Späte Prüfung

Ewald Nowotny: Kann er die Hypo-Katastrophe abwenden?

Porträt. Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny: der Feuerwehrmann der Nation

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„Sapiens omnia sua secum portat!“, ruft Ewald Nowotny und läuft dem zum Lift eilenden Interviewer hinterher. Dieser hat seine Tasche im Büro des Nationalbank-Gouverneurs vergessen, der sie ihm mit einem guten Rat auf Lateinisch nachbringt: Der Weise trägt all das Seinige mit sich.
Ewald Nowotny hat den Wahrspruch des alten Terentius wohl von seinen Eltern gelernt, zwei Altphilologen aus der Wiener Josefstadt – der Vater war Direktor des Stubengymnasiums. Beim Mittagstisch sprach man mitunter Latein.

„Per aspera ad astra“ (Seneca) mag Nowotny gemurmelt haben, als er im September 2008 den Top-Job in der Nationalbank antrat: „Durch das Elend zu den Sternen.“ Einiges an Elend hatte er da gerade hinter sich. Im Herbst 2005 war Nowotny zum Generaldirektor der Gewerkschaftsbank Bawag bestellt worden: „Mein Vorgänger Johann Zwettler hat gesagt: ,Ewald, ich übergebe dir eine saubere Bank.‘ Ich hab mich noch gewundert, warum er das so betont.“

Wenige Wochen später stellte sich heraus, dass das Institut nach wüsten Spekulationen erschreckend klamm war. Zwei Jahre lang kämpfte Nowotny gegen die Pleite der Bank an. Demütig machte er den Schalterbeamten, als die schwarz-blaue Prominenz – Wolfgang Schüssel, Jörg Haider, Karl-Heinz Grasser – vor laufenden Kameras amüsiert Sparbücher eröffnete, um damit großherzig ihr Vertrauen in das Institut zu bekunden, das gerade den Streikfonds des ÖGB versemmelt hatte.

2007 wurde die Bawag von einem US-Fonds mit dem einschüchternden Namen Cerberus übernommen. Weder die Sparer noch die Steuerzahler hatten auch nur einen Euro verloren.

„Ewald, du wirst nie mehr etwas“
Der Chefposten in der Nationalbank sollte nun die etwas ruhigere Schlussetappe eines bemerkenswerten Berufslebens sein. Doch weit gefehlt. Zwei Wochen nach Nowotnys Amtsantritt brach die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammen. Ein Jahr später wurde das Debakel um die Hypo Alpe-Adria offenkundig. „Ich komm’ leider immer gerade rechtzeitig, wenn es irgendwo zu brennen beginnt“, sagt Nowotny.
Jetzt ist er wieder in der Rolle des Feuerwehrmanns. Diesen Montag legt die von Nowotny geleitete Hypo-Taskforce ihren Bericht und ihre Empfehlungen vor (siehe Artikel hier).

Nicht schlecht für jemanden, dem der Linzer Bürgermeister Franz Hillinger (SPÖ) 1971 vorhergesagt hatte: „Ewald, du wirst nie mehr etwas.“ Damals hatte Bruno Kreisky den 26-jährigen Volkswirtschafter der Kepler-Universität erstmals für die Politik gewinnen wollen. Nowotny sagte ab: Er hatte das Angebot, für ein Jahr als Scholar an die Harvard University zu gehen. „Kreisky hat das verstanden“, erinnert sich Nowotny.
Schon drei Jahre vorher, 1968, war man auf den jungen Ökonomen aufmerksam geworden, als er bei der Volkswirtschaftlichen Tagung des ÖGB über das Thema Währungskrisen referiert hatte. Die Tiroler Arbeiterkammer beauftragte ihn mit einer Studie über die Finanzentwicklung des Landes; der junge Wissenschaftler analysierte die triste Lage vieler Gemeinden. Als Assistent des legendären Volkswirtschaftslehrers Kurt Rothschild betreute er Studenten, unter anderen den jungen Linzer Christoph Leitl, der sich noch heute als Wirtschaftskammerpräsident gern an seinen nur um fünf Jahre älteren Lehrer erinnert: „Wir haben uns von Beginn an ausgezeichnet verstanden, das hält bis jetzt.“

1972, Nowotny ist gerade 28, habilitiert er sich mit der Arbeit „Umwelt und Finanzpolitik“ zum ordentlichen Universitätsprofessor, ein Jahr später ist er Vorstand des Instituts für Finanzwissenschaften in Linz. Eine junge Oberösterreicherin namens Maria Fekter besucht seine Vorlesungen.
Jetzt wehrt er sich auch nicht mehr gegen den Eintritt in die Politik. 1975 kandidiert er auf einem aussichtslosen Listenplatz in Oberösterreich für den Nationalrat. Nowotnys im Wahlkampf erhobene Forderung ist bis heute aktuell: Bund, Länder und Gemeinden wären gut beraten, ihre Investitionsbudgets besser aufeinander abzustimmen, um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden.

