Fußballtrainer macht heimlich Nacktaufnahmen von seinen Spielerinnen und kommt damit davon

Anna und Sarah liebten es, Fußball zu spielen. Dann entdeckten die 19-Jährigen, dass sie heimlich von ihrem Trainer in der Duschkabine gefilmt wurden – vermutlich über Jahre. Doch eine Anzeige blieb bisher ohne Folgen.

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Bis zum 2. Oktober 2018 bedeutete Fußball für Anna und Sarah* Freiheit. Schon seit Jahren spielten sie in der Frauenmannschaft eines Klubs im niederösterreichischen Mostviertel. Ihre Teamspielerinnen und Trainer waren nicht nur Kollegen. Es waren Freundinnen und Verbündete. Niemals hätten die heute 19-Jährigen erwartet, dass gerade der Fußballklub jener Ort sein wird, der ihr Leben nachhaltig überschattet.

Anna und Sarah waren an jenem Herbsttag gesundheitlich angeschlagen. Sie beschlossen, nicht mit den anderen Spielerinnen aufs Feld zu laufen, sondern ein leichtes Training im Fitnessraum zu absolvieren. Danach gingen sie in die Umkleidekabine, zogen sich aus, gingen unter die Dusche, zogen sich wieder an. Da entdeckte Anna am Tisch in der Ecke, versteckt unter einer Jacke, ein leuchtendes Handy. Die Kamera war an. Schon 20 Minuten lang. Nacktaufnahmen von Anna und Sarah. Als es an der Tür klopfte, erstarrten die beiden. Der Trainer wunderte sich, warum sie so lange brauchten. Das Handy gehörte ihm.

„Eine Entschuldigung haben wir nicht bekommen“

Zumindest vier bis fünf Mal versteckte der 27-jährige Mann in den vergangenen drei Jahren sein Handy in der Dusche des 20-köpfigen Frauenteams. Das gestand der Trainer bei einer polizeilichen Einvernahme. Viele Mädchen waren zum Zeitpunkt der Aufnahmen noch minderjährig. Warum er das getan hat, wisse er nicht, erklärte er den Beamten. Er habe die Videos mit den Nacktaufnahmen jedenfalls „immer sofort gelöscht“.

Anna und Sarah filmten an jenem Oktobertag das Video auf dem Handy des Trainers ab. Sie waren geschockt und ängstlich, aber entschieden sich dennoch, Anzeige zu erstatten – auch wenn der Trainer versuchte, das mit allen Mitteln zu verhindern. „Er bombardierte uns die ganze Nacht mit Nachrichten“, erzählt Sarah heute. Auf keinen Fall dürften sie irgendjemandem davon erzählen, so seine Warnung, ihre Freundschaft würde zerstört, sie würden den Ruf des Vereins zerstören, er würde sich umbringen, seine Karriere sei vorbei. Eine Entschuldigung fehlte unter den Dutzenden Nachrichten. „Eine aufrichtige Entschuldigung haben wir bis heute nicht bekommen.“

Ein paar Wochen nach dem 2. Oktober kam die überraschende Nachricht: Die zuständige Staatsanwaltschaft (STA) St. Pölten stellte das Ermittlungsverfahren ein. Es liege kein „gerichtlich strafbares Verhalten“ vor. Noch heute können Anna und Sarah diese Entscheidung kaum glauben. Vergangenen Mittwochabend spazieren die beiden über die weitläufige Wiese vor dem Büro ihrer Anwältin und sagen: „Wir hatten das Gefühl, dass es eigentlich egal ist, was er gemacht hat.“

Dieser Fall in Niederösterreich wirft nicht nur die Frage auf, ob der Rechtsstaat Betroffenen genügend Schutz und Werkzeuge bietet, um gegen solche Eingriffe vorzugehen. Die Geschichte von Anna und Sarah ist auch exemplarisch dafür, wie viel Kraft und Mut es erfordert, sich zu wehren.

Hausdurchsuchung fünf Wochen nach Anzeige

Anders als etwa in Deutschland (siehe Infobox am Ende) stellt das heimliche Fotografieren und Filmen in Österreich keinen Straftatbestand dar – sofern die Aufnahmen nicht verbreitet werden oder pornografische Inhalte vorliegen. Nach dem Datenschutzgesetz droht nur dann eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, wenn eine Person mit einem „Bereicherungsvorsatz“ oder „mit der Absicht, einen anderen (…) zu schädigen, personenbezogene Daten, die ihm ausschließlich auf Grund berufsmäßigen Beschäftigung (…) zugänglich geworden sind (…), selbst benützt, (…) obwohl der Betroffene an diesen Daten ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse hat.“

Gegen den Trainer wurde in all diesen Punkten ermittelt. Zu einer Hausdurchsuchung kam es jedoch erst Mitte November, fünf Wochen nach der Anzeige. Die Ermittler konnten dabei keine weiteren Nacktaufnahmen von Spielerinnen sicherstellen, auch sonst wurde „kein kinderpornografisches Material auf den Festplatten gefunden“, heißt es im Akt. Auf dem Video von Anna und Sarah vom 2. Oktober sei lediglich zu sehen, „wie diese nackt (...) in den Duschraum gehen und wieder zurück“, jedoch keine „sexuellen Handlungen“ oder „reißerische Aufnahmen“. Darum handle es sich nicht um pornografisches Material.

Die Staatsanwaltschaft sah auch keine „Schädigungsabsicht“ des Beschuldigten, noch könne ihm ein „Bereicherungsvorsatz“ gemacht werden. Weil der Trainer „die aufgenommenen Videos nicht weiterverbreitete“, sondern „lediglich selbst ansah und danach sofort wieder löschte“, heißt es in der Begründung zur Verfahrenseinstellung.

