den Kärntner Aufruhr als die "größte Neonazi-Demonstration der jüngeren Geschichte" bezeichnete, kapitulierte. Die Mehrheitsgesellschaft lernte, dass es sich auszahlt, Radau zu machen.

Aber es wuchs eine neue Generation heran, die das slowenische Gymnasium besuchte, die Kaderschmiede der Volksgruppe. "Ohne slowenisches Gymnasium wären wir schon lange weg", sagt Pfarrer Olip.

Helga Mračnikar, die gemeinsam mit Peter Handke "Zögling Tjaz" von Florjan Lipuš übersetzte, (die Filmemacherin ist ihre Tochter),hat wie Inzko, Sturm oder der Anwalt Rudolf Vouk das slowenische Gymnasium in Klagenfurt besucht. Unter diskriminierenden Bedingungen. Acht Jahre lang nur Nachmittagsunterricht, die Fahrzeiten der Busse nicht angepasst. Die slowenischen Schüler kamen in ungelüftete, eben erst verlassene Klassenzimmer, wurden angestänkert und auf dem Heimweg im Dunkeln manchmal abgepasst.

Es gab viele Ungerechtigkeiten. Aber nichts war so grotesk wie die Ortstafelgeschichte. Kein Politiker wagte es, sie aufzustellen. Etwa 800 hätten es sein müssen, wenn man-wie 1945 angedacht-ganz Südkärnten in Betracht gezogen hätte. Das Kreisky-Gesetz, das den Ortstafelsturm auslöste, sah 205 Ortstafeln vor. Nach jahrelangen Kommissionen gab es ein Gesetz, dass dort, wo 20 Prozent slowenischsprachige Kärntner leben, eine zweisprachige Ortstafel hingehört. Auch das wurde nicht umgesetzt.

Ende der 1999er-Jahre beeinspruchte Anwalt Vouk ein Strafmandat wegen zu schnell Fahrens im Ortsgebiet von St. Kanzian. Er argumentierte, als Kärntner Slowene habe er ein Recht auf eine zweisprachige Tafel, die ihm anzeige, dass er sich in einem Ortsgebiet mit der Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h befinde. Das war eine juristische Finte, und sie eröffnete eine Chance.

Im Dezember 2001 gab ihm der Verfassungsgerichtshof recht. Mit Verweis auf den Geist des Staatsvertrags von 1955 hob das Höchstgericht das Kreisky-Gesetz von 1976 (mit dem 20-Prozent-Anteil) auf, sagte, dass bereits Orte mit einem Slowenenanteil von etwa zehn Prozent zweisprachig ausgeschildert sein müssen. Das hätte zu dem Zeitpunkt für die Gemeinde St. Kanzian gegolten.

Doch nichts geschah. Nur der Präsident des Höchstgerichts, Ludwig Adamovich, wurde vom Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider verhöhnt: "Bei einem, der Adamovich heißt, ist es fraglich, ob er überhaupt eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt."

Im Kärntner Landesdienst wurden Juristen damit beschäftigt, herauszufinden, wie man das Urteil unterlaufen könne. Die Ortstafel von St. Kanzian wurde schließlich um ein paar Meter verrückt. Nun war der Richterspruch auf diese eine Tafel nicht mehr anwendbar. Vouk fuhr wieder zu schnell. In 30 Fällen entschied das Höchstgericht, doch war in der Zwischenzeit die

Volkszählung von 2001 ausgewertet worden. Die Gemeinde St. Kanzian erreichte den Slowenenanteil von zehn Prozent nicht mehr. Sie hat bis heute keine zweisprachige Ortstafel. In einem nächsten Schritt wurden hier und da kleine slowenische Tafeln in die großen deutschen montiert. Und dann wurde in der sogenannten Konsensgruppe ein Kompromiss erzielt: Nicht zehn Prozent (wie vom Verfassungsgerichtshof gefordert),sondern 17,5 wurden festgelegt und in den Verfassungsrang gehoben, damit kein Kärntner Slowene mehr Schwierigkeiten mache. Ein neues Volksgruppengesetz wurde in Aussicht gestellt, das es bis heute nicht gibt.

Kärnten hält bei 182 zweisprachigen Ortstafeln. Die letzten wurden im vergangenen Jahr in der Gemeinde St. Jakob im Rosental/Šentjakob v. Rozu aufgestellt.

Ausgerechnet am Faschingsdienstag. Der Kleingeist ist kaum zu überbieten. Orte mit weniger als 31 Einwohnern bekommen keine zweisprachigen Tafeln aus Gründen des Datenschutzes. Slowenen, die dort wohnen, könnten ja als Slowenen identifiziert werden.

Zweisprachige Wegweiser sind nur erlaubt, wenn sie sich innerhalb des zweisprachigen Gebiets befinden und zu einem zweisprachigen Ort weisen.

Ottomeyer: "Der Konsens ist eine Fiktion. Es handelt sich noch immer um eine Gruppe von Angreifern und eine Gruppe von Opfern."

Olip: "Der Hass, der jahrelang ins Land hineingetragen wurde, ist so nicht wiedergutzumachen."

Inzko: "Diese Regelung ist ein Trauma." Helga Mračnikar: "Die Mehrheit hat ihre Verantwortung gegenüber der Minderheit nicht wahrgenommen."

Vouk: "Mir wird schlecht, wenn ich höre, es sei alles gelöst. Die Mehrheit hat sich durchgesetzt."

Je länger man hinschaut, desto wütender wird man. Bisher hat nur Bundespräsident Alexander Van der Bellen in klaren Worten bei den Kärntner Slowenen öffentlich für die Versäumnisse in der Vergangenheit um Entschuldigung gebeten. Es wird Zeit, dass dies auch andere tun.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling