Innenminister Herbert Kickl (FPÖ)

Warum Flüchtlinge nicht zu integrieren, schlecht für die Sicherheit ist

Die FPÖ schürt die Angst vor Flüchtlingen. Gleichzeitig will sie verhindern, dass sie sich integrieren. Vor allem davor muss man sich fürchten, findet Edith Meinhart.

Drucken

Schriftgröße

"Brutale Gewalttaten. Sex-Attacken. Eigentums-Kriminalität", plakatiert die FPÖ in Niederösterreich. Es ist nicht ganz klar, wie die grellen Botschaften auf düsterem, schwarzem Grund zu verstehen sind. Als Warnung, als Drohung? Sie könnten auch eine Art Versprechen sein.

Wie, warum und wann Menschen zu Räubern, Einbrechern und Vergewaltigern werden, lässt sich nicht genau vermessen. Jugendarbeiter aber können -ebenso wie Kriminalsoziologen - Umstände benennen, die Kriminalität eher anheizen, und andere, die sie drosseln. Integration zu verhindern, wie die FPÖ es vorhat, fällt in die erste Kategorie.

Vor zwei Wochen veröffentlichten deutsche Kriminalsoziologen eine Studie zu Gewalt von Jugendlichen, die auch in Österreich Wellen schlug, denn sie bestätigte die schlimmsten Befürchtungen über Flüchtlinge. Die Autoren hatten die Kriminalität in Niedersachsen untersucht, ein deutsches Bundesland mit 7,7 Millionen Einwohnern, etwas weniger als Österreich.

In den vergangenen Jahren waren hier Mord, Totschlag, Raub, Körperverletzung und Vergewaltigung stetig zurückgegangen. Dafür gibt es gute, vor allem soziologische und demografische Gründe: Kinder werden nicht mehr gezüchtigt, das Bildungsniveau ist gestiegen, die Bevölkerung altert, das macht sie friedfertiger. Seit 2015 zeigt die Anzeigenkurve erneut nach oben. Daran sind -so die Autoren -vor allem Asylwerber schuld. Innerhalb von zwei Jahren hatte sich ihre Zahl in Niedersachsen verdoppelt, die von ihnen begangenen Gewalttaten aber stiegen um das 3,4-Fache.

Dabei stachen Nordafrikaner besonders ins Auge. Sie stellten 2016 gerade einmal 0,9 Prozent der registrierten Flüchtlinge in Niedersachen, aber 17,1 Prozent der Tatverdächtigen, also 19 Mal so viel. Noch krasser ist das Missverhältnis bei Raub, wo 31,5 Prozent der Tatverdächtigen -und damit das 35-Fache des statistisch Erwartbaren -Marokkaner waren. Im Vergleich dazu blieben Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem Irak deutlich unter den Befürchtungen: Sie machten 54,7 Prozent der Asylwerber aus, aber nur 34,5 Prozent der Tatverdächtigen.

"Sehr, sehr strenge Asylpolitik"

Die Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren ins Land strömten, sorgen für schauerliche Kriminalitätsmeldungen, in Deutschland wie in Österreich. FPÖ-Innenminister Herbert Kickl schien dies auszukosten, als er vergangenen Mittwoch den überfälligen "Sicherheitsbericht 2016" präsentierte; in wenigen Wochen soll es die Zahlen für das Vorjahr geben. Inzwischen hat der "Kurier" die Rohdaten 2017 veröffentlicht. Fazit: Die Anzeigen gingen merklich zurück. Die Zahl der "fremden Tatverdächtigen" schnellte um 13,7 Prozent hinauf. Bei den Verurteilten sah es nicht besser aus: 41,4 Prozent waren Ausländer, laut Justizministerium ein Rekord.

Kickl will darauf mit einer "sehr, sehr strengen Asylpolitik" antworten, wenig überraschend ganz im Sinne rechten Denkens, das Migration per se als Übel und Abschreckung als sicherheitspolitische Maxime betrachtet: wenig Ausländer, wenig Kriminalität. Von hier führen kaum Brücken ins linksideologische oder auch nur pragmatische Lager, wo man davon ausgeht, dass Migration nicht zu verhindern ist und Integration deshalb im -letztlich auch sicherheitspolitischen - Interesse aller liegt.

Jede Position hat ihren Preis. Vielleicht macht Politik der Abschreckung das Land für neue Flüchtlinge weniger attraktiv. Welche Folgen aber hat sie für die innere Sicherheit? Ginge es dem Innenminister primär darum, müsste er die Empfehlungen der Kriminalsoziologen aus Deutschland studieren -oder Erhebungen von ähnlicher Qualität in Auftrag geben. Sie fehlen hierzulande.

