Seitenwechsel: Die ehemalige Journalistin Sibylle Hamann betritt nun das Feld als Politikerin

Grünen-Kandidatin Sibylle Hamann: "Journalistinnen stehen bloß am Spielfeldrand"

Sibylle Hamann war Journalistin - jetzt ist sie Politikerin und kandidiert bei der Nationalratswahl für die Grünen. profil-Redakteur Robert Treichler war mehrere Jahre ihr Kollege. Ein Gespräch über einen Seitenwechsel.

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profil: Sibylle, wir haben jahrelang ein Büro in der profil-Redaktion geteilt. Hamann: Wir haben es nicht fair geteilt! Ich hatte damals einen richtigen Schreibtisch, du bloß einen Katzentisch. profil: Längst vergessen. Viel wichtiger war, dass wir damals wussten, was wir tun, und viel mehr noch: Warum wir es tun, und dass wir uns ganz sicher waren, dass es das Richtige war - wir machten Journalismus. Wenn du jetzt den Journalismus verlässt und die Seiten wechselst, um in die Politik zu gehen, dann fühlt sich das ein wenig wie ein Verrat an. Hamann: Für mich nicht. Wenn ich versuche, das Gefühl abzurufen, warum ich ursprünglich Journalistin geworden bin - und das ist mir noch ziemlich präsent -, dann hatte das schon mit dem vielleicht idealistischen, naiven Wunsch zu tun, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich habe damals geglaubt, man kann das durch das Schreiben erreichen. Ich bin beispielsweise an Orte gefahren, an denen Konflikte im Gange waren, weil ich dachte, das es etwas zum Besseren verändert, wenn ich von dem Leid der Menschen dort erzähle. Die Idee, dass man die Welt ein bisschen besser machen kann, habe ich bis heute nicht aufgegeben.

profil: Meinst du, du hast mit dem Journalismus das falsche Mittel gewählt? Hamann: Nein, überhaupt nicht. Aber das Schreiben und mein Entschluss, jetzt in die Politik zu gehen, entspringen demselben Bedürfnis. profil: Aber zwischen dem Journalismus und der Politik verläuft ein Graben. Als Journalistin bist du in deinem Selbst verständnis völlig unabhängig. Du unterwirfst dich nicht dem Konsens eines Kollektivs. Hamann: Klar, ich bin es seit 30 Jahren gewöhnt, so zu formulieren, dass es möglichst prägnant und auffällig ist. Jetzt bin ich zum ersten Mal in der Situation, dass ich für andere spreche, etwa für jene Parteidelegierten, die mich gewählt haben. Das ist neu. Den Unterschied in der Haltung hingegen sehe ich nicht so sehr. Ich habe als Journalistin das Beschreiben nie als Selbstzweck empfunden. Es sollte dazu dienen, Menschen aufzuwecken, damit sie mehr nachdenken über die Welt. Ich wollte Verständnis für Menschen in schwierigen Lebenslagen erzeugen, und ich wollte politisches Bewusstsein schaffen. Ich sehe deshalb den Seitenwechsel, wie du das nennst, nicht ganz so extrem. profil: Hast du dir mal die Biografien von Journalisten und Journalistinnen angesehen, die es in die Politik verschlagen hat? Hamann: Mal sehen: Der Erfolgreichste war Helmut Zilk.

Wahlkämpferin Hamann

profil: Solltest du ein Doppelleben als Spionin führen, wird man das in profil lesen. Hamann: Das kann ich ausschließen. Aber ich habe natürlich überlegt, ob ich in meiner Vergangenheit etwas angestellt habe, was jetzt zum Problem werden könnte. Mir ist allerdings nichts eingefallen. profil: Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig hat sich mal dafür entschuldigt, dass sie nach Neuseeland geflogen ist. Hamann: Ich öffne mein Sündenregister: Mein CO2-Fußabdruck ist wegen meiner vielen Flugreisen exorbitant groß. Allerdings waren das meist Dienstreisen, und selbst von privaten Reisen habe ich meistens Geschichten für die Zeitung mitgebracht. Dafür habe ich seit 30 Jahren kein Auto. Aber das Fliegen macht meine Bilanz fraglos kaputt.

