Luftaufnahme von Ischgl

Ischgl: Der Skiort exportierte das Coronavirus in die ganze Welt

Von Ischgl aus verteilte sich das Coronavirus in alle fünf Kontinente - das zeigt ein neuer Datensatz, der profil vorliegt. Doch wer trägt die Schuld daran? Die Touristiker, das Land, der Bund? Gerichte und Kommissionen sollen nun die Verantwortung klären.

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"Es geht Bergauf", heißt es in der neuen Kampagne der Tirol Werbung, mit der Touristen zu einem Urlaub animiert werden sollen. Dieser Versuch, Aufbruchsstimmung zu verbreiten, ist bitter notwendig. Denn der Skiort Ischgl sorgte nicht nur als Corona-Hotspot weltweit für schlechte Presse und brachte damit das gesamte Bundesland in Verruf, sondern exportierte das Virus buchstäblich rund um den Globus.

Das belegen Daten des von Peter Kolba gegründeten Verbraucherschutzvereins (VSV), der eine Sammelklage gegen die Republik Österreich vorbereitet. Insgesamt haben sich beim VSV - per Stand 4. Mai - 5384 Personen gemeldet, die sich in Ischgl und in geringerem Ausmaß in St. Anton und Sölden mit dem Coronavirus angesteckt haben. Die überwiegende Mehrheit der Fälle stammt aus Deutschland. Doch auch Urlauber aus Hongkong, Australien und Brasilien, ja sogar aus Kambodscha und Simbabwe haben Souvenirs in Form von Covid-19-Infektionen mit nach Hause gebracht.

Kolbas Zahlen zu den weltweiten Corona-Fällen, die sich auf Ischgl zurückführen lassen, sind keineswegs aufgebauscht, sondern dokumentieren nur einen kleinen Ausschnitt aller Ansteckungen im Skigebiet, wie profil-Recherchen belegen. Denn nicht alle infizierten Urlauber wollen sich seiner Verbraucherklage anschließen oder wissen überhaupt davon. So meldeten sich beim VSV 42 Norweger, die sich laut eigenen Angaben in Ischgl angesteckt haben. Am 13. März verzeichneten die norwegischen Behörden allerdings bereits 377 Fälle (das waren mehr als die Hälfte aller Covid-19-Infektionen in Norwegen), die sich auf einen Aufenthalt in Österreich zurückführen lassen. Die Zahl stieg bis zuletzt auf 696 an, also 16 Mal so viele, wie sich bei Kolba gemeldet haben. Die meisten davon kamen von einem Skiurlaub zurück, wie das norwegische Institut für öffentliche Gesundheit gegenüber profil erklärte.

Juristische und politische Aufarbeitung

Oder Deutschland: Laut Robert-Koch-Institut dürften sich 9500 Deutsche in Österreich angesteckt haben. Auch hier die meisten beim Skifahren in Tirol. Der VSV hat mit 3680 Fällen etwas mehr als ein Drittel davon in seinen Akten. Und in Österreich lassen sich 45 Prozent aller geprüften Corona-Fälle, das sind exakt 1667, auf die Tiroler Skigebiete zurückführen. Demgegenüber stehen 203 Personen, die sich bei Kolba gemeldet haben.

Nun soll der Ischgler Exportschlager "Coronavirus" juristisch und politisch aufgearbeitet werden - doch bis dahin wird wohl noch einiges an Gletschermasse schmelzen.

Ende März leitete die Staatsanwaltschaft Innsbruck in der Causa Ischgl Ermittlungen ein. Der Verdacht: Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Ein erster Zwischenbericht des Landeskriminalamtes Tirol liegt seit vergangener Woche vor und soll rund 1000 Seiten umfassen. "In dem Bericht finden sich Stellungnahmen und Auskünfte verschiedener Stellen, Dokumente, Schriftverkehre, E-Mails", erklärt Hansjörg Mayr, Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft, gegenüber profil. Formelle Zeugenbefragungen seien hingegen noch nicht durchgeführt worden, es gebe auch seitens der Staatsanwaltschaft noch keine Beschuldigten in dem Verfahren, lediglich "Angezeigte". Laut Kolba, der in der Causa eine Sachverhaltsdarstellung einbrachte, handelt es sich dabei um zwei Landesräte, drei Seilbahnvereine und mehrere Bürgermeister. Strafrechtlich kommt aus Kolbas Sicht auch ein weiteres Delikt infrage: Amtsmissbrauch durch Unterlassung.