"Moralische Fieberkurve"

Oft muss die Kriminalstatistik als "moralische Fieberkurve" herhalten, wie der Kriminalsoziologe Arno Pilgram es formuliert. Dabei bildet sie bloß die Arbeit der Polizei und das in sie gesetzte Vertrauen ab. Für die Verzerrungen, denen das Zahlenwerk unterliegt, können die Beamten nichts. Dazu gehört etwa ein neues Suchtmittelgesetz, das die Zahl der Delikte hochtreibt, oder die Erfahrung, dass Ausländer schneller angezeigt werden als Einheimische - oder schlicht die Zählweise. Ein Raufhandel oder eine Messerstecherei unter 50 Jugendlichen zählt für die Polizei als 50 Delikte; die Justiz hingegen -und damit die Verurteiltenstatistik - zieht den Vorfall auf eine Causa zusammen. Und wie ist es zu deuten, wenn sich Meldungen von Gewalttaten aus einer Migrantencommunity häufen? Es könnte ein Alarmzeichen sein, genauso gut aber ein Hinweis, dass Menschen anfangen, sich von Herkunftsmilieus zu emanzipieren und sich vermehrt trauen, zur Polizei zu gehen.

Nimmt man die Befunde und Schlussfolgerungen der deutschen Jugendgewalt-Studie ernst, können schnelle Asylverfahren und klare, nachvollziehbare Entscheidungen der Kriminalität Nährboden entziehen; ebenso wie Bildung, existenzielle Sicherheit, Zukunftsperspektiven, verlässliche soziale Beziehungen, gute Sprachkenntnisse, mit sinnvollen Tätigkeiten ausgefüllte Tage und letztlich alles, was Menschen erlaubt, schnell auf eigenen Beinen zu stehen. Dem Regierungsabkommen und bisherigen Äußerungen nach zu schließen, hat die Regierung aber das Gegenteil vor. Tenor: Asyl bedeutet Schutz auf Zeit, deshalb können wir uns die Integration sparen.

Asylwerber sollen in Massenquartiere ziehen

In dieses Bild passt, dass Asylwerber in Massenquartiere einziehen sollen, für die sich die Regierung die freundliche Bezeichnung "Rescue Center" ausdachte. FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus würde Flüchtlinge gerne in städtische Randlagen verbannen, damit sie kapieren, "dass es hier doch nicht so gemütlich ist, wie alle glauben"; FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache liebäugelte damit, sie in Kasernen einzuquartieren und in der Nacht einzusperren. Kickl will sie "konzentriert" in Wien unterbringen. Abgesehen von der Wortwahl: Das zöge in Wien gröbere Verwerfungen nach sich. Von aktuell 19.300 Asylwerbern wohnen hier mehr als zwei Drittel (68 Prozent) privat - laut Peter Hacker, Chef des Fonds Soziales Wien (FSW), eine in jeder Hinsicht günstige Lösung: Private Unterkünfte kosten weniger -pro Kopf und Monat 280 Euro im Vergleich zu 730 Euro in einem organisierten Quartier - außerdem gewöhnen sich Menschen schneller an einen normalen Alltag.

Riesenquartiere schaffen Riesenprobleme. Das lehrt die Erfahrung mit Lagern in Oberösterreich oder Salzburg, in denen sich nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende Flüchtlinge und Binnenvertriebene drängten; das zeigte sich auf der Kärntner Saualm, wo der damalige Landeshauptmann Jörg Haider 2008 ein "Sonderquartier" für Asylwerber schuf, das für Schlagzeilen sorgte, bis es 2012 geschlossen wurde; und es war im Sommer 2015 in Traiskirchen zu sehen, als Hunderte Menschen, teilweise mit kleinen Kindern, unter freiem Himmel schliefen. Selbst das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR setzt nur noch im Notfall auf entlegene Camps, weil sie Ausgrenzung -mit all ihren Begleiterscheinungen, bis hin zu Terrorismus -fördern.

Von Normalität keine Spur

Es ist nicht bloß oppositionelles Getöse, wenn der Grünen-Integrationslandesrat Rudolf Anschober in Oberösterreich warnt, der Innenminister zerstöre "das gute Miteinander". Ähnlich skeptische Töne sind aus anderen Bundesländern zu hören. In Salzburg setzt man längst auf kleine, im Land verteilte Quartiere und schickt männliche, allein reisende Flüchtlinge in Workshops mit Polizisten. Vorarlberg initiierte eine Nachbarschaftshilfe, die es Asylwerbern erlaubt, sich mit Rasenmähen und Fensterputzen ein Taschengeld zu verdienen. In Wien meldeten sich 6000 Freiwillige bei der where2help-App an. In großen Heimen bleiben Flüchtlinge unter sich, das behindert den Spracherwerb und führt zu Spannungen: Von Normalität keine Spur. Es könnte einem schon der gesunde Menschenverstand sagen, dass man Massenquartiere nur noch mit jungen Männer füllen müsste, die den ganzen Tag nichts zu tun haben, damit sie zum Pulverfass werden. Man könnte es aber auch aus der deutschen Studie herauslesen.

