Sebastian Kurz im Rahmen eines ÖVP-Wahlkampfabschlusses, umringt von Unterstützer:innen

Generation Kurz – ohne Sebastian

Unter Parteichef Sebastian Kurz erlebte die Junge Volkspartei einen Zulauf wie selten zuvor. Drei türkise Jungpolitiker im Porträt, die den Absturz von Kurz ganz unterschiedlich verdauten.

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Kurz vor der Wiener Gemeinderatswahl 2010 fährt ein schwarzer Hummer durch die Stadt. Im Geilomobil sitzt der damals 24-jährige Obmann der Jungen Volkspartei (JVP), Sebastian Kurz. „Schwarz macht geil.“ Im Eiltempo wird er Staatssekretär, Außenminister, Österreichs jüngster Bundeskanzler. In der JVP wird er zum Idol einer Generation. Das Signal, das sein kometenhafter Aufstieg an die Jungen sandte: Man kann wirklich etwas erreichen – auch in der Politik, auch in der ÖVP.

Mit Sebastian Kurz wurden Jugendliche aktiv, die sich davor nur mäßig für Politik interessiert hatten. Kurz versprach einen „neuen Stil“, beschränkte die Macht der - aus jugendlicher Sicht - angestaubten Bünde und Länder. So konnten die Jugendlichen sich als Rebellen fühlen, ohne gegen die konservativen Werte der Eltern zu verstoßen. Kurz hatte nicht nur viele Wähler, er hatte Fans. Allen voran die Mitglieder der JVP. Mit ihren türkisen T-Shirts und Jubelchören waren sie auf Parteiveranstaltungen die wichtigsten Statisten der Kurz-Inszenierung.

Jetzt ist der Fixstern vom Himmel gefallen,  das lässt Anhänger verloren zurück. Korruptionsvorwürfe, Hausdurchsuchungen, Chat-Nachrichten: Was macht das mit jungen Menschen, die wegen Kurz wieder an die Politik glaubten? Wie geht es weiter mit der Generation Kurz?

„Unter Kurz hätte es das nicht gegeben“

Armin Amiryousofi (25) war Vorsitzender der ÖH an der Uni Graz, er ist Mitglied der Jungen Volkspartei und arbeitet als parlamentarischer Mitarbeiter. Die Aufregung um die Chats verstand er nie.

„Ein Freund hat mich 2016 zu einer JVP-Veranstaltung in Graz mitgenommen“, erzählt der 25-jährige Jus-Student, der kurz vor seinem Abschluss steht. „Sebastian war zufällig auch dort, damals war er zwar schon Außenminister, aber für uns war er trotzdem wie ein lässiger Kumpel.“ Politisch interessiert war der frühere Landesschulsprecher immer, am ehesten hat er sich auch damals in der jungen Volkspartei gesehen. Aber durch diese Begegnung mit Kurz ist er tatsächlich in die Partei eingetreten.

„Ich bin seit fast vier Jahren parlamentarischer Mitarbeiter im ÖVP-Parlamentsklub bei Josef Smolle, da bekomme ich viel von der Bundespolitik mit“, erzählt Amiryousofi. Mit Kurz an der Spitze ist er vom „Lifestyle-Kerl zum richtigen Politiker geworden“. Die ÖVP sei damals zu starr für Reformen gewesen, niemand habe gewusst, wofür sie stehe. „In der Partei war damals eine unglückliche Meute, bei ihnen sind die härteren Aussagen von Sebastian richtig gut angekommen. Die Umorganisation war bitter nötig.“

Reinhold Mitterlehner hätte er damals nicht gewählt. „Auf Sesseln kleben ohne größere Veränderungen zu bewirken, das war nicht ‚my style of ÖVP‘.“ 2017 erhoffte sich Amiryousofi viel von der ÖVP, vor allem mehr Transparenz. Ein Wunsch, das muss Amiryousofi zugeben, der nicht in Erfüllung gegangen ist. Bei den Chats ist für ihn nicht ersichtlich, wo Kurz eine moralische Grenze überschritten habe. „Dass der Kurz den Mitterlehner als ,Arsch‘ beschimpft hat, fand ich eigentlich nachvollziehbar.“

Dass Kurz gehen würde, hätte er nie gedacht. „Ich habe in der ÖVP sehr viele positive Entwicklungen für junge Menschen gesehen. Jetzt rücken wieder die Landeshauptleute in den Vordergrund. Unter Sebastian Kurz hätte es so eine intransparente und unklare Linie nie gegeben.“ Amiryousofi befürchtet, dass nun die schwarze ÖVP samt den alten Strukturen wiederkommt. Er bleibt eher ein Türkiser. „Wenn die ÖVP wieder in den vollschwarzen Modus zurückgeht, verliert sie Wahlen. Zurecht.“

Lockdown, Impfpflicht … unter Kurz wäre das anders gelaufen, ist er überzeugt. „Kurz war einfach ein cooler Politiker und ich habe die ÖVP unter ihm sehr gemocht. Jetzt bin ich enttäuscht von einigen Kräften, die sich jetzt zurückmelden, weil ihr Ego in den letzten Jahren gelitten hat.“

 „Eine ÖVP ohne Sebastian Kurz war für mich nicht vorstellbar“

Für Sarah Schmidjell (25) war Sebastian Kurz der Grund in die Politik zu gehen. Jetzt ist er weg. Sie bleibt.

