Justizministerin Anna Sporrer: „Das Verbot ist eine Überschrift“
Wie Justizministerin Anna Sporrer sich selbst entmachten will, wo sie auf Abschreckung setzt und was hinter dem Social-Media-Verbot für unter 15-Jährige steckt.
Sie lesen zur Entspannung Gesetze. Welches Gesetz sollte man unbedingt lesen?
Anna Sporrer
Die österreichische Bundesverfassung.
Als Ministerin schreiben Sie Gesetze: Nächste Woche stoßen Sie Ihre eigene Entmachtung als Spitze der Staatsanwaltschaften an. Wie sieht Ihr Modell der Bundesstaatsanwaltschaft als oberste Ermittlungs- und Anklagebehörde aus?
Sporrer
Die Bundesstaatsanwaltschaft soll jeden Anschein eines unsachlichen Einflusses auf Ermittlungen beenden. Deshalb haben wir im Regierungsprogramm eine kollegiale Dreier-Spitze festgesetzt. Das verteilt die Last der Verantwortung auf mehrere Schultern – und erschwert Versuche von Einflussnahme. Als Bundesstaatsanwältinnen oder -anwälte in Frage kommen für uns strafrechtskundige Personen, also langjährige Staatsanwältinnen, Staatsanwälte, Strafrichterinnen oder -richter die viel Erfahrung mitbringen.
Laut Ihrem Konzept macht die Regierung gemeinsam mit dem Parlament einen Vorschlag, eine Kommission aus der Justiz wird eingebunden und der Bundespräsident beschließt. Suchen sich dann faktisch ÖVP, SPÖ und Neos einfach drei Leute als neue Bundesstaatsanwaltschaft aus?
Sporrer
Nein. Dass die höchsten Funktionen des Staates über Vorschlag der Bundesregierung an den Bundespräsidenten herangetragen werden, ist ein Grundprinzip unserer Bundesverfassung. Aber wir wollen, dass ein juristisches Fachgremium mit auswählt und das Parlament eingebunden wird.
Anna Sporrer plant, sich selbst zu entmachten: Die neue Bundesstaatsanwaltschaft soll die Justizministerin als Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften ersetzen. Dann kann die Politik nicht mehr über Einstellung oder Fortführung von Ermittlungen entscheiden. Einig sind sich die Koalitionsparteien schon, dass ein Dreier-Senat an der neuen Spitze stehen soll. Wie dieser aber genau bestellt wird, ist aber noch offen. Geht es nach Anna Sporrer, könnte die rechtliche Grundlage für ihre Entmachtung noch heuer beschlossen werden – wenn sie sich mit ÖVP und Neos einigen kann und die Grünen für die nötige Zweidrittel-Mehrheit sorgen.
Wie kann man sich das konkret vorstellen? Das Fachgremium sucht zehn Leute aus und die Regierung wählt daraus drei?
Sporrer
Das sind Details, über die ich noch nicht sprechen kann. Der Ministerratsvortrag schnürt jetzt einmal die wichtigsten Eckpunkte zusammen.
Auch ÖVP und Grüne hatten sich auf einen Ministerratsvortrag zu diesem Thema geeinigt. Das war im Februar 2021. Wann wird die Bundesstaatsanwaltschaft ihren Amtsantritt haben?
Sporrer
Wann genau die ersten Akten auf den Schreibtischen landen, kann ich noch nicht vorwegnehmen. Es muss auch geklärt werden, wo der Sitz der Bundesanwaltschaft ist. Aber ich hoffe, dass wir heuer die legistische Grundlage schaffen.
Zuletzt gab es Kritik für Postenbesetzungen, unter anderem bei Ihrer eigenen Nachfolge am Verwaltungsgerichtshof (VwGH): Die ÖVP nominierte Alfred Posch als Präsidenten, die SPÖ Bettina Maurer-Kober als Stellvertreterin. Verstehen Sie, dass diese Parteipolitik in der Justiz für Kopfschütteln sorgt?
