Gernot Bauer: Bitte nicht wählen!

Warum ein Ausländerwahlrecht nicht mehr, sondern weniger Demokratie bedeutet - und nicht bessere Integration, sondern schlechtere.

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Einen ersten überzeugenden Einwand gegen ein Wahlrecht für Zuwanderer lieferten unlängst viele von ihnen selbst. Nach dem Putschversuch in der Türkei zogen Tausende in Wien lebende Türken in nicht angemeldeten Demonstrationen durch die Bundeshauptstadt und schworen ihrem Staatspräsidenten Erdoğan lautstark Treue bis zum Tod. Wollen wir aus diesen auffällig-aggressiven Mitbewohnern wirklich Mitbürger machen? Damit sie dann eines Tages einen Avusturya-Ableger der Erdoğan-Partei in den Nationalrat wählen? Ein österreichischer Gesetzgeber, der solches ermöglicht, macht sich zum nützlichen Idioten Ankaras.

Zugegeben: Das Argument klingt mehr nach einem Stammtisch in Simmering als nach einem Seminar an der Diplomatischen Akademie. Und natürlich ist es fragwürdig, eine Million Ausländer in Österreich für das Fehlverhalten einer Minderheit zu bestrafen. Aber eines der Privilegien der österreichischen Staatsbürgerschaft besteht darin, dass der Staat seine Bürger schützen muss - auch gegen Gefahren, die von hier lebenden Nicht-Staatsbürgern ausgehen.

Einen moralisch einwandfreien Einwand gegen ein Ausländerwahlrecht liefert Artikel 1 der Bundesverfassung: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Der Begriff "Volk" knüpft dabei an die österreichische Staatsbürgerschaft an. Wer kein Österreicher ist, darf nicht wählen. Dies hat der Verfassungsgerichtshof (und mit ihm die überwiegende Mehrheit der Lehre) mehrfach festgehalten. Artikel 1 ist keine "normale" Verfassungsbestimmung, sondern ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung, das ohne Volksabstimmung nicht aufzuheben ist. Um ein Ausländerwahlrecht einzuführen, müsste man also die Verfassung sprengen.

Über einen Einsatz des Bundesheeres im Ausland sollten Österreicher abstimmen - und nicht Ausländer.

Die einzige Ausnahme bildet das kommunale Wahlrecht für EU-Bürger in den 28 Mitgliedsstaaten. Doch auch dahinter steckt letztlich das Prinzip einer Staatszugehörigkeit, wenn auch einer übernationalen. Die politische Teilhabe außerhalb des eigenen Landes soll das europäische Bewusstsein stärken und könnte eines Tages zu einer EU-Staatsbürgerschaft führen. So weit die Utopie. In der Brexit-Realität der EU werden wir die Nationalstaaten behalten, samt ihren 28 Staatsbürgerschaften. Deren bestechende Grundidee stammt aus der Zeit der Französischen Revolution. Die gemeinsame Staatszugehörigkeit schuf eine Nation gleichberechtigter Bürger. Der Adel dagegen war (und ist) supranational. Die Nichtfranzosen im Land durften nach der Revolution von den neuen Freiheiten profitieren, politisch aber nicht mitbestimmen, so wie die Republik Österreich heute jedem, der hier lebt, die Einhaltung der Menschenrechte garantiert. Das Wahlrecht bleibt Bürgerrecht, wie beinahe überall auf der Welt.

Es leuchtet ja noch ein, wenn in Wien Neubau lebende Australier, Argentinier oder Südafrikaner über eine Begegnungszone in der Mariahilfer Straße mitentscheiden können sollen. Ob die Republik Österreich das Bundesheer nach Afrika schickt, NS-Opfer entschädigt oder ein Freihandelsabkommen mit den USA schließt, sollte dagegen eine von österreichischen Staatsbürgern gewählte Regierung beschließen.

Diese Bürger wählen als souveränes Staatsvolk ihre Vertreter - auf Zeit. Nützt eine Regierung ihre befristete parlamentarische Mehrheit dazu, den Kreis der Wahlberechtigten zu erweitern, darf dies aus demokratiepolitischer Sicht Unbehagen auslösen. Zwangsläufig gerät sie unter Verdacht, dies aus rein machtpolitischen Motiven zu tun und sich ihre nächsten "Wähler zu wählen" (so der deutsche Staatsrechtler Josef Isensee).

Aus dieser Perspektive erscheint auch die Einführung des Wahlrechts für Jugendliche ab 16 Jahren durchaus heikel. Doch immerhin handelte es sich bei den neuen Wahlberechtigten um österreichische Staatsbürger. Und die Senkung des Wahlalters wurde von allen Parlamentsparteien befürwortet, was bei einem Ausländerwahlrecht nicht der Fall wäre.

Nüchtern betrachtet stellt sich die Frage nach einem Wahlrecht für Zuwanderer gar nicht. Wer hier wählen will, soll einfach Österreicher werden. Dazu reichen der Nachweis durchschnittlicher Deutschkenntnisse und ein zehnjähriger Aufenthalt. Über diese im internationalen Vergleich lange Zeitdauer kann man diskutieren. Ihre Intention ist klar: Ein allzu rasch verliehener rot-weiß-roter Pass würde die Motivation zur Integration eher hemmen. Staatsbürgerschaft und Wahlrecht sollten nicht Mittel der Integration sein, sondern deren Krönung.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.