Drei Jahre später ist er tatsächlich Abgeordneter. Bruno Kreisky hat ein Faible für Intellektuelle wie ihn; außerdem braucht er wegen des sich verschärfenden Zwists mit Hannes Androsch neue wirtschaftspolitische Berater. Den Ökonomen Ferdinand Lacina holt er von der Arbeiterkammer und macht ihn zum Staatssekretär, Nowotny wird Finanzsprecher des Parlamentsklubs.

Im Zivilberuf lehrt er ab 1981 an der Wiener Wirtschaftsuni, und zwar an besonderer Stelle: Nowotny wird Nachfolger des berühmten Stephan Koren als Ordinarius für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft. Koren, in der ÖVP-Alleinregierung Finanzminister, war von Bruno Kreisky ungeachtet seiner Parteifarbe wegen seiner außerordentlichen Fähigkeiten zum Chef der Nationalbank ernannt worden.

Nowotnys erster Dissertant heißt Peter Zöllner. Der Professor wird ihn ein Vierteljahrhundert später im Direktorium der Nationalbank wieder treffen.
Aber Finanzminister wird Nowotny nie: In den 1980er-Jahren sind Macher und nicht Gelehrte gefragt. Kreiskys Nachfolger Fred Sinowatz holt sich den Generaldirektor der Länderbank, Franz Vranitzky, ins Ministerium. Vranitzky macht als Kanzler zuerst Ferdinand Lacina und nach dessen Ausscheiden den Ex-Finanzchef der OMV, Viktor Klima, zum Finanzminister. Als Klima 1997 Bundeskanzler wird, kommt Nowotny abermals nicht zum Zug. „Ich brauche keinen Professor, sondern einen Politiker“, sagt Klima unverblümt und beruft den Wiener Stadtrat Rudolf Edlinger zum Finanzminister, einen gelernten Lithografen.

1999 steigt Nowotny aus der Politik aus und wird Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank EIB in Luxemburg.
Als er 2003 nach Wien zurückkehrt, wird ihm jener Job angeboten, auf den er bis heute besonders stolz ist: Nowotny wird Vizerektor der Wiener Wirtschaftsuniversität. Dennoch gibt er dem Wunsch von SPÖ-Obmann Alfred Gusenbauer nach und bewirbt sich im Juni 2004 um den Posten des Rechnungshofpräsidenten. Er wird abermals unter seinem Wert geschlagen: Die schwarz-blaue Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats wählt den ehemaligen FPÖ-Klubsekretär Josef Moser und nicht den renommierten Ökonomen Nowotny.

Kein reiner Theoretiker
Mit seinem Krisenmanagement in der Bawag widerlegt er endgültig das Vorurteil, er sei ein reiner Theoretiker. Der Umstand, dass er schon in den 1970er-Jahren Mitglied und später sogar Präsident des Verwaltungsrats der Postsparkassa gewesen war, ist ihm nie als „Praxis“ angerechnet worden.
In der Nationalbank stellt er jedenfalls ein Unikum dar: Alle seine Vorgänger auf dem Chefsessel der Notenbank waren ehemalige ÖVP-Finanzminister oder Ex-Generaldirektoren der Genossenschaftlichen Zentralbank (heute: Raiffeisen Zentralbank). Einzige Ausnahme: Maria Schaumayer – sie war Wiener ÖVP-Stadträtin.

Nowotnys Einzug in die holzgetäfelte Präsidiums-etage zog aber auch einen Bruch mit über Jahrzehnte gewachsenen Gepflogenheiten in der Zentrale am Otto-Wagner-Platz nach sich. Nowotny, der dem verstaubten Haus einen Hauch von Gegenwart verpassen wollte, machte sich damit von Beginn an keine Freunde.