Sporrer
Der VwGH hat 68 Richterinnen und Richter. 66 von ihnen werden durch die Vollversammlung des VwGH ausgewählt, also von den anderen Verwaltungsrichterinnen und -richtern. Nur die Spitze und ihre Stellvertretung werden von der Politik bestimmt. Ich war selbst elf Jahre lang Vizepräsidentin des VwGH: Die primäre Aufgabe dieser beiden Positionen ist Justizverwaltung, vom Personalmanagement bis zur Budgethoheit. Daher werden sie wie ein Teil der Verwaltung von der Regierung bestellt. Zudem ist der Präsident des VwGH ein oberstes Organ des Bundes. Da ist staatsrechtlich eine mittelbare Anbindung an den Souverän über die Bundesregierung geboten. Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass es sich die Parteien richten, sage ich bewusst salopp: Was anderes als eine Parteiendemokratie haben wir nicht. Diese Koalition hat die Nominierungsrechte zwischen den Parteien immerhin transparent offengelegt.
Die EU-Kommission kritisiert seit Jahren, dass die Justiz bei der Bestellung der Spitze des VwGH nicht eingebunden wird.
Sporrer
Es liegt an uns, noch besser zu kommunizieren, warum unsere Bundesverfassung das so vorsieht.
Sie sind seit 25 Jahren SPÖ-Mitglied, waren in den Kabinetten der SPÖ-Ministerinnen Johanna Dohnal, Helga Konrad und Gabriele Heinisch-Hosek tätig. 2013 schlug SPÖ-Kanzler Werner Faymann Sie als Vizepräsidentin des VwGH vor. Hätten Sie diesen Job auch ohne SPÖ-Nähe erhalten?
Sporrer
Das weiß ich nicht. Ich glaube, ich habe alle meine Funktionen aufgrund meiner Kompetenz erhalten. Und ich habe es mir nicht leicht gemacht: Ich habe drei juristische Berufe erlernt und die mit viel Freude, aber hoffentlich auch viel Kompetenz und Leistung ausgeführt. Das ist, glaube ich, der Grund, warum ich heute bin, wo ich bin.
Ich glaube, ich habe alle meine Funktionen aufgrund meiner Kompetenz erhalten.
Anna Sporrer
„Von den höheren und Spitzenpositionen sind [Frauen] jedoch ab einer gewissen Grenze durch eine ‚gläserne Decke‘ ausgeschlossen“, schrieben Sie 1995 in Ihrer Dissertation. 30 Jahre später gibt es mehr Richterinnen als Richter, mehr Staatsanwältinnen als Staatsanwälte und seit Karin Miklautsch 2004 Österreichs erste Justizministerin wurde, wurde das Ressort öfter von einer Frau als von einem Mann geführt. Wurde die gläserne Decke zumindest in der Justiz durchbrochen?
Sporrer
Sagen wir so: Wir sind sehr weit gekommen. Als wir 1993 das Gleichbehandlungsgesetz beschlossen haben, war in der männlich dominierten Verfassungsrechtswissenschaft höchst umstritten, dass die Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation zulässig ist. Heute ist das nicht mehr wegzudenken. Und Frauenförderung wirkt: Als ich 2014 an den VwGH gekommen bin, lag der Frauenanteil bei 25 Prozent. Dank einem Frauenförderungsplan liegt er jetzt bei 43 Prozent. Es ist nicht alles gelöst und man darf sich nie zurücklehnen – an den Spitzen der Höchstgerichte sitzen derzeit drei Männer. Aber es ist viel erreicht worden.
Das Gleichbehandlungsgesetz wurde letzten Herbst entscheidend geändert. Seitdem benennt es nicht nur Diskriminierung aufgrund des biologischen Geschlechts, sondern etwa aufgrund von Geschlechtsidentität, -ausdruck und -rolle. Die ÖVP bezeichnet das als Fehler, obwohl sie das Gesetz selbst beschlossen hat. Wie sehen Sie das?
Die Heteronormativität des Geschlechterkonzepts, die vor 20 Jahren noch gegolten hat, stellt sich heute anders dar.
