Österreich

Erdgas aus Österreich: Wo neben Molln überall gebohrt werden könnte

Durchs eigene Erdgas unabhängiger von Russland: Auf einer Tour entlang möglicher Bohrstellen fördert der politische Masterplan nicht nur Freude zu Tage. So mancher Bürgermeister weiß noch gar nichts von seinem Glück.

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OHO ist ein beeindruckendes Gas-Projekt. Das neue Projekt ZAM liegt mit OHO im Trend.“ Solche mit Kürzeln und Fachbegriffen gespickten Meldungen der australisch-österreichischen Energiefirma ADX interessierten bisher nur Fondsmanager und Börsenfreaks, die auf lukrative Gasfunde in Österreich wetteten. Wo genau die Orte lagen, in denen sich das Unternehmen „in kurzer Zeit bohrbereit“ wähnt, interessierte die Anleger herzlich wenig.

Seit der Ukraine-Krieg die Angst vor kalten Wohnzimmern schürt, ist rot-weiß-rotes Gas auch für Nichtaktionäre deutlich im Kurs gestiegen. Aktuell reicht das heimische Gas nur für acht Prozent des österreichischen Gasbedarfs. ADX verspricht 20 Prozent, wenn genügend gebohrt wird. Die Fantasie, auf diesem Weg unabhängiger von russischem Gas zu werden, beflügelte auch die Politik. Das ÖVP-geführte Finanzministerium will die „Versorgungssicherheit“ durch „heimische Bezugsquellen“ deutlich erhöhen. Deswegen hat die Bergbaubaubehörde, die bei der Finanz ressortiert, neue „Aufsuchungslizenzen“ an ADX sowie die deutlich größere OMV vergeben. Die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler ist nicht glücklich über die Renaissance der heimischen Erdgasförderung. Sie will schnellstmöglich raus aus fossilen Brennstoffen und sieht im eigenen Erdgas nur einen kurzfristigen Beitrag zur einer höheren Energiesicherheit. Die Suchlizenzen laufen jedoch bis 2038. Gefördert darf bis 2060 werden.

Und wie ist die Stimmung dort, wo heimisches Gas vermutet wird? Auf einer Tour entlang möglicher Bohrstellen fördert die Aussicht aufs rot-weiß-rote Erdgas nicht nur Hoffnung, sondern auch Angst zu- tage. Angst um die lokale Natur, aber auch Zweifel, ob Erdgasbohrungen noch zeitgemäß sind. So manche Bürgermeisterin und mancher Bürgermeister ist wiederum überrascht, dass just der eigene Ort an der Weltbörse „im Trend“ liegt.

ZAM steht für Zell am Moos. Der Bürgermeister der 1600-EinwohnerGemeinde am Salzburger Irrsee, Günther Pfarl (ÖVP), hört zum ersten Mal, dass irgendwo im Ortsgebiet gebohrt werden könnte. „Ich weiß nur, dass hier vor 15 Jahren erfolglos gesucht wurde. Generell fände ich es gut, wenn Erdgas aus Österreich statt aus Russland kommt. Erneuerbare Energien sollten aber den Vorrang haben. Denn Gas ist nicht klimafreundlich.“

Salzburg - Straßwalchen

Bürgermeisterin Tanja Kreer (SPÖ) ist überrascht, wo überall am Ortsgebiet mögliche Bohrorte definiert wurden

Nördlich vom Irrsee liegt die Marktgemeinde Straßwalchen im Salzburger Flachgau, ein zentraler Verkehrsknotenpunkt mit 8000 Einwohnern. Auf verschneiten Feldern zehn Kilometer außerhalb des Zentrums taucht hinter einem Hain der Namensgeber für OHO auf: Oberholz, ein Weiler mit fünf Adressen. An der Dorfeinfahrt bellt ein Wachhund fremde Autos an. In einem der Felder ringsum würde ADX gerne nach Gasschätzen bohren. Mit Außerroid, Irrsdorf und Brunn stehen drei weitere Vororte von Straßwalchen am internationalen Bohrplan der ADX.

SPÖ-Bürgermeisterin Tanja Kreer erfährt zum ersten Mal davon. Von einem Bohrexperten, der in Irrsdorf gesichtet wurde, habe sie gehört. Mehr nicht. Mit dem Thema Erdgas an sich ist Kreer bestens vertraut. Die Straßwalchener sitzen seit Jahren darauf. Nur nicht auf österreichischem, sondern russischem. Im Ortsteil Haidach betreibt die RAG Austria seit 2007 den zweitgrößten Erdgasspeicher Mitteleuropas, das Hauptreservoir für Süddeutschland.