Zwei Drittel der dort untersuchten Tatverdächtigen sind männlich und zwischen 14 und 30 Jahre alt, gehören also zu jener Spezies, die in jedem Land der Welt besonders anfällig für Gewalt ist. 9,3 Prozent der Wohnbevölkerung von Niedersachsen fallen in diese Gruppe; bei den neuen Flüchtlingen sind es 26,9 Prozent, wobei es zwischen den Herkunftsländern beträchtliche Schwankungen gibt. Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak etwa sind zu 25 Prozent jung und männlich, bei Nordafrikanern beträgt der Anteil 50 Prozent. Die meisten von ihnen kamen zudem ohne Mütter, Frauen und Schwestern ins Land; damit fällt auch der zivilisierende Effekt weg, den weibliche Bezugspersonen haben. Dazu kommt: Migranten erlebten öfter als deutsche Gleichaltrige elterliche Gewalt und hängen stärker in traditionellen Geschlechterrollen fest. Dass Nordafrikaner kaum Chancen auf einen legalen Aufenthalt und einen Job haben, setzt dem Bündel noch ein Risiko drauf.

Der preußische Staatsmann Otto von Bismarck oder der britische Liberale William Henry Beveridge entwickelten ihre Sozialsicherungssysteme keineswegs aus reiner Menschenfreundlichkeit, sondern nicht zuletzt, um die Alltagskriminalität einzudämmen. Auch der rote Wiener Sozialpolitiker Hacker hält Armut für einen wesentlichen Treiber von Kriminalität. In einer Stadt dürfe es "niemanden geben, der nichts mehr zu verlieren hat", sagt er. Die Statistik gab ihm schon öfter recht: Als 2004 die Grundversorgung für Asylwerber eingeführt wurde, gingen die angezeigten Straftaten zurück; sechs Jahre später, bei der Einführung der Mindestsicherung, zeigte sich ein ähnlicher Knick. Das Dilemma bleibt. Wer großzügig zu Asylwerbern ist, riskiert, dass es sich einige zu bequem machen; wer "sehr, sehr streng" ist, drängt sie vielleicht in aussichtslose Lagen, wo sie alle Hemmungen verlieren. Vielleicht aber geht es gar nicht um Sicherheit, sondern um den Beweis, dass alles Böse von außen kommt. Selbst um den Preis, dass man Kriminalität erntet, die man selbst gesät hat.

Zahlen +++ Zahlen +++ Zahlen

In Österreich leben 1,8 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund (zumindest ein Elternteil ist im Ausland geboren). Getrennt ausgewertet werden nur Ausländer und Asylwerber. 1,27 Mio. Menschen haben einen nichtösterreichischen Pass. + + + Langfristig betrachtet wird Österreich sicherer. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre sank die Zahl der Anzeigen um etwa ein Fünftel. 2016 -aus diesem Jahr stammen die jüngsten Daten - wurden 537.792 Anzeigen erstattet, um 19.923 oder 3,8% mehr als im Jahr davor. Die Zahl der "fremden Tatverdächtigen" stieg um 13,7%; die Anzeigen gegen Asylwerber gar um 54,2%. 2016 forschte die Polizei österreichweit 270.160 Tatverdächtige aus. Auch hier spiegelt sich die Zuwanderung. Um ein Beispiel herauszugreifen: 2003 waren von insgesamt 205.035 Tatverdächtigen gerade einmal 175 Afghanen; 2016 waren es 5973 (von 270.160). + + + Auch im wachsenden und -aufgrund von Migration -jünger werdenden Wien gehen die registrierten Straftaten auf lange Sicht zurück. 205.219 Straftaten protokollierte die Polizei 2016. Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl kündigte an, die Zahl werde 2017 unter die 200.000 fallen, genaue Daten stehen noch aus. + + + 2017 bekamen in Österreich 24.296 Menschen internationalen Schutz, um 43% weniger als im Jahr zuvor. Zwischen Anfang 2015 und Ende 2017 bearbeitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) 155.000 Asylanträge, 80% davon seien laut BFA-Chef Wolfgang Taucher "abgearbeitet". Und: 11.974 abgelehnte Asylwerber verließen das Land, 42% freiwillig, der größere Teil wurde zwangsweise abgeschoben.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges