„Du bist so ein Terf!”
Tatsächlich freut es einen nahezu, von dem „Krone”-Kolumnisten Michael Jeannée, der seine politische Koordinaten in einem profil-Interview einst unter „rechts von Dschingis Khan” verortete und dort auch Frauen als „Hasen” bezeichnete, eins übergezogen zu bekommen. Lob von dieser Seite würde irritieren. Wenig überraschend griff er diese Woche unsere aktuelle Cover-Geschichte zur Frage „Wieviele Geschlechter gibt es?” auf und füllte seine Spalte nahezu ausschließlich mit Begriffserklärungen unseres Lexikons rund um die Transgender-Debatte. Wir verstehen: Es war ein heißer Tag, wahrscheinlich zu heiß für eigene Gedankenarbeit. Einer der vier Sätze aus Jeannéeschem Eigenbau in dieser „Post” lautete: „Danke, „profil”, danke, danke.”
Gerne geschehen. Natürlich haben wir damit gerechnet, dass diese Geschichte polarisiert. Die Tonart der Leserbriefe war entweder von Anerkennung für den couragierten Zugang gekennzeichnet oder voller Ablehnung, dass man einer solchen „Marginalie” wie der geschlechtlichen Selbstbestimmung soviele Seiten widme.
Wir verstehen die Irritation. Ich habe selbst mit meiner 28jährigen Tochter heftige Debatten zum Thema „Unterscheiden sich Trans-Frauen von biologischen?” geführt, die mit ihrem Vorwurf „Du bist so ein Terf!” endeten. Damals musste ich den Begriff auch googeln. Die Abkürzung steht (wie unserem Lexikon zu entnehmen) für „Trans-Exklusionary Radical Feminism”und wird für jene Feministinnen verwendet, die auf das biologische Konzept von zwei Geschlechtern bestehen und Trans-Frauen nicht inkludieren. Inzwischen habe ich dazu gelernt. Eine schwarze Transfrau hat beispielsweise in den USA eine Lebenserwartung von 35 Jahren.
Ähnlich entnervt haben wahrscheinlich viele reagiert, als die Forderungen des Feminismus vor 50 Jahren virulent wurden oder um die gesetzliche Anerkennung von Ehe und Familiengründung für Homosexuelle gekämpft wurde. Die Millenials und Generation Z-ler sind anders sensibilisiert: Sie sind wachsamer und empathischer, was die Rechte und Diskriminierungen von Minderheiten betrifft. Als Mitzwanziger kann man aus dem Vollen, was Rebellionspotenzial betrifft, schöpfen: Klima, #Metoo, #Blacklivesmatter, Aufhebung des Rechts auf Abtreibung und jetzt eben das hitzige Gefecht um geschlechtliche Selbstbestimmung: in Deutschland und Spanien kann man seinen Personenstand mit Einwilligung der Sorgeberechtigten ab 14 Jahren ändern.
Mit ihrer oft anstrengenden „Wokeness” wecken unsere Kinder auch uns auf. Das Pendel muss oft schwer in die andere Richtung ausschlagen, ehe sich die (in diesem Fall manchmal aggressive) Debattenkultur wieder mildert und in den Mainstream sickert. Das wird im Fall der Trans-Gender-Diskussionen noch einige Jahre dauern, bis das Thema ohne als „degeneriert” oder „exotisch” zu gelten, auch in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist.
Oder um mit der US-Feminismus-Ikone Gloria Steinem zu sprechen: „The truth will set you free, but first it will piss you off!”*)
Eine debattenkluge Woche wünscht
Angelika Hager
*) Salopp übersetzt: Ehe die Wahrheit ihre befreiende Wirkung entfaltet, wird sie einem noch ordentlich auf den Wecker gehen.