Die digitale Identität des Amokläufer A.

Graz: Die digitale Identität des Amokläufers

Ein Foto, neun Minuten vor dem Amoklauf: Wie sich der Grazer Attentäter online zeigt – und welche Symbolik dahintersteckt.

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Es ist ein unscheinbares Bild. Ein Paar schwarze Stiefel, eine schwarze Hose, ein beiger Fliesenboden, offenbar auf einer Schultoilette. Mehr nicht. Es wurde am Dienstag, dem 10. Juni 2025, um 9.48 Uhr im Internet veröffentlicht. Neun Minuten später beginnt ein Amoklauf, der elf Menschen das Leben kosten wird.

Das Foto stammt von A., 21 Jahre alt, dem Attentäter am BORG Dreierschützengasse Graz. Die Polizei bestätigte den Tatablauf, zur Echtheit des Bildes äußerte man sich jedoch auf Nachfrage von profil nicht. Die „Salzburger Nachrichten“ berufen sich auf Polizeikreise, wonach es sich bei der Aufnahme um ein echtes Foto handeln soll.

In einschlägigen Internetforen hat sich A. offenbar ein digitales Archiv des Grauens zusammengestellt. Immer wieder taucht derselbe bzw. leicht abgeänderte Nutzername auf, immer wieder lassen sich Referenzen zu anderen Amokläufen an Schulen finden. Ein Account, der ihm zugeordnet wird, enthält Bilder von Waffen, jenen, die später bei der Tat verwendet wurden. „Very early birthday present for myself“, schreibt er darunter: „Ein frühes Geburtstagsgeschenk für mich selbst.“

Reddit-Nutzer haben die Spur des Attentäters rekonstruiert, Bilder und Screenshots zusammengetragen. Gemeinsam zeichnen sie das Bild eines Mannes, der sich minutiös und monatelang auf seine Tat vorbereitet haben dürfte, und sie stilistisch inszenierte, als sei sie Teil eines dunklen Spiels.

Videospiel mit dem Fadenkreuz

Tatsächlich hatte A. eine enge Verbindung zur Welt der Online-Ego-Shooter, Videospiele, die Schusswaffengefechte aus der Ich-Perspektive ermöglichen. Die Polizei bestätigte am Donnerstag in einer Pressekonferenz, dass der 21-Jährige intensiv entsprechende Videospiele spielte, darunter auch das taktische Shooter-Spiel „Valorant“. Fotos zeigen ihn bei der „VulkanLAN 2024“, einem E-Sport-Turnier, das jährlich in der Grazer Messe stattfindet.

Dort hat A. mit seinem Team den ersten Platz belegt und ein Preisgeld von 1000 Euro gewonnen. Der Verein, bei dem er mitspielte, distanzierte sich inzwischen öffentlich. In einer Stellungnahme heißt es, A. sei „zu keiner Zeit als Spieler unter Vertrag oder aktiv als Mitglied im Verein“ gewesen. Man habe ihn als kurzfristigen Ersatzspieler gekannt, es habe sich lediglich um „eine flüchtige Bekanntschaft vor Ort“ gehandelt.

„Valorant“ ist ein Ego-Shooter ab 16 Jahren, spielmechanisch ist das Spiel an den berühmten Ego-Shooter-Titel „Counter-Strike“ angelehnt, der vor allem in den 2000er Jahren in der Kritik stand, gewaltverherrlichende Inhalte zu zeigen. Unter Medienpädagogen ist der kausale Einfluss von Ego-Shootern auf Gewalttaten im realen Leben umstritten.

Wie viele Ego-Shooter ist „Valorant“ ein Online-Spiel, das schnelle Reaktionszeiten fordert. Durch die kompetitive Umgebung stehen viele Spieler unter Spannung, die Kommunikation kann unter Mitspielern mitunter rau werden. Dasselbe Spiel soll auch jener 13-jährige Bub gespielt haben, der 2023 in Belgrad an einer Schule acht Mitschülerinnen und Mitschüler sowie einen Schulwart erschoss. Es scheint, als orientieren sich junge Täter zunehmend an einem globalen Repertoire aus Gewaltbildern und Täterikonen. Das zeigen auch die Profile von A.

Ein weiteres Fundstück stammt von einem mutmaßlich zu A. gehörenden Internet-Account. Vor etwa zehn Jahren wurden zwei Videos hochgeladen. In einem davon hört man im Hintergrund einen Jungen, der in kindlicher Stimme kommentiert, wie er das Online-Ballerspiel „Minecraft Shooter“ spielt.

Sein Gaming-Verhalten steht auch im Visier der Ermittlungen. Die Polizei hat bestätigt, dass A. während der Tat ein Gaming-Headset trug. Diese Headsets verfügen in der Regel über Funkverbindung und ermöglichen Echtzeit-Kommunikation, das wäre theoretisch auch während des Massakers möglich gewesen. Ob A. zum Zeitpunkt des Amoklaufs mit anderen Personen in Kontakt stand, wollte die Polizei nicht kommentieren.

Symbolik: Columbine

Ein Blick auf die Social-Media-Präsenz des Täters offenbart: Was auf den ersten Blick banal erscheint, ist in Wahrheit mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. A. posiert in einer Weise, die an frühere Schulattentäter erinnert. Immer wieder veröffentlichen Täter kurz vor ihren Taten Bilder – als eine Art makabres Vermächtnis.

Als Profilbild wählte A. ein Porträt eines Attentäters, der 1999 an der Columbine Highschool in den USA gemeinsam mit einem weiteren Mittäter einen Amoklauf verübte. Damals töteten sie zwölf Mitschüler und einen Lehrer, bevor sie sich – wie A. – selbst richteten.

Das als „Columbine-Massaker“ bekannt gewordene Verbrechen war nicht der erste Schulamoklauf in den Vereinigten Staaten, doch erlangte es durch die intensive mediale Berichterstattung weltweite Aufmerksamkeit. Die Tat gilt bis heute als Archetyp US-amerikanischer Schulschießereien und wird häufig als Blaupause für Nachahmungstäter herangezogen. Kritiker werfen der damaligen Medienberichterstattung vor, die Täter auf problematische Weise heroisiert und so zur Nachahmung beigetragen zu haben.

Mitarbeit: Kevin Yang

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.