BIRGITT HALLER: Die Juristin und Politologin beschäftigt sich am Institut für Konfliktforschung mit Gewalt- und Genderfragen.

Gewaltforscherin Haller: "Männer morden aus Besitzdenken“

Gewaltforscherin Birgitt Haller über Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem.

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INTERVIEW: CHRISTINA PAUSACKL UND CHRISTA ZÖCHLING

profil: Können Frauenmorde verhindert werden? Haller: Wenn ein Mann seine Partnerin umbringen will, wird er das schaffen. Aber vielleicht wären es nicht so viele Morde, wenn mehr Frauen bei Gewalt durch den Partner eine Interventionsstelle aufsuchen. Oder die Polizei bei einem Hilferuf gleich ein Betretungsverbot verhängt und nicht einfach nur eine „Streitschlichtung“ durchführt.

profil: Woran liegt es, dass eine Trennung von ihrem Partner für Frauen eine Hochrisiko-Angelegenheit werden kann? Haller: Um das zu beenden, dafür müssten wir das Patriarchat abschaffen. Männliche Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles Problem. Es hat mit einer hierarchisierten Gesellschaft zu tun, in der Frauen weniger wert sind und Buben eingeredet wird, dass sie toll und stark sind und nicht weinen dürfen.

profil: Wir haben heute bessere Gewaltschutzgesetze als vor 30 Jahren, Gewalttaten werden viel häufiger zur Anzeige gebracht. Auch die Einstellung in der Gesellschaft zu Gewalt hat sich zum Besseren gewandelt. Warum nehmen Frauenmorde trotzdem zu? Haller: Ich bin mir nicht sicher, ob sie langfristig zunehmen. Das Jahr 2018 war ein Alptraum. Mit 41 Frauenmorden verbuchte Österreich auch im EU-Vergleich einen schrecklichen Rekordwert. Die Statistik zeigt, dass überproportional viele Täter Migranten waren. Das darf man nicht schönreden. Wenn ich davon ausgehe, dass die Abwertung von Frauen Teil des Patriarchats ist, dann ist die Geschlechterbeziehung bei vielen Menschen aus vormodernen Gesellschaften natürlich eine noch schlechtere.

Frauen sind auch eifersüchtig, bringen aber deswegen ihre Männer nicht um.

profil: Sie haben Tötungsdelikte in Paarbeziehungen in den Jahren 2008 bis 2010 in Österreich untersucht. Worin unterscheiden sich Täterinnen und Täter? Haller: Frauen töten ihre Männer nicht nur viel seltener, sondern auch aus anderen Gründen. Bei Männern wird als Motiv meist landläufig Eifersucht genannt. Aber das ist kein Grund für Mord. Frauen sind auch eifersüchtig, bringen aber deswegen ihre Männer nicht um. Männer morden vor allem aus einem Besitzdenken heraus. Nach dem Motto: „Wenn ich sie nicht haben kann, dann darf sie niemand bekommen.“ Auch Brüche in der Lebenssituation erzeugen häufig Gewalt. Wenn Männer zum Beispiel arbeitslos werden, während die Frau berufstätig ist und vielleicht auch noch erfolgreich. Viele Männer halten das nicht aus.

profil: Wann greifen Frauen zur Tatwaffe? Haller: Studien zeigen, dass Frauen oft aus Verzweiflung morden, weil sie sich von einem gewalttätigen Partner befreien wollen und keinen anderen Ausweg sehen. In meiner Erhebung habe ich die Fälle von 39 männlichen Tätern und acht Täterinnen untersucht. Keine Frau wurde wegen Mordes verurteilt; die Männer alle. Die Männer haben kalkuliert gehandelt und den Mord zum Teil lange geplant. Die Frauen handelten impulsiv. Bei der Mehrheit der Täterinnen lief es nach diesem Schema ab: Die Frau sitzt mit dem Partner daheim, sie trinken zu viel Alkohol und streiten. Der Mann sagt irgendwann, dass es ihm reicht und steht auf. Die Frau wird unheimlich wütend, fischt ein Küchenmesser aus der Lade und sticht zu. Dann ruft sie die Rettung, die Polizei, die beste Freundin an und sagt: „Ich habe etwas Furchtbares getan, das wollte ich nicht.“