profil: Hast du diese Sünde bewusst begangen? Hamann: Wir haben die längste Zeit nicht darüber nachgedacht, wir waren stolz auf unsere Vielflieger-Karten, und CO2 war kein Thema. In Wahrheit haben wir es unseren Kindern zu verdanken, dass jetzt endlich diese Fragen gestellt werden. Natürlich hat mein Wechsel in die Politik auch damit zu tun, dass ich Kinder habe, die für die Klimademonstration "FridaysForFuture" auf die Straße gehen, und die sagen: Hey, es gibt jetzt wirklich was zu tun! profil: Wirst du deine Flugreisen radikal einschränken, um das nicht dauernd vorgehalten zu bekommen? Hamann: Das wird sich definitiv ändern, aber nicht wegen der Politik. Wir haben das in der Familie schon vor einem Jahr heftig diskutiert. Mit dem etwas seltsamen Ergebnis, dass unsere Kinder in diesen Sommerferien beide wegfliegen werden - aber ohne uns Eltern. Während ich für Dienstreisen den Zug nehme.

Sehr häufig haben mir Politiker leidgetan.

profil: Betreibt ihr eine Art innerfamiliären Emissionshandel? Hamann: Ja, und die Kinder haben das Thema zuerst aufgebracht und haben jetzt ein schlechtes Gefühl dabei, weil sie gegen ihre eigenen Forderungen verstoßen. profil: Wenn du als Journalistin Politiker beobachtet hast, dachtest du manchmal, der oder die wäre ich gern? Hamann: Nein, sehr häufig haben mir Politiker sogar leidgetan. Ich fand die Journalistenfrage "Können Sie ausschließen, dass?" oft dämlich. Jeder weiß, dass sich die Welt ändern kann, dass neue Prioritäten auftauchen und dass man den Leuten auch die Chance geben muss, gescheiter zu werden, wenn sie neue Informationen bekommen. profil: Die Frage dient meist als journalistisches Gegengift zur Bekämpfung von ausweichenden Antworten von Politikern. Hamann: Was wollen wir von Politikern? Einerseits sollen sie authentisch sein und ehrlich antworten, andererseits werden sie dafür geprügelt, wenn ihnen eine menschliche Regung auskommt. profil: Reagiert deine Partei nicht besonders harsch, wenn jemandem zum Beispiel eine unbedachte, tendenziell sexistische Formulierung entschlüpft? Hamann: Was du da beschreibst, ist eher ein Social-Media-Phänomen als eines der Grünen. Ich glaube, dass es manche Richtung rennen und Zustimmung dafür ernten, dass sie jemanden vor sich her treiben. tatsächlich damit übertreiben. Ich halte mich da lieber raus. Mir ist es immer unheimlich, wenn alle Leute in eine Richtung rennen und Zustimmung dafür ernten, dass sie jemanden vor sich her treiben.

Die Nummer 1 und die Nummer 3 auf der Bundesliste: Grünen Bundessprecher Werner Kogler und Sibylle Hamann

profil: 2017 hast du in einem Kommentar in der "Presse" darüber geklagt, wie übel Politikern mitgespielt wird, und prophezeit: "In der Politik wird in gar nicht so ferner Zukunft nur eine Sorte Menschen übrig bleiben: Teflon-Wesen, an denen alles abrinnt, gefühllose Zyniker " Hast du Angst davor, ein Teflon- Wesen zu werden? Hamann: Ich hoffe nicht. Ich hoffe auch, dass die Wähler und Wählerinnen dieser Brutalität überdrüssig werden und dass sich was ändert. profil: Die Brutalität hat zuletzt eher zugenommen, oder? Dein politischer Gegner Sebastian Kurz wird wegen seines Aussehens verspottet, wegen seines Alters, wegen seines beruflichen Werdegangs - lauter Dinge, die mit der Politik nichts zu tun haben. Oder denke an das Theater um das bauchfreie Kleid, das Eva Glawischnig getragen hat. Hamann: Ja, Wahnsinn, aber davor ist man auch nicht mehr gefeit, wenn man nicht in die Politik geht. Das kann mittlerweile auch jedem passieren, der bloß Texte veröffentlicht. Außerdem: Ich bin bald 53, meine Haut ist sicher dicker geworden. Ich beneide niemanden, der mit diesen Social-Media-Mechanismen groß geworden ist und keine Chance hatte, sich eine innere Sicherheit zu erarbeiten, so wie wir das noch konnten.

