Johannes Voggenhuber: Die Rückkehr des Silberrückens

Nach zehnjähriger Politpension ist der Grüne Ex-Europapolitiker Johannes Voggenhuber aus dem Ruhestand zurück. Er geht bei der EU-Wahl für die größte Konkurrenz der Grünen ins Rennen. Warum tut er das?

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Nicht einmal 48 Stunden waren vergangen, nachdem Johannes Voggenhuber sein Polit-Comeback verkündet hatte - und schon war er erzürnt. Als Voggenhuber vorvergangenen Dienstagabend im ORF-Studio saß, musste das Fernsehpublikum mitansehen, wie dem Grünen-Gründungsmitglied zunehmend der Kragen platzte. Die Interviewfragen des "ZIB 2"-Moderators Armin Wolf parierte er mit verschränkten Armen: zuerst trotzig, dann patzig und schlussendlich grantig - bis es aus ihm herausbrach: "Herr Wolf, Sie können ja auch meine Erfolge aufzählen!"

Zwei Tage später sitzt Voggenhuber in seinem neuen Büro in der Wiener Mariahilfer Straße und wirkt entspannter: "Ich habe mich provozieren lassen", sagt er. Doch kaum hat er sich erneut in die Interviewsituation hineinversetzt, gerät er wieder in Rage: Wolfs kritische Fragen deutet er als "Selbstgefälligkeit","unredlich" sei das gewesen, "das ärgert mich!". Kritik hielt Voggenhuber noch nie gut aus.

Mehr als 30 Jahre war Voggenhuber in der Politik, bis er den Grünen beleidigt den Rücken kehrte, weil man ihn nicht mehr als EU-Kandidaten wollte. Nach zehn Jahren im politischen Ruhestand will der ebenso selbstbewusste wie streitbare Politiker, heute 68 Jahre, ins Rampenlicht zurück. Ermöglicht wird ihm der Neustart von seinem Schicksalsgenossen Peter Pilz. Voggenhuber wird als Spitzenkandidat der Liste Jetzt, die Pilz als Antwort auf seine Abwahl bei den Grünen 2017 gegründet hatte, in die Europawahl im Mai gehen. Für die Grünen ist seine Kandidatur ein Schlag. "Vielleicht sollte ich meine Bachelorarbeit doch dem Phänomen der enttäuschten grünen alten weißen Männer widmen", polterte eine junge Grünpolitikerin auf Facebook. Der Salzburger Stadtrat, Johann Padutsch, der einer der ersten politischen Weggefährten Voggenhubers war, zeigt sich enttäuscht: "Ich habe Voggenhuber beinahe verehrt, auch als Europapolitiker, aber was er jetzt macht, ist seiner nicht würdig." Er gehöre "zu den Menschen, die nicht erkennen, wann ihre Zeit vorbei ist". Padusch unterstellt Voggenhuber "Ich-Bezogenheit" und fürchtet, dass seine Kandidatur auf Kosten der Grünen gehen könnte: "Helfen wird es uns sicher nicht." Voggenhuber sieht das naturgemäß anders: "Ich will nicht mit den Grünen konkurrieren." Seine "Initiative 1 Europa" sei eine unabhängige Wahlplattform, die Kandidaten aus allen proeuropäischen Lagern ansprechen soll. "In Zeiten, in denen die uralten Dämonen Europas erwachen und die Opposition keinen Widerstand gegen den rechtsrechten Block der Regierung leistet, will ich mich nicht zurückziehen", sagt er. Er lade alle Gleichgesinnten ein - im Speziellen auch die Grünen.

Kann Voggenhubers Plan aufgehen? Oder wird der EU-Wahlkampf Bühne der Selbstzerfleischung des grünen Lagers? Die Grünen hatten Voggenhubers Rückkehr erwartet. Oder eher: befürchtet. Bereits vergangenes Frühjahr trug Voggenhuber seine Ambitionen an die Parteispitze heran, die diese aber weitgehend ignoriert habe. Erst im Herbst kam es zum Treffen mit Grünen-Chef Werner Kogler, der für seine Partei auch als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl antreten wird. Voggenhuber habe Kogler eine Kooperation angeboten. Sein Versuch blieb erfolglos.

Voggenhuber und die Grünen - das war von Anbeginn eine Geschichte des Konflikts, die 2009 mit einem unschönen Zerwürfnis und einer tiefen Kränkung eines großen Egos ihr vorläufiges Ende fand. Parteiintern eilte Voggenhuber früh der Ruf des Querulanten voraus, er sei unduldsam mit Kritikern und zuweilen arrogant. Voggenhuber polarisierte - im Guten wie im Schlechten. Die Zeitungen nannten ihn "Ayatollah","Messias" oder "Teufelsbeschwörer". In Salzburg räumte er 1982 mit seiner Bürgerliste 17 Prozent der Stimmen ab. Der Versicherungsvertreter Voggenhuber errang als Stadtrat den ersten grünen Regierungsposten Europas. Nach fünf Jahren war die Initiative völlig zerstritten, worauf Voggenhuber von den Grünen nach Wien geholt wurde. Dort mobbte er Christoph Chorherr von der Parteispitze und wurde selbst Grünen-Chef. Nach einem Jahr reichte es der Ökopartei.

1995 zog Voggenhuber als erster Grüner Österreichs ins EU-Parlament ein. Dort wandelte er sich nicht nur vom erbitterten EU-Gegner zum glühenden Europäer, sondern profilierte sich auch als Abgeordneter durch brillante Rhetorik und seine Kenntnisse der Brüsseler Verhältnisse. Obwohl er der grünen Gründergeneration angehört, waren seine Leidenschaft nie traditionelle grüne Themen wie Umweltpolitik, sondern die Bürgerrechte. Sein Mandat im EU-Verfassungskonvent Anfang der 2000er Jahre war dann auch Voggenhubers beste Zeit. Sein Engagement brachte ihm in Brüssel Anerkennung und in Österreich den Spitznamen "Mister Konvent" ein.