Anna Sporrer
Sporrer
Die Gesellschaft entwickelt sich weiter. Die Heteronormativität des Geschlechterkonzepts, die vor 20 Jahren noch gegolten hat, stellt sich heute anders dar. Die Gesetzgebung hat nachgezogen. Es soll keine Person am Arbeitsplatz diskriminiert werden, weil sie genderfluid ist.
Kanzler und ÖVP-Chef Christian Stocker kritisierte im Mai die weite Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Haben Sie Angst, dass die EMRK unter Ihrer Amtszeit ausgehöhlt wird?
Sporrer
Nein. Wir haben im Regierungsprogramm einen starken Fokus auf die Wahrung der Menschenrechte. Ich gehe davon aus, dass Menschenrechte für alle Menschen gleich gelten und dass das nicht in Frage gestellt wird und glaube nicht, dass wir unsere Grundsätze genau in diesen sensiblen Bereichen antasten sollten. Generell, aber insbesondere beim Verfassungsrecht, hat die Politik dem Recht zu folgen.
Nächste Woche beschließt der Nationalrat den Stopp des Familiennachzugs. Das widerspricht doch dem Menschenrecht auf Familie?
Sporrer
Es ist kein gänzlicher Stopp, es ist ein Innehalten. Ein halbes Jahr lang wird der Familiennachzug gehemmt, damit vor allem Ballungsgebiete Zeit haben, um in Bildungssystem, Sozialsystem und beim Wohnraum steuernd eingreifen zu können.
Im Mai gab es 70 Einreisen unter dem Titel Familienzusammenführung. Dafür muss die Regierung ein Menschenrecht beschneiden?
Sporrer
Es geht auch um die anhängigen Verfahren. Ich gehe davon aus, dass das Innenministerium das alles im Blick hat.
Sie sind für ein Social-Media-Verbot bis 15 Jahren. Wieso machen wir soziale Netzwerke nicht sicher für Kinder und Jugendliche, anstatt sie zu verbieten?
Wir dürfen unsere Kinder nicht an das Internet verlieren. Es geht nicht um strafrechtliche Verbote, sondern darum, wie wir die großen Social-Media-Plattformen dazu bringen, bestehende Altersgrenzen besser zu achten. Und wir müssen Eltern dabei unterstützen, dass sie ihre Kinder nicht nur kontrollieren, sondern mit ihnen in einen Diskurs eintreten. Sie sollten wissen, was ihre Kinder anschauen, spielen, was sie beschäftigt. Dafür müssen wir nicht nur die Medienkompetenz der Kinder schärfen, sondern auch die der Eltern, Lehrpersonen und allen anderen, die mit Kindern zu tun haben. Das Verbot ist eine Überschrift. In Wirklichkeit geht es um einen breiten, gesellschaftlichen Diskurs, den wir führen müssen. Sonst verlieren wir wirklich unsere Kinder.
Auch die Politik kommuniziert auf Social Media. Nächste Woche soll beschlossen werden, dass Kabinette auch parteipolitische Social-Media-Arbeit für ihre Ministerinnen und Minister machen dürfen. Dabei erlassen sich ÖVP, Neos und Grüne mit Unterstützung der SPÖ 220.000 Euro an Strafen. Entspricht das Ihrem Rechtsverständnis?
Sporrer
Das waren keine bewussten Umgehungen von Parteienförderungsbestimmungen. Die Regelungen waren unklar, es gab eine gewisse Grauzone. Ich verstehe, dass das jetzt korrigiert werden soll. Und es ist kein Strafgesetz, daher kann es auch rückwirkend erlassen werden.
Die Richtervereinigung rechnet, dass derzeit 200 richterliche Planstellen fehlen. Richterinnen und Richter würden deshalb Sechs-Tage-Wochen machen müssen. Können Sie diese Zahl nachvollziehen?
Sporrer
Wir im Ressort haben andere Zahlen. Ich sehe aber die Belastung von Richterinnen und Richtern. Es ist nur so, dass es in diesem Budget keine zusätzlichen Planstellen gibt. Wir bemühen uns daher um andere Entlastungen: Durch stärkere Formvorschriften könnte man etwa verhindern, dass Anwältinnen und Anwälte lange, KI-generierte Schriftsätze einbringen. Auch die weitere Ausrollung des Elektronischen Akts wird entlasten. Und mit juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt eine neue Berufsgruppe am Gericht. In zwei Jahren verhandeln wir das neue Budget. Neben den Entlastungen werden wir bis dahin die Ressourcen, die wir haben, dorthin lenken, wo sie am stärksten gebraucht werden.
