IS-Prozess in Wien: Angeklagter war früher Neonazi

Am Mittwoch startet ein Prozess gegen mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Einer davon bewegte sich einst im rechtsextremen Milieu.

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Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen werden ab Mittwoch mehrere Personen vor einem Wiener Geschworenengericht Platz nehmen: Die Staatsanwaltschaft wirft drei Männern und drei Frauen Aktivitäten für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) vor, auch wegen möglicher Morde und Gräueltaten in Syrien wird verhandelt. Bereits im Vorfeld sorgte der Prozess für Aufsehen: Einer der Verdächtigen – der gebürtige Tschetschene Turpal I. – wurde Anfang Mai auf freien Fuß gesetzt. Die Untersuchungshaft gegen ihn dauerte bereits zwei Jahre, ohne dass ein Gerichtstermin anberaumt wurde. (profil traf den Mann vor wenigen Wochen zum Gespräch, mehr dazu später.) Daneben muss sich auch der berüchtigte Hass-Prediger Mirsad O. alias „Ebu Tejma“ als Angeklagter verantworten. O. war bereits im Sommer 2016 zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden und verbüßt seither die Strafe.

Besonders bemerkenswert ist aber die Vita eines dritten Verdächtigen: Der 32-jährige Bernd T. stammt aus einem nicht muslimischen Elternhaus und wuchs im steirischen Murtal auf. Für eine Berufsausbildung zog er als junger Mann nach Innsbruck und driftete dort zunächst in rechtsextreme Kreise ab. „Für ca. ein Jahr hielt sich Bernd T. (Name gekürzt, Anm.) im rechtsradikalen bzw. neonazistischen Milieu in Innsbruck auf“, heißt es in der 201-seitigen Anklageschrift. Beim Boxtraining lernte T. den nun Mitangeklagten Turpal I. kennen, begann sich für den Islam zu begeistern und konvertierte. Kurze Zeit später zog er nach Wien und bewegte sich im Umfeld des Predigers und islamistischen Rekrutierers Mirsad O.

Der Lebenswandel des gebürtigen Steirers war 2012 sogar Thema einer eigenen ORF-Reportage. In dem dreißigminütigen Beitrag führte T. damals durch seinen Alltag, sprach über sein ultrakonservatives Weltbild und stellte der Reporterin einen Niquab für einen Verschleierungs-Selbstversuch zur Verfügung. „Ich war dumm und habe nicht hinter die Kulissen geblickt“, kommentierte der Steirer seine frühere ausländerfeindliche Gesinnung. Die Journalistin des ORF findet sich aufgrund ihrer Recherchen auch auf der Zeugenliste für den anstehenden Prozess. 2013 reiste Bernd T. laut Anklage dann mit seiner Ehefrau in die Türkei und weiter nach Syrien. Dort soll er sich einer islamistischen Kampfeinheit angeschlossen haben. Im Dezember kehrte er jedoch wieder zurück nach Wien, weil ihn Bombardements der syrischen Streitkräfte abgeschreckt hätten, meint die Staatsanwaltschaft. Radikal sei er jedoch geblieben und habe sich ab Sommer 2014 nach Saudi-Arabien abgesetzt. Bei einem Rückflug nach Österreich im August 2019 wurden er und seine Frau verhaftet.

Ab Mittwoch wird auch T.s Weggefährte Turpal I. vor Gericht stehen. Der Tschetschene soll laut Anklage 2013 mit seiner Frau nach Syrien gereist sein, um für die Terrormiliz „Jamwa“ (Vorläuferorganisation des IS) als Kommandant zu kämpfen. Ein Zeuge berichtet von abgehörten Funksprüchen, die dem Tschetschenen Morde und Gräueltaten an Zivilisten anlasten sollen. Für I.s Anwalt Florian Kreiner sind diese Darstellungen wiederum unglaubwürdig. Im Juni traf profil Turpal I. – er befindet sich wie berichtet seit Mai auf freiem Fuß – zum Gespräch. Er behauptet, nur kurz in Syrien gewesen zu sein, um die Grabstätte seines Schwagers zu besuchen. Laut I. sei zudem belegt, dass er schon ab Februar 2014 zurück nach Österreich wollte. Entsprechende Versuche über die österreichische Botschaft in der Türkei seien aber gescheitert. In der Folge wurden ihm vom russischen Konsulat Reisepässe ausgestellt, mit denen er zunächst in der Ukraine und dann in Ägypten lebte. „Ich habe mich jahrelang völlig offen und frei bewegt, ohne dass sich jemand für mich interessierte“, meinte er im profil-Gespräch.

Erst bei einem Zwischenstopp am Minsker Flughafen wurde er im Oktober 2018 von der weißrussischen Polizei verhaftet. Ein halbes Jahr später überstellte man ihn nach Österreich, nach zwei Jahren –der maximalen U-Haftdauer – wurde er enthaftet. Seither „genießt“ er seine Freiheit und bereitet sich auf den Prozess vor. Bei einer Verurteilung wegen terroristischer Straftaten – darunter Mord – droht ihm lebenslängliche Haft.