Die Rohöl-Aufsuchungs-Gesellschaft, wie die RAG früher hieß, war bei der Öl- und Gassuche über Jahrzehnte das westösterreichische Pendant zur OMV, die im Wiener Becken und Weinviertel exploriert. 2019 verkaufte die RAG ihre Fördersparte an die ADX und lieferte die Mitarbeiter gleich mit. Seither konzentriert sich das Unternehmen aufs Speichern. Die nun ruchbar gewordenen Bohrpläne erfüllen die Bürgermeisterin daher mit gewisser Sorge. „Grundsätzlich sehe ich Gas aus der eigenen Region positiv. Ich würde mir nur wünschen, dass die Natur rund um die Bohrplätze am Ende wiederhergestellt wird. Wenn aus den leeren Gasblasen neue Speicher werden, haben wir noch mehr versiegelte Betriebsstätten auf heute noch grünen Wiesen.“

Ihr Einwand zeigt, wie schwer der Spagat zwischen lokalem und globalem Umweltschutz auch in Zukunft sein wird. Denn die RAG will langfristig tatsächlich noch mehr unter der Erde speichern – jedoch klimafreundlichen Wasserstoff, in dem überschüssiger Wind- oder Sonnenstrom aufgefangen werden kann.

Gasgräberstimmung

ADX Energy-CEO Paul Fink und ADX-Österreich-Chef Alan Reingruber verteidigen ihre Bohrpläne gegen den Protest von Naturschützern

Ob und wo zwischen Oberholz, Straß im Attergau und Zell am Moos schon bald gebohrt werden soll, darauf will sich der CEO von ADX, Paul Fink, nicht festlegen. „Die endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen.“ Auch das Finanzministerium, das mit dem Energieunternehmen ein Arbeitsprogramm vereinbart hat, hält sich bedeckt: „Verträge zum Aufsuchen, Gewinnen, Speichern von Öl oder Gas zwischen dem Bund und einem Unternehmen sind privatrechtlicher Natur. Eine Einsicht ist daher nicht möglich.“

Warum lässt sich die Republik überhaupt auf einen Deal mit einer australischen Börsenfirma ein? Immerhin besitzt diese das rot-weiß-rote Gas, sobald es aus der Erde geholt ist. ADX könnte den Bodenschatz dann theoretisch auch außerhalb Österreichs am Weltmarkt verkaufen. Der Staat schneidet in Form eines Förderzinses lediglich mit, der rund 22 Prozent des Marktpreises beträgt. Den Hauptgrund, private Unternehmen ins Boot zu holen, benennt ADX selbst: „Wir sind eine der wenigen Firmen in Österreich, die das Know-how und die Rechte besitzen.“

Dass ADX auch die Rechte zur Aufsuchung, Gewinnung und Speicherung von Gas und Öl in Gmunden am Traunsee besitzt, wie ADX-Boss Fink bestätigt, war dort bisher kaum bekannt – oder wurde geflissentlich übersehen. Denn die Gmundner denken beim Bohren nicht ans Gas, sondern an Geothermie. Derzeit wird mit Hochdruck an einem „Jahrhundertprojekt“ geforscht, das aus 4000 Meter 140 Grad heißes Wasser zutage fördern soll. Damit könnte man nicht nur in Gmunden jede Wohnung heizen, sondern auch die Industrie ringsum versorgen – vom Zementwerk über die Molkerei bis zur Papierfabrik.

Dass man auf halbem Weg nach unten auf Erdgas oder Öl stoßen und dieses fördern könnte, hatte die grüne Vizebürgermeisterin Ulli Feichtinger nicht am Radar: „Ich habe davon aus den Medien erfahren.“ Dabei steht in den Börse-News von ADX seit Mitte letzten Jahres schwarz auf weiß: „Das Multi-Energie-Ressourcen-Prospektionsgebiet Gmunden umfasst seichte, schnell zu monetarisierende Gasziele, sowie ein tiefer gelegenes Geothermieziel.“

Die Erdgasfantasie an den Börsen soll die Hoffnung auf die supersaubere Turbotherme aber nicht trüben. „Mögliche Gasfunde sind ein absolutes Nebenthema. Wir konzentrieren uns auf die Geothermie, die Gmunden energieautark machen könnte“, sagt ÖVP-Bürgermeister Stefan Krapf.

Oberösterreich - Gmunden

ÖVP-Bürgermeister Stefan Krapf redet lieber über Geothermie als Erdgasvorräte am Fuße des Traunsteins

Im oberösterreichischen Molln, südlich von Steyr gelegen, ist die Gasgräberstimmung seit Mitte Jänner Hauptthema auf jedem Stammtisch. Damals wurde bekannt, dass ADX in einem Talschluss nahe der Kalkalpen ein riesiges Gasvorkommen vermutet, mit dem Österreich drei Jahre versorgt werden könnte. Das ist ein Vielfaches der Menge, die in Straßwalchen, Zell am Moos oder Gmunden vermutet wird. Für Aktionäre klingt das so: „Ein potenzielles riesiges Gasfeld mit Weltklasse-Ressourcenpotenzial.“

Auf der verschneiten Wiese nahe der malerischen Waldkulisse ist die Bohrstelle mit einem Stab markiert, der am oberen Ende orange bepinselt ist. Sonst deutet nichts auf den Gasschatz hin, der unter der Erde liegen könnte. Nur wenige Meter entfernt beginnt das Naturschutzgebiet Jaidhaus. Und das treibt Naturschützer auf die Barrikaden. Die Bohrpläne hat ein Bürger zufällig beim Internet-Surfen entdeckt. Sie machten die Runde und mündeten in einer eilig einberufenen Bürgerversammlung. Daraus erwächst gerade eine Bürgerinitiative, die verhindern will, dass der Lebensraum seltener Tiere und Pflanzen durch die – durchgehend mit Flutlicht beleuchtete – Bohrstelle gestört wird.

Bürgermeister Andreas Rußmann (SPÖ) weist darauf hin, dass es bei einem großen Fund bis zu fünf weitere Bohrstellen geben könnte – plus eine Gasaufbereitungsanlage. Das bestätigt auch ADX. Der Sozialdemokrat ist verärgert, wie um das sensible Projekt von Beginn an „getarnt und getäuscht wurde“, wie er meint. Fundamental dagegen ist er nicht. „Ob man, statt eigene Ressourcen zu fördern, besser umweltschädliches Fracking-Gas aus Amerika importieren soll, das ist eine Interessensabwägung, die Land und der Bund vornehmen müssen. Wichtig für uns ist auch der Umweltschutz vor Ort.“ Der stellvertretende Landeshauptmann von Oberösterreich und Naturschutzlandesrat Manfred Haimbuchner von der FPÖ freut sich über mögliche Bodenschätze im Bundesland und findet die Aufregung übertrieben: „Probebohrungen nach Erdöl und auch Erdgas sind in Oberösterreich etwas Alltägliches und völlig normal.“

Oberösterreich - Molln

profil-Redakteur Clemens Neuhold an jener Stelle, die am Rande der Kalkalpen das potenzielle Mega-Gasvorkommen markiert.

In Oberösterreich bilden ÖVP und FPÖ eine Koalition. Die Grünen sind in Opposition – und mit Haimbuchner im Clinch. Umweltlandesrat Stefan Kaineder (Grüne) wünscht sich statt Jubel über mögliche Bodenschätze einen rascheren Ausbau der Solar- und Windkraft im Bundesland: „Sowohl der Umweltschutz vor Ort als auch der Ausbau der Erneuerbaren Energie müssen Vorrang haben. Gas-Abbaupläne bis 2060 sind schon deswegen absurd, weil wir im Jahr 2040 komplett aus der Erdgas-Verbrennung ausgestiegen sein müssen.“ Neu gefördertes Erdgas könne kurzfristig einen Beitrag zur Versorgung Österreich leisten, meint der Grüne und grenzt ein: „Etwa bis 2030.“ In diesem Fall dürfe das Erdgas aber nicht ins Ausland verkauft werden, kritisiert er diesbezüglich fehlende Schranken für ADX & Co.