Parteiintern fiel er in seinen letzten aktiven Jahren allerdings weniger mit EU-Themen auf als mit öffentlich vorgetragener Kritik. Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig meinte schon 2002: "Je mehr Verantwortung man bei den Grünen zu tragen hat, umso härter wird das Geschäft. Man muss schärfere Kritik einstecken, hat weniger Privatleben, muss sich mit einem Johannes Voggenhuber herumstreiten."

Im Vorfeld der grünen Spitzenkandidatenwahl 2009 stellte Voggenhuber an seine Partei eine Reihe von Bedingungen, darunter den Listenplatz 1. Ex-Parteichef Alexander Van der Bellen zeigte sich davon ungerührt: Voggenhuber habe große Verdienste erworben, doch es gehe nicht an, dass einer seine "Parteifreunde genauso behandelt wie seine Gegner".

Voggenhuber hatte hoch gepokert - und verloren. Die Partei wählte Ulrike Lunacek zur Nummer eins. Voggenhubers Politkarriere war scheinbar vorbei. Parteiintern wurde ihm, wie auch Peter Pilz, der Begriff des "Silberrückens" zugeschrieben - ein Synonym für "alter, weißer Macho-Mann". Der Parteispitze warf Voggenhuber vor, aus den Grünen eine Partei der Apparatschiks gemacht zu haben. Seine Abwahl schmerzt ihn bis heute.

Die Kränkung von damals habe allerdings nichts mit seiner Kandidatur von heute zu tun; dass er mit seinem Engagement für die Liste Jetzt seine Ex-Partei schwächen wolle, bestreitet er entschieden: Er verschwende seine Lebenszeit "wirklich nicht für Racheaktionen", sagt Voggenhuber. Und überhaupt: "An wem soll ich mich denn rächen?" Der Großteil des grünen Führungszirkels, von dem er sich damals "weggemobbt" fühlte, sei nicht mehr da. "Mir ist so viel zugestoßen in meinem politischen Leben. Wenn ich da einen Rachekatalog anlege, dann bin ich als Wikinger mit der Axt unterwegs." An einem hat Voggenhuber tatsächlich nie gespart -der Erzeugung von Feinden. Wenn er bei Freunden und Mitstreitern keine verbrannte Erde hinterließ, dann zumindest einen bleibenden Eindruck. Allein sein Blick wurde zur Legende. In "Augen wie glühende Kohlen", glaubte die ehemalige Salzburger Wirtschaftskammerpräsidentin Helga Rabl-Stadler zu schauen. "Er ist ein gescheiter, gewinnender Mensch -bis man ihm ernsthaft widerspricht", schilderte Brigitte Ederer (SPÖ), damals Europa-Staatssekretärin, ihre konfrontativen Blickkontakte mit dem Grünen: "Um es als Bild zu malen: Er wirkt, als würde er mich am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen."

Ob Voggenhubers Kandidatur die Grünen tatsächlich viele Stimmen kosten wird, wagen Meinungsforscher nicht zu prognostizieren. Fest steht aber: Die Stimmen werden vor allem zwischen den Oppositionsparteien hin und her wandern und weniger von den Regierungsparteien zur Opposition. "Ein Problem ist es für die Grünen sicher", zeigte sich Politikexpertin Eva Zeglovits vom Instiut IFES in den "Salzburger Nachrichten" überzeugt: Voggenhuber sei ein "direkter Gegner, der sie permanent daran erinnert, dass sie sich mit Parteiurgesteinen zerstritten haben und so auf Bundesebene gescheitert sind". Doch auch für Voggenhuber wird es schwierig. Inhaltliche Kompetenz und ein scharfer Intellekt allein reichen nicht aus, um eine breitflächige und parteiübergreifende Plattform mit Schlagkraft aufzustellen. Er könnte an seinem Ego scheitern.

Als Voggenhuber vorvergangenen Donnerstag in seinem Büro sitzt, hält er in einem Moment ein Plädoyer für ein geeintes proeuropäisches Lager im Kampf gegen den "rechtsrechten Block" - und teilt im nächsten unaufgefordert gegen seine potenziellen Mitstreiter aus. Über seinen langjähriger grünen Weggefährten und Freund, Werner Kogler, urteilt er etwa: "Er hatte bisher nicht viel mit Europa zu tun. So ein EU-Mandat ist eben ein einfaches Finanzierungsmodell für einen Bundesvorsitzenden ohne Bundesmandat."

Trotzdem: Die Einladung an die Grünen gelte nach wie vor. Eine Kooperation mit seiner Initiative, meint Voggenhuber, sei "wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, große Verluste zu vermeiden." Selbst wenn Voggenhuber, der auch den Rausfall der Grünen aus dem österreichischen Parlament vorausgesagt hatte, recht behalten sollte -richtig einladend klingt das alles nicht. Viele Grüne empfinden Voggenhubers Vorschlag nicht als "Angebot", sondern als Verhöhnung. Wenig überraschend erteilten ihm die Grünen noch in der Vorwoche via Aussendung eine offizielle Abfuhr. Die Wähler würden sich "eindeutig eine starke Grüne Kandidatur" wünschen. Man setze auf Parteichef Werner Kogler. Zumindest am Programm würde eine Kooperation mit den Grünen nicht scheitern, ist Voggenhuber überzeugt -und kann sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen: "Das werden sie mir wieder als bösartig auslegen, aber es ist nunmal so: Sie kandidieren noch immer mit meinem Programm."