FPÖ: Die Tagebücher des Gründungsvaters Anton Reinthaller

Der Gründungsvater der FPÖ, Anton Reinthaller, ein hochrangiger Nationalsozialist, galt nach dem Krieg als "Idealist". In seinen Tagebüchern zeigt er keinerlei Einsicht.

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Um Anton Reinthaller ranken sich Legenden, welche die Wiener Zeitgeschichte-Historikerin Margit Reiter in ihrer neuen Studie* elegant auseinandernimmt. So zitiert sie ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten, in dem behauptet wird, Reinthaller habe in der NS-Zeit "vielen tausenden verfolgten Österreichern geholfen". In einem Volksgerichtsprozess gegen Reinthaller im Jahr 1950 traten Dutzende Zeugen auf, die aussagten, Reinthaller sei im Rahmen der Möglichkeiten anständig gewesen und beliebt. Selbst die Ortsgruppe der KPÖ-Gemeinde Attersee, wo Reinthaller am Hof seiner Frau lebte, meinte, Reinthaller habe niemanden geschädigt. Freilich waren unter denen, die den Nazi lobten, auch Freunde und nahe Anverwandte, wie die Besitzerin eines Bauernhofes, auf dem sich Reinthaller nach Kriegsende 1945 versteckt hielt. Er war offensichtlich ein umgänglicher Mensch, politisch nach allen Seiten vernetzt. Zu Reinthallers Beliebtheit könnte beigetragen haben, dass er in der Zeit der Illegalität in den 1930er-Jahren von den deutschen Nationalsozialisten 1,2 Millionen Reichsmark bekommen hatte, um sie unter illegalen Nazis und ihren Familien zu verteilen.

Karrierebewusster Nazi

Reinthaller war der österreichische Prototyp eines karrierebewussten Nazis: Schon früh der Ideologie von Herrenmenschentum und Judenhass anheim gefallen, mit Ministerehren und einem SS-Brigadiers-Rang bedankt, Unterstaatssekretär in Berlin, Reichstagsabgeordneter, NS-Bauernführer, NS-Landesjägermeister, erpicht auf das goldene Parteiabzeichen und andere Ehrungen. Reinthaller verkörperte auch eine weitverbreitete Haltung im Nachkriegsösterreich, die ungefähr so lautete: Der Nationalsozialismus an sich sei nicht so schlecht gewesen, nur die Sache mit den Juden hätte man nicht derart auf die Spitze treiben sollen. Seinen Tagebüchern, die er in der Untersuchungshaft verfasste, fünf eng mit Hand beschriebene Heftchen, gab Reinthaller den Titel "Gedanken, die ich seit 1945 gezwungen bin zu wälzen". Auch damit dürfte er vielen aus dem Herzen gesprochen haben.

Reinthaller wurde 1895, noch zu Kaisers Zeiten, in eine Großbauernfamilie im oberösterreichischen Mettmach hineingeboren. Als Oberleutnant im Ersten Weltkrieg geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, entkam in den Wirren der Revolution, schlug sich in die Heimat zurück, studierte an der Bodenkultur in Wien, wurde Ingenieur und glühender Nationalsozialist. 1923 saß er für eine NS-nahe Liste im Gemeinderat von Attersee. 1924 heiratete er die Tochter eines national denkenden Bauernfunktionärs. 1928 trat er der NSDAP bei. Er hielt nichts von Sprengstoffanschlägen und Fememorden auf dem Weg zur Macht. Reinthaller bevorzugte die legale Unterminierung des Systems. Am Vorabend der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich stand Reinthaller sprichwörtlich Gewehr bei Fuß, bereit für ein Ministeramt. In jener Nacht des 11. März 1938, in der plötzlich überall Nazis auftauchten, sich Menschen mit Hakenkreuzbinden siegestrunken vor dem Bundeskanzleramt versammelten oder grölend durch die Innenstadt zogen, Juden verprügelten und Auslagen einschlugen, nahm Reinthaller vom Balkon des Bundeskanzleramts die Ovationen entgegen. Er bekleidete bis 1939 die Funktion eines NS-Landwirtschaftsministers, dann wurde die "Anschlussregierung" aufgelöst und er wechselte als Unterstaatssekretär nach Berlin. In der "Ostmark" oblag ihm die Zuweisung von Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft und die "Entjudung" von Forstbesitz. Vielleicht hatte er auch mit dem ehemals jüdischen Bärental zu tun gehabt, das 1942 aus Staatsbesitz an einen gewissen Wilhelm Webhofer günstig verkauft wurde, der dort das "Deutschtum hoch halten" sollte. Webhofer war Jörg Haiders Erbonkel.

Reinthallers Sekretär aus der illegalen Zeit, Ernst Kaltenbrunner, wurde später Chef des berüchtigten Reichssicherheitshauptamtes, 1945 auf einer Hütte im Ausseerland enttarnt und als Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichtet.

Auch Reinthallers Name stand auf einer Kriegsverbrecherliste. Ende August 1945 wurde er auf dem Bauernhof seiner Schwägerin verhaftet. Ein knappes Jahr war er im US-Lager Glasenbach interniert, dann in Untersuchungshaft in Nürnberg. Zu einer Anklage kam es nicht, er wurde als Zeuge einvernommen.

"Idealist, der nur das Gute wollte"

Der Volksgerichtsprozess gegen Reinthaller fand 1950 in Wien statt. Seine Anwälte - er hatte drei angesehene Juristen angeheuert - versuchten, die Anklage niederzuschlagen, zumindest das Verfahren nach Graz oder Linz zu verlegen, wo mehr Milde zu erwarten war. Im hellen Ausseer Anzug, hager und mit weißem Knebelbart, stand Reinthaller vor Gericht. Er befand sich für vollkommen unschuldig. Er sei ein Idealist gewesen, der nur das Gute wollte, der an Hitler geglaubt hatte. "Ein Nazi aus Versehen", kommentierte die Parteizeitung der SPÖ.

