Polizist:innen und Spurensicherung am Tatort eines Femizids
Prüfbericht

Gewaltschutz für Frauen: Rechnungshof sieht mehrere Schwachstellen

Die Prüfer empfehlen im Kampf gegen Übergriffe flächendeckende Gewaltambulanzen und Sensibilisierung für Polizei und Justiz. Es fehle an einer österreichweiten Gesamtstrategie.

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Wie sicher können sich Frauen in Österreich fühlen? Glaubt man dem heute erschienenen Bericht „Gewalt- und Opferschutz für Frauen“, dann gibt es noch etliche Schwachstellen. Der Rechnungshof würdigt zwar, "dass niederschwellige Beratung für Frauen über nahezu das gesamte Bundesgebiet angeboten wird". Auch die rund um die Uhr verfügbare Frauenhelpline gegen Gewalt wertet er positiv.

Abseits davon sieht es beim Gewaltschutz allerdings mau aus, so der Rechnungshof. Was fehle, sei eine langfristige Gesamtstrategie.

Nachholbedarf bei Polizei und Justiz

Kritik gibt es vor allem am Sicherheitsapparat: Ersteinschreitende Polizeibeamte müssen etwa bei Gewalt in der Privatsphäre selbst über Betretungs- und Annäherungsverbot entscheiden. Immer wieder sorgten Fälle für Empörung, bei denen rückfällig gewordene Gewalttäter nicht weggewiesen wurden. Ein Tool der Landespolizei Wien hilft seit 2021 bei der Einschätzung. Mit dem "Gewalt in der Privatsphäre"-Support konnten im Vorjahr 535 Gefährdungseinschätzungen durchgeführt werden. Zehn Prozent davon wurden als Hochrisikofälle eingestuft. In den übrigen acht Bundesländern setzte die Polizei dieses Tool allerdings nicht ein - der Rechnungshof empfahl dem Innenministerium, hier nachzubessern.

Auch bei der Justiz gibt es Schwachstellen: Seit 2009 müssen angehende Richter:innen einen verpflichtenden Ausbildungsdienst in einer Opferschutz- oder Fürsorgeeinrichtung abschließen. Bisher gab es für jene, die davor in das Berufsfeld eingestiegen waren, keine Verpflichtung, diese nachzuholen, was laut Rechnungshof angepasst werden sollte.

Notwendig wäre es: Denn laut Statistik Austria erlebt mehr als jede dritte Frau ab dem Alter von 15 Jahren in Österreich körperliche Gewalt. Jede vierte litt bereits unter sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, jede fünfte wurde gestalkt.

Wenig Prävention durch lückenhafte Datenlage

Sowohl das Regierungsprogramm 2020-2024 als auch das Gewaltschutzpaket 2021 ziele auf Schutz nach konkreten Gefährdungen ab, dabei sei vor allem in Sachen Prävention mehr Arbeit zu leisten. Um die gesamte Tatgeschichte zu erfassen, sei eine Kombination aus vorhandenen Daten nötig, aus denen man Präventionen ableiten könne, heißt es im Prüfbericht. Das bestätigt auch Kriminologin Isabel Haider vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie, Universität Innsbruck: Geschlechterspezifische Datenerfassung sei bisher nicht Teil der jährlichen Kriminalstatistik. Dadurch fehle die Möglichkeit, Veränderungen des Kriminalitätsphänomens einschätzen zu können. Außerdem müssten die Daten um regelmäßige Dunkelfeldstudien ergänzt werden, in denen Frauen allgemein zu ihren Opfererfahrungen befragt werden, um ein Bild über das Ausmaß der Gewalt zu haben, die nicht angezeigt wird, so Haider. Der Rechnungshof regt eine solche Dunkelfeldstudie durch das BKA an, kritisiert die Nicht-Erhebung von Verletzungen aus häuslicher Gewalt und empfiehlt, eine Erfassung vom Bundeskriminalamt. Obwohl die Informationen sowohl in Spitalsambulanzen als auch bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten vorliegen, würden standardisierte Diagnosedokumentationen lediglich bei stationären Aufnahmen erfolgen, so der Rechnungshof. Dafür brauche es laut dem Prüforgan "die flächendeckend Einrichtung von Gewaltambulanzen". Zwar hat sich die Bundesregierung auf dieses Projekt bereits grundsätzlich verständigt, einen Zeitplan für die Umsetzung gibt es allerdings noch nicht.

Expertin fordert Verantwortung von Männern

Ausgespart wurde vom Rechnungshof das Thema der kritischen Männlichkeitsarbeit. Feministische Männerarbeit gegen Partnergewalt sei dringend erforderlich, bestätigt auch Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser. Mit der Initiative StoP ("Stadtteile ohne Partnergewalt") stellte sie zielgerichtet Männer für das Betreiben von Bewusstseinsförderung ein. „Gewalt an Frauen beginnt bei einem sexistischen Witz. Männer müssen eine klare Haltung gegen Gewalt an Frauen einnehmen und andere Männer direkt adressieren", betont sie im Gespräch mit profil. Wichtig sei auch, dass Frauen sich nicht mehr permanent gegen Männergewalt schützen müssen. Männer sollen umgekehrt ihr gewaltbereites Verhalten reflektieren und Verantwortung übernehmen, nur so könne sich in der Gesellschaft etwas ändern. Ein erster Lichtblick für die Frauenrechtlerin: Die unter Sozialminister Wolfgang Mückstein gestartete Sensibilisierungskampagne "Mann spricht's an". Mit Slogans wie "Der Reiz an Dickpicks? Brechreiz" erregte das Ministerium Aufmerksamkeit und forderte Zivilcourage von Männern. Eine zielgerichtete und einheitliche Gewaltschutz-Strategie, wie sie der Rechnungshof fordert, sei laut Rösslhumer in Spanien sichtbar, welches für sie als Vorbildland in Sachen Opferschutz gelte. Informationen über bestimmte Aktionen – wie das Notruf-Handzeichen – würden dort flächendeckend kommuniziert, sodass geschulte Angestellte in diversen Bereichen, wie zum Beispiel in Apotheken, bei Hilferufen von Frauen sofort über Abläufe Bescheid wüssten. Margit Kraker, Präsidentin des Rechnungshofes bestätigt: Gewalt- und Opferschutz für Frauen erfordere "Bewusstseinsbildung in der gesamten Gesellschaft sowie nachhaltig wirksame und koordinierte Maßnahmen aller Akteure in diesem Bereich". Diese seien vordergründig das Innenministerium, das Justizministerium sowie das Bundeskanzleramt (BKA). Die Sektion Frauen des BKA sei bundesweit zwar die koordinierende Stelle für Maßnahmen zum Schutz von Frauen, verfüge aber weder über die rechtlichen noch über finanzielle Ressourcen, um diese durchzusetzen, heißt es im Bericht.

Wichtige Hilfsangebote für Betroffene von Gewalt

Frauenhelpline gegen Gewalt:

0800 222 555

HelpCh@t:

www.haltdergewalt.at

Notrufnummer für Gehörlose:

SMS an 0800 133 133

Karolina Heinemann

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.