Es begann mit der Besetzung von Spitzenjobs, die bislang nach einem Art „Lehensprinzip“ vergeben worden waren: Wer Fürsprecher hatte, wurde protegiert, andere mussten sich hinten anstellen – unabhängig von der Qualifikation. „Es wird für alle Besetzungen von Hauptabteilungen künftig eine öffentliche Ausschreibung mit Personalberater, Vorauswahl und Hearing geben. So wie das in großen Unternehmen üblich ist“, verkündete der neue Gouverneur (profil 35/08), und sicherte sich für dieses Vorgehen die Unterstützung des OeNB-Präsidenten Claus Raidl. Nun war just im September 2008 die Leitung eines Schlüsselressorts vakant geworden, jene der Hauptabteilung für Finanzmarktstabilität und Bankenprüfung, weil Andreas Ittner ins Direktorium aufgerückt war. Die Nachbesetzung war in großkoalitionärer Manier im Grunde ausgemachte Sache gewesen. Ein Mitarbeiter aus der Abteilung des damaligen VP-Vizegouverneurs Wolfgang Duchatczeks hätte in die Bankenaufsicht wechseln, an dessen Stelle ein Gefolgsmann aus dem Ressort des SP-Mannes Peter Zöllner nachrücken sollen. Doch daraus wurde nichts: Nowotny schrieb den Posten aus, die Headhunter von Egon Zehnder begleiteten das Hearing. Philip Reading, vormals Leiter der Treasury-Abteilung in der Bawag unter Nowotny, machte das Rennen.

Stieß schon diese Neuerung hausintern auf enden wollende Zustimmung, so waren die Reformen, die Nowotny bei Pensionen (durchschnittlich 66.800 Euro im Jahr, über alle Mitarbeiter gerechnet) und Besoldung älterer Dienstnehmer einläutete, nachgerade eine Kampfansage. Der 2010 begonnene Prozess geht nun ins Finale: Die Formel 35/55/85 (nach 35 Dienstjahren im Alter von 55 Jahren mit 85 Prozent des Letztbezugs in Rente) soll nach Vorstellung von Nowotny und Raidl abgeschafft werden. Betroffen sind rund 550 „Altverträge“.

Für gehörige Irritation sorgte auch Nowotnys Vorgehen beim Skandal um die Notenbank-Tochter Oesterreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck (OeBS) und damit gegen Vize-Gouverneur Wolfgang Duchatczek. Das OeBS-Management unter dem Aufsichtsratsvorsitzenden Duchatczek soll zwischen 2005 und 2011 für Druckaufträge in Aserbaidschan und Syrien 14 Millionen Euro Schmiergeld bezahlt haben. Die Causa wird derzeit vor Gericht verhandelt. Dass sie dort gelandet ist, dafür hat Nowotny gesorgt: Er erstattete auf Grundlage eines Prüfberichts der internen Revision, die 2011 über verdächtige Zahlungsflüsse gestolpert war, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.

Haben die vergangenen neun Jahre im Fegefeuer der Groß-Krisen Nowotnys Denken verändert? Muss er seine Theorien nach den harten Praxiszeiten revidieren? Ja, sagt der Gouverneur, in bestimmten Bereichen muss er das: Er stehe Unternehmen in öffentlichem Eigentum, die sich auf dem Markt bewähren müssen, heute differenzierter gegenüber als früher: In guten Zeiten seien solche Institute häufig intransparent; laufe es nicht mehr reibungslos, gebe es durch Rechnungshof oder Untersuchungsausschüsse maximale Transparenz, was bei der Sanierung zum Problem werden könne.

Die Regierung hat jedenfalls Nowotnys Vertrag im Vorjahr bis September 2019 verlängert. Dann wird er 75 sein, so alt wie heute Bundespräsident Heinz Fischer, einer seiner engsten persönlichen Freunde. Wenn es seine Gesundheit zulässt, werde er diese Periode sicher ausdienen, bekräftigte der Nationalbank-Chef, als Gerüchte auftauchten, er könnte nach der halben Amtszeit abtreten.
Einen Alterssitz am Traunsee inklusive Segelboot hat er bereits. Andere Bootseigner tuscheln, Nowotny habe zwar untypischerweise keine Bierkiste, dafür aber eine ganze Bibliothek in der Kajüte.

Das Gerücht klingt glaubhaft.

Manchmal holt ihn auch heute noch seine Vergangenheit ein. Als Wirtschaftskammerpräsident Leitl vor einigen Jahren die Europäische Zentralbank kritisierte, weil diese im Gegensatz zur US-Notenbank den Leitzins noch nicht absenken wollte („Das ist Murks“), fragte Nowotny bei Leitl nach, ob dieses Wort wirklich notwendig gewesen sei. Leitl: „Ich hab ihm geantwortet: ,Lieber Ewald, ich sag’ nur, was ich damals bei dir an der Uni gelernt habe.‘“