Für Reinthaller sprangen viele ehemalige NSDAP-Mitglieder in die Bresche. Freunde intervenierten bei ÖVP-Politikern. Robert Scheuch, der Großvater der späteren FPÖ-Politiker Uwe und Kurt Scheuch, bat SPÖ-Vizekanzler Adolf Schärf um ein Gespräch in dieser Sache. Das Urteil fiel gnädig aus. Drei Jahre Kerker waren mit der Untersuchungshaft erledigt. Der Vermögensverfall wog nicht schwer, weil Reinthallers Vermögen 1949 an die Gattin überschrieben worden war. Ein zweites Verfahren wurde erst gar nicht zu Ende geführt. Mittendrin wurde Reinthaller von Bundespräsident Theodor Körner begnadigt. Der Weg in die Politik war frei.

Die Vorläuferpartei der FPÖ, der VDU (Verband der Unabhängigen), der erstmals 1949 kandidiert hatte, war mittlerweile heillos zerstritten. Die ihrer Überzeugung treu Gebliebenen - wie der Steirer Egon Plachutta, der seine Briefe an Reinthaller mit "Heilgruß" unterschrieb - richteten ihre Hoffnungen jetzt auf Reinthaller. Sie wussten nicht, dass der "Idealist" drei Bedingungen nannte: "Geld, Macht, Mandat". Die FPÖ wurde am 7. April 1956 im "Weißen Hahn" in Wien gegründet. Laut Dorothea Haider, Jörg Haiders Mutter, war der Beschluss am Küchentisch in ihrem Haus in Bad Goisern gefasst worden, im Beisein von Ehemann Robert Haider und Friedrich Peter, der später Reinthaller als FPÖ-Chef nachfolgte und dessen SS-Einheit an Massenmorden beteiligt gewesen war.

"Die gängige Vorstellung vom angeblich 'liberalen' VDU hin zu einer 'nationalen' FPÖ ist nicht aufrechtzuerhalten, denn schon im VDU waren viele ehemalige Nationalsozialisten vertreten. Doch Reinthaller signalisierte einen klaren Rechtsruck. Aufgrund personeller und ideologischer NS-Kontinuitäten sowie der damit einhergehenden mangelnden Distanz zum Nationalsozialismus bewegte sich die FPÖ in ihrer gesamten Geschichte an der Grenze zum Rechtsextremismus", sagt Margit Reiter. Das gilt eingeschränkt, nicht mehr auf NS-Ideologie bezogen, bis heute.

Von Einsicht und Reue nichts zu spüren

Reinthaller war nach heutigem Wissensstand nicht unmittelbar an Verbrechen beteiligt, doch kraft seiner Funktionen müsste er einiges mitbekommen haben. Reiter fand heraus, dass Reinthaller im Juni 1942 gemeinsam mit 22 Kreisbauernführern das KZ Mauthausen besuchte. An dem Tag wurden laut Tätigkeitsbericht "zwei jüdische Flüchtlinge 'auf der Flucht' erschossen". Bei einem weiteren wurde vermeldet: "Tod durch Elektrozaun".

Reinthaller war nach Ansicht des nationalliberalen Historikers Lothar Höbelt für die erste Generation der FPÖ der "ideale Nazi" gewesen, sozusagen ein Nazi mit menschlichem Antlitz.

Von Einsicht und Reue über das Geschehene ist in Reinthallers Tagebuchaufzeichnungen nichts zu spüren.

Er empfand sich als "Opfer" der "Siegerjustiz". Die Judenvernichtung sei ein "Wahn" Hitlers gewesen. Von Vergasungen habe er nichts gewusst. "Die Vernichtung der Juden lehnte er ab, doch Rassenideologie, Ausgrenzung und Verfolgung von Juden hat er auch nach 1945 noch gutgeheißen", sagt Reiter.

Im Grunde pflegte Reinthaller dasselbe antisemitische Weltbild wie die Jahre zuvor, auch Begriffe wie "Ostjuden" und "Wirtsvölker" waren dieselben geblieben. Er war der Meinung, das Weltjudentum hätte sich 1934 zur "kriegführenden Macht erklärt" und "zum Kampf gegen Deutschland aufgerufen". Deshalb sei "eine verschärfte polizeiliche Behandlung der deutschen Juden" erfolgt ( ) und der Judenstern (angeblich) zum Schutz vor Feindpropaganda und Spionage eingeführt worden".

"Die Judenvernichtung stand in keinem Zusammenhang mit der deutschen Öffentlichkeit, der NSDAP oder "antisemitischer" Ideologie." Die Verbrechen könnten "keinesfalls dem Volk oder der Partei, sondern den individuell Schuldigen angelastet werden", schrieb Reinthaller seelenruhig.

Der Mehrheit der Österreicher hat er damit wohl aus dem Herzen gesprochen. Alle waren unschuldig, keiner hatte etwas tun können. Man sei "wie von einem Sturzbach der Ereignisse an die Wand gedrückt worden", so Reinthaller.

Die Jahre und die Abstumpfung rücken den FPÖ-Gründer, der 1958 verstarb, in ein weiches Licht. Die oberösterreichische FPÖ ehrte Reinthaller vor zwei Jahren in einem Festakt. In der dicken Dorfchronik von Mettmach wird er unter den großen Söhnen des Orts gewürdigt.

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