Burgenländischer LH Hans Peter Doskozil (SPÖ)
Interview

Doskozil: „Es fehlt an Leadership im Gesundheitsministerium

Das Burgenland hat die höchste Impfquote Österreichs - und geht trotzdem in den Lockdown. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil erklärt, warum er dafür ist.

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profil: Sie waren gegen den Lockdown für Ungeimpfte. Den Lockdown für alle befürworten Sie jetzt. Warum ?
Doskozil: In einer Krise ist wichtig, dass nachvollziehbare Maßnahmen beschlossen werden, die überprüfbar sind und wirken. Genau das habe ich am Lockdown für Ungeimpfte kritisiert: Die Wissenschaft hat den Effekt als gering eingeschätzt, eine Kontrolle ist kaum möglich. Die Effekte eines generellen Lockdowns kennen wir-und wenn man die Dynamik der letzten Wochen in einigen Bundesländern beobachtet, ist klar, dass sofort Schritte gesetzt werden müssen. Auch wenn die Lage im Burgenland noch stabiler ist als in anderen Ländern, müssen wir nun zusammenstehen. Wir sind keine Insel-deswegen zeigt sich das Burgenland solidarisch.

profil: Bei der Impflotterie im Burgenland ging es nicht nur um Sachpreise, Sie haben auch Lockerungen der Corona-Regeln in Aussicht gestellt. Stattdessen gibt es jetzt wieder Hausarrest. Wie erklären Sie das den Leuten?
Doskozil: Als Politiker muss man offen sagen, wenn die Dinge sich geändert haben. Das verstehen die Leute. Ich hätte persönlich nicht gedacht, dass uns die vierte Welle mit einer solchen Wucht trifft. Unser Vorteil ist, dass die Spitäler nicht so belastet sind. Die Inzidenz ist auch im Burgenland gestiegen, aber wir haben derzeit nur zwischen sechs und acht Intensivpatienten. Auf dem Höhepunkt der dritten Welle im Frühling hatten wir 28. Das ist ganz klar der Erfolg unserer Impfstrategie.

Der 51-Jährige hatte nach der Chat-Affäre für sofortige Neuwahlen plädiert. Ob er sich in der aktuellen Situation einen Wahlkampf vorstellen könne? "Na sicher, wieso nicht?"

profil: Können die paar Prozentpunkte mehr bei den Impfungen wirklich diesen Unterschied ausmachen?
Doskozil: In absoluten Zahlen sind das zigtausende Menschen. Im Burgenland sind mittlerweile über 83 Prozent der impfbaren Bevölkerung geimpft. Darauf kann man sich aber eh nicht ausruhen. Am wichtigsten sind jetzt die Drittimpfungen. Leider fehlt es da an Leadership im Gesundheitsministerium: In der vorletzten Videokonferenz mit den Landeshauptleuten haben wir das erste Mal erfahren, dass die Drittimpfung nach sechs beziehungsweise vier Monaten vorgenommen werden soll. Das muss man doch früher wissen, das gehört ja auch organisiert! Das Gleiche mit dem Grünen Pass: Von einem Tag auf den anderen heißt es, der gilt nur noch sechs Monate. Derzeit bricht das PCR-Testregime des Bundes zusammen. Ich habe in meinem Bekanntenkreis einen Fall, wo jemand schon fünf, sechs Tage auf das Ergebnis wartet. Das ist fehlendes Leadership. Wenn das alles funktioniert hätte, wären wir mit den Inzidenzen weiter unten.

profil: Corona hat in der Politik oft seltsame Aktivitäten ausgelöst. Sie hielten es zu Ostern 2020 für nötig, die Ufer des Neusiedler Sees zu sperren. Können Sie heute zugeben, dass das Unsinn war?
Doskozil: Im Nachhinein ist man immer gescheiter. In Wien waren die Bundesgärten zugesperrt. Vielleicht sagen wir in einem Jahr, dass es ein kompletter Blödsinn war, zwischen 2G und 3G zu unterscheiden. Vielleicht kommt man auch zu der Einsicht, dass die Impfpflicht nur für Spitalsbedienstete keine gute Idee gewesen wäre, weil wir dadurch Personal verloren hätten.

profil: Wäre das passiert?
Doskozil: Als isolierte Maßnahme hätte es sicher bedeutet, dass wir Personal verlieren. Wir sind aber in der derzeitigen Situation auf jeden einzelnen Mitarbeiter angewiesen. Noch dazu, weil wir im Burgenland keinen einzigen Fall hatten, in dem ein Spitalsmitarbeiter einen Patienten angesteckt hat. Das Burgenland hat vorgezeigt, dass man auch mit positiven Anreizen zu hohen Impfraten kommt. Wir haben im Spitalsbereich eine Durchimpfungsrate von 90 Prozent mit weiter steigender Tendenz. Wäre der Bund unserem Beispiel gefolgt, würde man jetzt keine allgemeine Impfpflicht brauchen.

profil: Nach der Chat-Affäre und dem Rücktritt des Bundeskanzlers hatten Sie Neuwahlen gefordert. Bleiben Sie dabei? Könnten Sie sich wirklich vorstellen, jetzt Wahlkampf zu machen?
Doskozil: Na sicher, wieso nicht?

profil: Weil die Politik gerade ein paar andere Dinge zu erledigen hat.
Doskozil: Neuwahlen bedeuten ja nicht, dass man ganz Österreich zuplakatieren muss oder die amtierende Regierung von ihren Pflichten entbunden ist. Die Bekämpfung der Pandemie läuft über die Krisenstäbe und die Mitarbeiter in den Spitälern weiter.

profil: Wie lange geben Sie Türkis-Grün noch?
Doskozil: Ich glaube, dass nächstes Jahr gewählt wird.

profil: Wer würde dann für die SPÖ als Spitzenkandidat antreten? Pamela Rendi-Wagner, deren Arbeit Sie sehr oft heftig kritisiert haben?
Doskozil: Das wird man sehen. Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, eine öffentliche Personaldiskussion zu führen. Wir müssen uns so aufstellen, dass wir die Wahl gewinnen. Die Chance ist so groß wie lange nicht. Aber das hängt nicht nur vom Spitzenkandidaten ab.

profil: Der ist aber wichtig.
Doskozil: Ja, aber nicht allein. Ich kann da nur über meine Erfahrungen im Burgenland reden. Du brauchst drei Elemente, um eine Wahl zu gewinnen: Das erste ist, unbestritten, der Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidatin. Das muss passen. Das zweite Element ist die Themensetzung-so abgedroschen das klingen mag. Man muss Dinge neu denken und den Glauben vermitteln, dass man die eigenen Pläne auch umsetzt. Wir im Burgenland haben unsere Themen-Mindestlohn, Pflege, Gratiskindergarten-sogar schon vor der Wahl umgesetzt, um den Glaubwürdigkeitsbeweis anzutreten. Und der dritte Faktor ist, als Gesamtpartei zu zeigen, hinter den Themen und dem Spitzenkandidaten zu stehen. Nur wenn alle drei Elemente funktionieren, gewinnt man.

profil: Das hört sich an, als würden Sie eine Bewerbung abgeben.
Doskozil: Nein, das ist einfach mein Befund aus dem Burgenland. Nur zwei Beispiele: Die Ersten in der Fraktion, die mir beim Thema Mindestlohn gesagt haben, "geht gar nicht", waren Gewerkschafter. Jetzt sind sie im Burgenland die glühendsten Verfechter des Mindestlohns. Oder in der Pflege: Wer hätte vor drei, vier Jahren gedacht, dass es ein Modell geben könnte, pflegende Angehörige beim Land anzustellen? Aber es funktioniert!

profil: Wissen Sie, was Ihre Maßnahmen für ganz Österreich kosten würden?
Doskozil: Es ist billiger, als die betreffenden Personen ins Pflegeheim zu schicken.

profil: Die SPÖ liegt in Umfragen derzeit knapp vor der ÖVP. Offenbar macht Pamela Rendi-Wagner doch etwas richtig.
Doskozil: Ich kenne die letzten Umfragen nicht.

profil: Die ÖVP liegt bei 24 Prozent, die SPÖ bei 25.
Doskozil: Bei der Schieflage, in der sich die ÖVP derzeit befindet, müsste die Sozialdemokratie mit deutlicherem Abstand vorn sein.

profil: Würden Sie als Spitzenkandidat antreten?
Doskozil: Ich führe eine Personaldiskussion nicht über die Medien. Ich habe gerade skizziert, wie man aus meiner Sicht Wahlen gewinnen kann. Warum haben wir es im Burgenland zum Beispiel geschafft, die Grünen auf einem tiefen Niveau zu halten? Weil wir die richtige Politik machen und 2030 das erste klimaneutrale Bundesland sein werden. Die SPÖ muss sich inhaltlich positionieren und mit ihren Themen glaubwürdig sein. Wer ist in der Lage, diese Themen anzustoßen? Darüber muss man intern offen diskutieren.

profil: Die illegale Migration ist eines der Probleme, mit denen sich die SPÖ besonders schwertut. Im Vorjahr gab es insgesamt nicht ganz 10.000 Asylanträge, heuer waren es bis September schon 23.000. Wird es langsam wieder eng?
Doskozil: Mit Sicherheit. Wir sind selbst auch unter Druck gekommen, was die Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge betrifft. Deshalb haben wir unser Modell der beim Land angestellten Pflegeeltern auf diese Minderjährigen ausgeweitet. Das gibt es sonst nirgends. Natürlich steigt die Zahl der illegalen Grenzübertritte. Das Innenministerium versucht schon wieder, in einigen Ländern Bundesquartiere zu organisieren-auch bei uns im Burgenland. Wir kennen das seit Eberau.

profil: Ist das Burgenland immer noch so massiv gegen ein Erstaufnahmezentrum wie damals?
Doskozil: Ja, weil dahinter eine Systematik steckt. Es gibt Bundesländer, die eine erschreckend niedrige Aufnahmequote haben. Es gibt andere, welche die Quote fast erfüllen wie das Burgenland, und solche, die sie übererfüllen wie Wien. Da hätte ich mir vom Innenminister erwartet, dass er zuerst auf die Länder zugeht, die eine niedrige Quote haben. Aber das kann er nicht, weil es sich um ÖVP-Länder handelt.

profil: Burgenländische Politiker und Polizeibeamte haben mir erzählt, dass sie nicht verstehen, wieso das Innenministerium im Grenzgebiet gar so scharf kontrollieren lässt. Gescheiter wäre es, meinen sie, nicht so genau hinzuschauen, weil die meisten Asylwerber ohnehin nach Deutschland weiterreisen wollen. Teilen Sie diese Ansicht?
Doskozil: Der Befund ist grundsätzlich richtig. Aber es gibt noch einen zweiten Blickwinkel: Wenn ich als Staat nicht in der Lage bin, meine Grenzen zu schützen, fühlt sich die Bevölkerung nicht mehr sicher. Die Überwachung soll den Leuten auch ein Sicherheitsgefühl vermitteln.

profil: Sie kritisieren beim Thema Migration gerne die Bundesregierung. Aber was genau erwarten Sie vom Innenminister und seinen Kollegen? Die Beschlüsse fallen in Brüssel, und da ist der Einfluss Österreichs gering.
Doskozil: Man kann in Brüssel Themen antreiben, und man muss nicht immer allem zustimmen. Beispiel Aufteilung der Flüchtlinge in Europa: Wir haben mit den Ungarn keinen schlechten Kontakt. Die wären sogar bereit, über Aufnahmequoten zu reden. Aber solange der illegale Zustrom bleibt, wollen sie nicht über den legalen reden. Ich finde die Idee, die Verfahrenszentren außerhalb Europas zu machen, nicht so utopisch. Außerdem müsste man klären, was mit jenen Asylwerbern passiert, die negativ beschieden werden.

profil: Gegen Sie laufen seit Monaten Ermittlungen wegen Falschaussage in der Causa Commerzialbank. Die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft wollte das Verfahren beenden, aber die Oberstaatsanwaltschaft Wien will weiter ermitteln. Was heißt das für Sie?
Doskozil: Seit ich Landeshauptmann bin, wurde ich schon sechs Mal angezeigt. Das ist leider die Art, auf die wir heute den politischen Diskurs führen. Zur Commerzialbank wurde ich von der WKStA bisher nicht als Beschuldigter befragt, weil sie fanden, es ist eh alles klar. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien sagt jetzt, zumindest formal sollte ich als Beschuldigter vernommen werden. Na gut, mach ich das.

profil: Sie haben angekündigt, dass Sie zurücktreten, falls es zu einer Anklage kommt. Bleiben Sie dabei?
Doskozil: Natürlich. Wenn ich gestern was gesagt habe, kann ich nicht heute was anderes sagen.

profil: Eine persönliche Frage noch: Ihre Stimme ist nach mehreren Stimmbandoperationen wieder etwas fester. Trotzdem bleibt die Erkrankung eine Behinderung, gerade für einen Politiker. Hadern Sie manchmal mit Ihrem Schicksal?
Doskozil: Es gibt so viele Leute, die ein gesundheitliches Problem oder eine Beeinträchtigung haben. Jeder muss damit leben und lernen, damit umzugehen. Ich bin froh, dass ich einen Arzt gefunden habe, der das ordentlich behandelt hat und ich deshalb in der Lage bin, überhaupt Politiker zu sein. Das war eine Zeit lang nicht so sicher.

Rosemarie Schwaiger