Sie werden im nächsten Budget mehr Planstellen herausverhandeln?
Sporrer
Ich werde mich argumentativ gut aufstellen und den Rückenwind der RichterInnen-Vereinigung und der Staatsanwaltschaften nutzen. Gerade die WKStA und die Staatsanwaltschaft Wien haben viele mühsame Großverfahren am Laufen.
Die Wände ihres Büros zieren abstrakte, rot-orange Gemälde eines früheren Kollegen. Hinter ihrem Schreibtisch steht eine kleine Wunderlampe, ein Mitbringsel ihrer Tochter. Die Bücherregale neben der Eingangstüre sind gefüllt mit Rechtsliteratur, feministischen Gedichten und einem Collier ihres juristischen Vorbilds, der einstigen US-amerikanischen Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg.
Anna Sporrer (63) hat eine steile Karriere in Justiz und Verwaltung hinter sich: Die überzeugte Feministin schrieb ihre Dissertation über Gleichbehandlung und Frauenförderung, arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Verfassungsgerichtshof, war Vorsitzende der Gleichbehandlungskommission, stellvertretende Sektionsleiterin des Verfassungsdienstes, Büroleiterin von SPÖ-Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek im Kanzleramt, Rechtsanwältin und zuletzt Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichtshofes.
Seit 3. März 2025 ist Anna Sporrer Justizministerin.
Künftig soll das Versenden von Dickpics, also ungewollten Genitalaufnahmen, strafbar sein. Warum?
Sporrer
Das Phänomen der Übermittlung von Genitalbildern, vor allem an junge Frauen, ist endemisch. Das ist nichts anderes als sexuelle Belästigung im digitalen Raum. Meine 24-jährige Tochter und ihre Freundinnen kennen das schon aus der frühesten Jugend. Auf ihren Handys ist die ganze Kommunikation mit ihren engsten Freundinnen und Freunden, die privatesten Fotos. Und dann kommt völlig unvermittelt etwas herein, was abstoßend ist, was verärgert, was beschämt. Und es war wirklich so: Nachdem wir das Dickpic-Verbot medial kommuniziert hatten, haben mich unbekannte junge Frauen angesprochen und gesagt: Danke, dass hier endlich was getan wird.
In der Wirkungsfolgenabschätzung zum Verbot erwarten Sie einen so geringen Aufwand für die Justiz, dass 0,1 zusätzliche Vollzeitäquivalente pro juristischer Berufsgruppe reichen müssen.
Sporrer
Ich setze auf die abschreckende Wirkung. Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass die Herren der Schöpfung begreifen, dass das kein Spaß ist, sondern verboten. Man wird sich überlegen: Fotografiert man jetzt in die Hose hinein und verschickt es? Es wird vielleicht nicht jede Frau gleich zur Polizei laufen. Aber es ist ein Empowerment, wenn eine junge Frau sagen kann: Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst, zeige ich dich an.
Ich setze auf die abschreckende Wirkung. Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass die Herren der Schöpfung begreifen, dass das kein Spaß ist, sondern verboten.
Anna Sporrer
Die Staatsanwaltschaften fürchten, dass das Verbot mehr Aufwand bringt, als im Gesetz steht.
Sporrer
Das werden wir genau beobachten.
Sie wollen die Verurteilungsquote bei Sexualstraftaten erhöhen. Wie?
Sporrer
Oft sind bei der Tat keine Zeuginnen und Zeugen dabei. Gewaltambulanzen setzen hier an, um unmittelbar nach der Tat Spuren zu sichern, die auch Jahre später vor Gericht verwendet werden können. Wir werden auch im Bereich der Staatsanwaltschaften und Gerichte das Fortbildungsangebot verstärken.
Newsletter
Drucken
(profil.at)
|
Stand:
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.