„Unter ihm ist eine Bewegung entstanden, die es so noch nie gegeben hat. Das muss ihm auch erst mal jemand nachmachen“, erzählt die 25-jährige. Ihr politisches Engagement hat schon in der Schule begonnen, der Weg zur jungen ÖVP war damals der einzig richtige. „Sebastian Kurz war nicht nur ein Ausnahmetalent, ein toller Parteiobmann und super Bundeskanzler. Er hat die ÖVP auch stark geprägt in den letzten Jahren.“ 2017 stand sie – damals 20 Jahre alt – auf der Liste zur Nationalratswahl. Der Einzug gelingt nicht, aber dadurch ergibt sich ein neuer Job: Sie wird parlamentarische Mitarbeiterin bei der mittlerweile verstorbenen Abgeordneten Barbara Krenn. Mittlerweile arbeitet sie als Mitarbeiterin der Abgeordneten Romana Deckenbacher.

Nebenbei sammelt sie Abschlüsse an mehreren Universitäten, von der Uni Wien, über die TU Wien bis zur Sigmund Freud Privatuniversität.

Als die Chat-Affäre auftauchte, war Schmidjell schockiert: „Ich kenne ihn so nicht. Diese Wortwahl und der mangelnde Respekt, das ist einfach nicht meine Art der politischen Kommunikation.“ Für sie steht außer Frage, dass Sebastian Kurz ein Ausnahmetalent war, er hat „Wahlen gewonnen“ und „Menschen bewegt und abgeholt“, aber das Bild habe aufgrund dieser Chats zu bröckeln begonnen. „Für die junge Generation, zu der ich mich zähle, war eine ÖVP ohne Sebastian Kurz schwer vorstellbar.“

Wie man aber sieht, könne die ÖVP auch ohne ihn weiterregieren, meint Schmidjell. „Wir haben innerhalb von 24 Stunden einen neuen Parteiobmann und Bundeskanzler definiert. Das ist definitiv eine stabile Bundesregierung!“ Dass Fehler passieren, sei menschlich, findet sie. „Als Politiker steht man in der Öffentlichkeit und ist heftigen Anfeindungen – bis zu Morddrohungen – ausgesetzt, da ist schon die Frage, wie lange man sowas aushält.“

Schmidjell sieht sich noch immer als Türkise, aber ihre Wurzeln definiert sie als schwarz. Sie ist zwiegespalten: Der Schock über die Chats sitze noch immer tief, „so ein Stil ist einfach abzulehnen“, meint sie. Auf der anderen Seite ist Sebastian Kurz der Politiker, der sie schon seit zehn Jahren begleitet. „Sein jugendliches Auftreten, seine klare Kommunikation, seine Professionalität. Er war ein Ausnahmetalent.“ Schmidjell ist überzeugt davon, dass die Jugend durch Sebastian Kurz innerparteilich viel ernster genommen werde. Das zeige auch die Bestellung von Claudia Plakolm oder Laura Sachslehner. Plakolm (27) ist neue Jugendstaatssekretärin, Sachslehner (27) neue ÖVP-Generalsekretärin.

Ihrem einstigen Idol, Sebastian Kurz, wünscht Schmidjell alles Gute, wo auch immer er jetzt hingehe.

„Nehammer ist wenigstens kein Wunderkind“

Marcel Prokop* (23) kommt aus einer ÖVP-nahen Familie und war in seiner Jugend begeistertes JVP-Mitglied. Sebastian Kurz war für ihn prägend – aber auch einer der Gründe, warum er ausgestiegen ist.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert. Prokop befürchtet, dass sich Kritik an der Partei negativ auf seine berufliche Zukunft auswirken könnte. 

„Sebastian Kurz war jung, rhetorisch gut und hat für mich wirklich wie das Wunderkind gewirkt. Damals habe ich zu ihm aufgeschaut“, erzählt der heute 23-jährige, der 2012 in die JVP eingetreten ist. 

Kurz genoss damals hohen Bekanntheitsgrad. Für Prokop war er eine Art Vorbild und er merkte: „Man kann auch als Junger etwas erreichen.“ Bei der Nationalratswahl 2013 durfte er zwar noch gar nicht wählen, sammelte aber in seiner Region Unterstützungserklärungen für Kurz. 2015 war er zum ersten Mal nicht der gleichen Meinung des damaligen Außenministers. „Die Flüchtlingskrise war ein Einschnitt, damals habe ich mir zum ersten Mal gedacht, dass er eine ganz andere Linie vertritt als ich.“

Noch überwog die Begeisterung. „Mitterlehner ist nicht ganz freiwillig gegangen, das war damals klar, aber was wir jetzt alles wissen, ist schon schockierend“, sagt er heute. Die Koalition mit der FPÖ von 2017 bis 2019 sah er differenziert. „Ich habe mir gedacht, dass so vielleicht wenigstens wirtschaftlich etwas weitergeht in Österreich.“ Bald fühlte er sich in der JVP aber fehl am Platz, das Christlich-Soziale verschwand aus seiner Sicht. Seit 2019 ist er kaum noch aktiv.

„Was mich an der JVP fast am meisten gestört hat, war unser Slogan: Jung, kritisch, steirisch. Unter Sebastian Kurz ist das Kritische aber verloren gegangen.“ Beim Aufkommen der Chat-Affäre dachte Prokop noch, dass die türkise Linie trotzdem weitergehen könnte. Jetzt ist er sich da nicht mehr so sicher.

Die Euphorie, die Sebastian Kurz einmal bei ihm auslöste, ist nicht mehr vorhanden. „Er wird auch weiter Karriere machen, in der Privatwirtschaft, aber dass er der Politik den Rücken zugewandt hat, ist gut. Für ihn und auch für die ÖVP.“ Prokop ist sich sicher, dass so ein ‚Talent‘ nicht mehr so schnell nachkommen wird. „Sebastian Kurz hat mich einmal sehr beeindruckt, aber es scheint sich um mehr Schein als Sein zu handeln. Es war enttäuschend herauszufinden, wie wenig hinter diesem Wunderkind wirklich steckt.“ Und: „Nehammer ist wenigstens kein Wunderkind.“