Die Mollner sind laut Bürgermeister in drei Lager gespalten. „Die einen sind aktiv dagegen; die anderen fragen, was wir davon haben; und eine dritte Gruppe ist für die Bohrung, weil ihnen heimisches Gas lieber wäre als russisches.“

Nördlich von Molln, in Anshof zwischen Steyr und Bad Hall, fördert ADX Öl. Auf einem flachen Feld hinter einem Erdwall, der als Sichtschutz dient, bewegt eine Tiefpumpe gemächlich ihren Kopf auf und ab. Daneben steht ein Pferd stoisch in einer Koppel. Auch in dieser Region will ADX seine Aktivitäten ausweiten. Bis auf ein paar besorgte Anrainer bleibt der Aufschrei aber aus. Von Bürgerinitiativen keine Spur, ergibt ein Rundruf in den Gemeinden ringsum. Ein Grund: Die Natur wird eher von Düngemitteln der Bauern als Flutlichtern am Bohrplatz beeinträchtigt. Ein anderer: Die Menschen hier sind historisch mit Bohrungen vertraut.

Das gilt in einem noch viel stärkeren Ausmaß im Wiener Becken rund um Gänserndorf. Hier liegt das größte zusammenhängende Ölfeld Mitteleuropas, das die OMV seit 50 Jahren ausbeutet. Der Namensgeber des riesigen Ölfeldes, der Ort Matzen, wird auch das „Dallas Niederösterreichs“ genannt. 800 ihrer 1000 Fördersonden betreibt die OMV allein im Matzenfeld. „Löcher sind Teil unseres Geschäfts“, heißt es auf der Unternehmenswebsite. Noch.

Der börsennotierte Mineralölkonzern will bis 2050 komplett aus der fossilen Energieproduktion aussteigen. Doch vorerst wird weitergebohrt. „Wir legen den Schwerpunkt auf Gas, weil es ein Brückenenergieträger ist, bis die Erneuerbaren einen Großteil übernehmen“, sagt Konzernsprecher Andreas Rinofner. Die „Renaissance des Interesses an heimischen Ressourcen“ freue ihn jedenfalls.

Niederösterreich - Wittau/Groß-Enzersdorf

Am Stadtgebiet ist der neue OMV-Gasbohrturm die höchste Erhebung

Diese Renaissance führte die OMV nun weiter in den Süden. Nach Wittau, in Groß-Enzersdorf. Dort wird bereits nach Gas gebohrt. „Nördlich von uns stehen überall Bohrtürme. Bei uns ist er ein Novum. Und die höchste Erhebung“, sagt die rote Bürgermeisterin Monika Obereigner-Sivec. Dennoch hätten die seismischen Stoßwellen im Zuge der Gassuche vor einigen Jahren die Bevölkerung mehr aufgerüttelt als das eigentliche Bohren, das im Dezember begann. Was sicher half, den Ball flach zu halten: Die Lokalbevölkerung erfuhr zuerst von der Bürgermeisterin und OMV-Vertretern von ihrem Glück – und nicht über Newsletter für internationale Investoren.
In Wittau wird nun ein halbes Jahr lang probegebohrt. Sollte genug Gas gefunden werden, könnte es in ein bis zwei Jahren am Markt sein. In Mollner  Jaidhaustal soll es ab Sommer tief nach unten gehen. Bis zum Verkauf möglicher Gasfunde würde es ein bis zwei Jahre länger dauern als in Wittau, weil für die Anbindung ans Gasnetz eine 18 Kilometer lange Pipeline gebaut werden müsste. Widerstand ist wohl auch dagegen programmiert.

Ob in Oberholz, Außerroid, Brunn, Irrsdorf oder Zell am Moos jemals gebohrt wird, bleibt offen. Für all diese Orte, an denen bald Gasgräberstimmung oder Angst herrschen könnte, gilt: Es könnte auch rasch wieder Gras über die Bohrstellen wachsen. Dann nämlich, wenn nichts gefunden wird. In Molln schwankt die Fundwahrscheinlichkeit zwischen 20 und 30 Prozent. Solche Werte sind bei Bohrprojekten auf der ganzen Welt üblich. Denn trotz moderner 3D-Seismik lässt sich nie abschließend sagen, was in 1000 bis 2000 Metern Tiefe schlummert – oder gar in 4000 Metern wie in Gmunden.
Das Bohrgeschäft ist ein Wettgeschäft. So gesehen ist es nur schlüssig, dass es in Österreich von zwei Börsenfirmen betrieben wird, die Aktionären nicht nur Öl und Gas, sondern auch Hoffnung verkaufen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.