Ich weiß weniger denn je, was Kurz wirklich will.

profil: Wirst du es als Politikerin wagen, so hart mit der "Kronen Zeitung" ins Gericht zu gehen, wie du es als Kommentatorin getan hast? Ein Titel von dir lautete: "Und wen, liebe 'Krone', gebt ihr als Nächstes zum Abschuss frei?" Anlass deiner Kritik war damals die Berichterstattung über die Autorin Stefanie Sargnagel. Hamann: Sargnagel ist ein gutes Beispiel dafür, wie mit Leuten umgegangen wird, die mit Politik nichts zu tun haben. Was die "Krone" mit manchen Leuten gemacht hat - etwa mit dem Lehrling aus Oberösterreich, dem sie auf Basis einer FPÖ-Anzeige Terrorsympathien unterstellt hat -, hat Existenzen zerstört! Das würde ich in dieser Härte selbstverständlich wieder sagen. Ich habe allerdings im Moment den Eindruck, dass es der "Krone" selbst unangenehm geworden ist, welche fatale Dynamik sie da gemeinsam mit der FPÖ entwickelt hat. profil: Du warst eine einflussreiche Journalistin. Befürchtest du, dass du als Oppositionsabgeordnete weniger Aufmerksamkeit bekommen könntest? Hamann: Diese Frage habe ich mir tatsächlich gestellt. Was mir am Journalismus gefallen hat, war, dass ich mit meinen Texten verschiedene Milieus erreicht habe. In den letzten Jahren habe ich auch für die "Presse" geschrieben und damit Menschen erreicht, die eher linke, ökologische Feministinnen nicht von vornherein großartig finden. Ich hatte das Gefühl, dass es politisch wertvoll war, meine Argumente da reinzubringen.

profil: Warum gehst du also gerade jetzt in die Politik? Hamann: Ich hatte in den letzten eineinhalb Jahren unter der ÖVP-FPÖ-Regierung einen ganz starken Phantomschmerz gespürt und mir gedacht: Da fehlt etwas im Parlament. Da ist eine wichtige gesellschaftliche Kraft nicht repräsentiert - gerade zu einer Zeit, in der wir eine hetzerische und spalterische Politik erlebt haben. Und da kann man noch so viel darüber schreiben, was alles getan werden müsste: Am Ende werden die Gesetze im Parlament gemacht. Wir Journalistinnen stehen halt doch bloß am Spielfeldrand. profil: Auch Oppositionsabgeordnete schießen selten Tore. Hamann: Stimmt, aber das Ziel, wenn man in die Politik geht, ist nicht, für immer in der Opposition zu bleiben. profil: Kannst du dir vorstellen, in einer Koalition mit der ÖVP zu sitzen? Hamann: Ja. Aber das hängt schon davon ab: Mit welcher ÖVP? Ich erinnere daran, dass die ÖVP früher einmal die "ökosoziale Marktwirtschaft" erfunden hat. Es gibt in der ÖVP Kräfte, mit denen die Grünen zusammenarbeiten können, wie sie das ja in einigen Bundesländern tun. Mit Sebastian Kurz ist das etwas anders. Wir wissen nicht, wofür er steht. Er hat vor einigen Jahren gesagt, wir brauchen eine neue Willkommenskultur und wir wollen Integration durch Leistung, weil er damals gemeint hat, das sei populär. Jetzt schiebt er Lehrlinge ab, und es ist Schluss mit Willkommenskultur und Integration durch Leistung. Man kann nicht ausschließen, dass Kurz plötzlich sagt, eine radikale Wende in der Klimapolitik ist ihm ein dringendes Anliegen. Ich weiß weniger denn je, was er wirklich will.

profil: Danke für das Gespräch. Als Journalist kann ich dir leider nicht "Viel Glück" wünschen. Hamann: Schon okay.

Sibylle Hamann und ihr ehemaliger Kollege Robert Treichler

ÜBER DIESE GESCHICHTE: Dieses Interview widerspricht einer Grundregel des Journalismus: Ein Interviewer soll in Bezug auf die Interviewte nicht befangen sein. Bin ich in diesem Fall aber, denn Sibylle Hamann, 52, war jahrelang meine Kollegin. Sie kam 1995 ins Auslands-Ressort des profil, ich 1997. Wir teilten uns bis 2008, als sie freie Autorin ("Falter","Die Presse") wurde, ein Büro. Zwischendurch war sie profil-Korrespondentin in den USA. Wir diskutierten, stritten und besprachen Privates. Ich halte sie bis heute für eine der besten Journalistinnen (Männer sind mitgemeint) Österreichs, vielleicht die beste. Jetzt lässt sie den Journalismus sein und kandidiert auf Platz 3 der Bundesliste bei der bevorstehenden Nationalratswahl für die Grünen. Darüber müssen wir reden.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur