Eine Frau sieht in eine Glaskugel mit einem Virus.
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Hokuspokus im Lockdown: Als das Wünschen noch geholfen hat

Gehen Sie raus und entdecken Sie die Welt neu! Dann stellt sich sicher ein starkes Herzklopfen ein!

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Wenn sonst nichts mehr hilft, dann hilft das Horoskop. Die Pandemie, die mit dem geologischen Phänomen des Erdbebens samt tektonischen Verwerfungen bis ins Leben von Frau Hinz und Herrn Kunz hinein (sie impft, er impfverweigert) beschrieben werden kann, mag dauerwüten. Sie mag keine Ruhe geben, ein bisschen Ersatzgrundgesetz für uns alle sein. Macht gar nichts, das Horoskop spendet Trost. „Gehen Sie doch mal mit Kollegen zur Mittagspause“, so das Resultat des Sternenglotzens in einer Regionalzeitung zu Lockdown-Beginn: „Sie werden staunen, mit was für interessanten Menschen Sie zusammen arbeiten.“

Die Skorpione unter Ihnen dürfen also laut Astralprognose auf kleinwitzige Art die fröhliche Anarchie (Mittagspausen-Party) wagen. Den Löwen wiederum sei ans Herz gelegt: „Gehen Sie raus und entdecken Sie die Welt neu!“ Wahlweise schlägt das Löwen-Horoskop für das Erreichen größerer Ausgeglichenheit eine Shopping-Tour vor. Schützen, hergehört! Lockdown-Tag zwei bringt Erfreuliches: „Der heutige Tag ist in jeglicher Hinsicht entspannt. Im Job äußert sich das durch eine angenehme Arbeitsatmosphäre und den lockeren Umgang mit Kollegen.“ War da was mit Homeoffice? Alles locker! Obacht, Fische, die Sterne meinen es gut! Draußen vor den Fenstern Herbstnebelsuppe, drinnen im Herzen, da wird es schön ruhig: „Ihr Herz sucht nach einem Gegenstück, mit dem sich starkes Klopfen einstellt. Halten Sie die Augen nach so jemandem offen.“

„Alles bestens“

Schließlich das überregionale deutsche Boulevardblatt, dessen die Astrologie-Spalte umfließende Meldungen und Nachrichten ohnehin meist etwas Horoskop-Hokuspokusartiges haben: Das Blatt empfiehlt allen gelockdownten Jungfrauen, spontane Entscheidungen zu treffen und finanzielle Erfolge einzufahren – vielleicht, indem Kaufhaus- und Restaurant-Besuche tendenziell vermieden werden, da diese erfreulicherweise seit Montag geschlossen halten. „Sie fühlen sich körperlich und seelisch sehr wohl“, befiehlt die Zeitung den Schützen. Der „Tages-Trend“ für Widder: „Alles bestens.“

Durch die ganze Horoskop-Märchenhaftigkeit scheint augenscheinlich stets Schabernack und Firlefanz, das ist der Kern der Himmelhellseherei. Aus diesem Blickwinkel ist unser aller Hier und Jetzt vielleicht eine Glanzstunde der Sterndeuterei: Je mehr die Wissenschaft über die Epidemie herausbekommt, desto tiefer sinkt das Vertrauen in sie. Desto rabiater von vielen die Flucht in eine Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat. „Da hilft kein Winken / hilft kein Schrein“, wusste schon der Poet Gerhard Rühm, „treibt man im Weltenraum / allein.“ Helfen tut der Stich.

Halten Sie die Augen danach offen!

Wolfgang Paterno

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Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.