"Große Sammelklage"

Das reicht Kolba aber nicht. Wenn bei den Ermittlungen in Innsbruck nichts rauskomme, werde er eine "Sachverhaltsdarstellung bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft einbringen". Parallel zum strafrechtlichen Verfahren arbeitet Kolbas VSV an einer zivilrechtlichen Schadenersatzklage: "Wir bereiten die ersten Musterklagen vor. Später planen wir noch eine große Sammelklage - das hat den Vorteil, dass da gleich eine ordentliche Schadenssumme zusammenkommt."

Unabhängig von den Gerichten will der Tiroler Landtag die Causa politisch aufklären. Bis zuletzt konnten sich die Landesregierungsparteien ÖVP und Grüne mit den Oppositionsparteien auf keine gemeinsamen Kommissionsmitglieder verständigen - schließlich wird die Hartnäckigkeit der Nachforschungen stark von der Besetzung abhängen.

Die Verdachtslage für behördliche Verfehlungen wird jedenfalls dichter: Ein profil-Bericht über detaillierte Warnungen der isländischen Behörden sorgte in der Vorwoche für Aufregung. Demnach wussten die österreichischen Behörden bereits am 5. März, in welchen fünf Hotels die 14 infizierten Isländer genächtigt hatten. Dennoch wurde nur eine Hotelmitarbeiterin getestet. Als eine Woche zuvor in einem Innsbrucker Hotel ein positiver Corona-Fall gemeldet wurde, ließ das Magistrat noch am selben Tag knapp 60 Kontaktpersonen testen. "Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Tiroler Behörden sind in der einen Woche blöder geworden - das glaube ich eher nicht. Oder in Ischgl ist nichts passiert, weil da einige Mächtige lobbyiert haben, dass die Skisaison weitergeht", sagt Kolba.

Anschober verweist auf Landesbehörden

Gesundheitsminister Rudolf Anschober spielte die Verantwortung für Ischgl am vergangenen Dienstag nach Tirol: Sein Ministerium hätte die Infos aus Island sofort ans Land weitergegeben, "damit vor Ort - und da sind die Landesbehörden die Zuständigen nach dem Epidemiegesetz - die entsprechenden Schritte realisiert werden können." Landeshauptmann Günther Platter wiederum betonte Anfang Mai, "jede Entscheidung wurde in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium getroffen".

Dazu das Gesundheitsministerium auf profil-Anfrage: Die Causa Ischgl sei zwar am Morgen des 5. März im Krisenstab des Bundes erstmals mit allen Bundesländern besprochen worden. Doch: "Am 5. März lagen dem Gesundheitsministerium keine konkreten Informationen zu in Tirol durchgeführten Untersuchungen vor." Dieses Pingpong-Spiel lässt sich erst aufklären, wenn die Untersuchungskommission Zugang zu den Protokollen der Krisenstäbe in Bund und Land erhält.

Der Druck auf Aufklärung wird jedenfalls größer. Gegenüber profil fordert Barbara Neßler von den Grünen als erste Nationalratsabgeordnete einer Regierungspartei Konsequenzen: "Fehlverhalten zieht Konsequenzen nach sich, bei schwerem Fehlverhalten müssen es entsprechend harte Konsequenzen sein", sagt die Tirolerin: "Wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens oder der Untersuchungskommission ein solches schweres Fehlverhalten feststellen, sollte es personelle Konsequenzen geben." Was für Neßler schon heute feststeht: "Die Kommunikation à la ,Wir haben alles richtig gemacht' war sicher nicht angebracht."

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).