Anwältin: Wollen die Entscheidung nicht hinnehmen

Während für ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler nach Bekanntwerden des Falles „die Einstellung des Verfahrens auf den ersten Blick nicht verständlich“ war, stellt sich Justizminister Josef Moser hinter die Staatsanwaltschaft: Man habe auf jeden Fall „richtig entschieden“, heißt es aus dem Ministerbüro. Anders als SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim sieht Moser auch keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung (siehe Kasten am Ende).

Die Anwältin der Spielerinnen, Valentina Murr, will die Entscheidung der Staatsanwaltschaft (STA) so nicht hinnehmen. Sie stellte einen Fortführungsantrag. „Meinen Mandantinnen geht es darum, über das Strafrecht Gerechtigkeit zu erfahren. Wir hoffen weiterhin, dass das Verfahren fortgeführt wird – zumindest wegen der Körperverletzung.“ Beide Frauen befinden sich in psychologischer Betreuung. Das wollte die STA bisher nicht als vorsätzliche Körperverletzung gelten lassen: Weil der Trainer nicht gewollt habe, dass seine Spielerinnen die Videos sehen, könne dem Beschuldigten „kein Vorsatz auf das Herbeiführen einer Gesundheitsschädigung nachgewiesen werden.“ Hält sich das Gericht an die Einschätzung der STA, bleibt nur der Gang zur Datenschutzbehörde. Nach dem Datenschutzgesetz droht dem Trainer zumindest eine Verwaltungsstrafe.

„Meinen Mandantinnen geht es darum, über das Strafrecht Gerechtigkeit zu erfahren.“ Valentina Murr, Rechtsanwältin

Die Führung des Mostviertler Fußballklubs hat den Trainer noch im Herbst suspendiert. Als der Obmann des Vereins beim nächsten Training vor die versammelte Mannschaft trat, habe er eine Bitte an die Spielerinnen gerichtet: „Schreibt ihm doch wenigstens, danke – für die letzten Jahre, was er für den Verein gemacht hat.“ Das war der Moment, in dem Anna klar wurde, dass sie nicht mehr zurück kann.

„Ich will gar nicht mehr Fußballspielen“

Seit Anna vier Jahre alt ist, steht sie auf dem Fußballfeld. Seit dem vergangenen Sommer trainierte sie zwei bis drei Mal die Woche im Team des Mostviertler Klubs. Jedes Wochenende war Matchtag. Anna ist eine starke Mittelfeldspielerin; die vergangene Saison lief gut für das Team. Heute sagt sie: „Ich will gar nicht mehr spielen.“

Der Obmann habe zwar nach Protest der jungen Frauen eingesehen, dass seine Aussage „unpassend“ war, „aber ich könnte nie mehr dieses Vertrauen zu einem Trainer und dem Team aufbauen“, sagt Anna. „Dass mir unser Trainer den Fußball genommen hat, ist traurig. Aber ich kann nicht mehr.“ Noch im Herbst beendete sie ihre Karriere.

Anna und Sarah kannten den Trainer seit Jahren, sie fuhren gemeinsam auf Fußballmatches, veranstalteten Spieleabende. Heute haben sie Angst, in ein Lokal im Ort zu gehen: „Was ist, wenn er plötzlich vor uns steht?“ Wenn Anna heute ein neues T-Shirt kauft, probiert sie es davor nicht in der Umkleidekabine an. Unter die eigene Dusche ging sie anfangs nur, wenn keiner zu Hause war.

„Vielleicht können Außenstehende nicht ganz nachvollziehen, welches Ausmaß das für Betroffene hat“, sagt Sarah. „Man denkt sich: Die sind eh nur gefilmt worden, das hat eh keiner gesehen, die Videos wurden eh gelöscht. Aber das macht etwas mit einem. Auch wenn er nie handgreiflich wurde und uns berührt hat – es fühlt sich trotzdem so an.“

Infobox: Rechtsauslegungen

Angelika Adensamer kann die Entscheidung der STA St. Pölten „nicht nachvollziehen“. Die ­Juristin und Kriminologin ist seit Mai 2018 Mitglied im Datenschutzrat und im Team der Menschenrechtsorganisation „epicenter.works“. „Wenn jemand ohne Einwilligung Nacktbilder in einer Dusche, also in einem höchstpersönlichen Bereich, anfertigt, dann sehe ich darin schon die Absicht, das ‚Geheimhaltungsinteresse‘ der Betroffenen zu schädigen. Ich verstehe deshalb nicht, warum die Entscheidung der Staatsanwaltschaft offensichtlich auf der Hand liegt“, sagt Adensamer.

Justizminister Josef Moser stellt sich hinter die STA St. Pölten und sieht auch keinen Bedarf für die Schaffung eines neuen Straftat­bestandes – etwa nach dem Beispiel Deutschlands. Dort ist das heimliche Filmen und Fotografieren einer Person, „die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet“ bereits seit 2004 als Tatbestand im Strafgesetzbuch verankert. Nur weil es hierzulande „strafrechtlich nicht relevant ist, kommt der Trainer nicht straffrei davon“, heißt es aus dem Büro von Justizminister Moser. Nach dem Datenschutzgesetz drohe ihm eine Verwaltungsstrafe von bis zu 50.000 Euro.SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim ortet hingegen eine ­„G-setzeslücke“ und plant bereits einen entsprechenden Gesetzesvorschlag: „Einen Menschen nackt ohne dessen Einwilligung zu filmen oder zu fotografieren, ist ein massiver Eingriff in die Selbst­bestimmung. Möglich wäre eine Strafbestimmung etwa im Rahmen der Bestimmungen zur Nötigung.“