Christian Knill (li.) von der Wirtschaftskammer und Rainer Wimmer von der Gewerkschaft: Wer tut sich mehr weh, wenn er ordentlich auf den Tisch haut?
Klassenkampf 4.0: Die Lohnrunde der Metaller als großer Showdown

Klassenkampf 4.0: Die Lohnrunde der Metaller als großer Showdown

Nächtelange Gesprächsrunden, persönliche Angriffe, Streikdrohungen: Warum die Lohnrunde der Metaller wieder einmal zum großen Showdown wurde.

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15 Stunden dauerte die bis dato letzte Gesprächsrunde. Am Donnerstagnachmittag vergangener Woche gegen 14 Uhr war es losgegangen, Freitag früh kurz nach fünf Uhr trennten sich die Verhandlungsteams. „Wir sind uns nähergekommen, es hat Bewegung gegeben“, erklärte Rainer Wimmer, Chef der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE). „Jetzt ist es einmal genug“, meinte sein Gegenüber von der Wirtschaftskammer, der Industrielle Christian Knill. Es habe wesentliche Annäherungen gegeben, alles Weitere werde man sehen.

Abgesehen davon, dass sämtliche Verhandler den erst seit Kurzem erlaubten Zwölfstundentag um drei Stunden überzogen hatten, gab es somit keine nennenswerten Ergebnisse. Nach wie vor lagen die Vorstellungen weit auseinander. Die Gewerkschaft war mit der Forderung nach fünf Prozent Lohnerhöhung gestartet, die Arbeitgeber boten zuletzt 2,7 Prozent. Immerhin ist es gelungen, gleich einen Termin für das nächste Gespräch zu fixieren. Am Sonntag soll es weitergehen – also leider nach profil-Redaktionsschluss. Dennoch ist es nicht sehr mutig, an dieser Stelle eine Prognose zu wagen: Österreich muss sich eher nicht auf einen wochenlangen Generalstreik vorbereiten; Metallergewerkschaft und Wirtschaftskammer werden sich einigen.

Lohnverhandlungen gehören zum Jahresprogramm

Die Kollektivvertragsverhandlungen der Metaller gehören zum Jahresprogramm wie Ostern, Weihnachten und der Sommerschlussverkauf. Jedes Jahr im Herbst kommt das interessierte Publikum in den Genuss einer sozialpartnerschaftlichen Sondervorstellung, die ähnlichen Spielregeln folgt wie professionelles Wrestling: Gekämpft wird hauptsächlich zur Erbauung der Zuseher. Ernsthafte Verletzungen sind nicht zu befürchten. Mögen einzelne Teilnehmer noch so martialisch auftreten, am Ende hat man einander wieder lieb und feiert Versöhnung.

Im Unterschied zum Wrestling ist in diesem Fall allerdings nur eine Seite mit echter Leidenschaft bei der Sache – und zwar die Gewerkschaft. Den Arbeitgebern geht die öffentliche Feilscherei schon lange schwer auf die Nerven. Doch alle Versuche, dem herbstlichen Showdown zu entgehen, sind bisher gescheitert. Vor sechs Jahren beschloss die Wirtschaftskammer etwa, die Gespräche aufzuteilen und jeden der sechs Metall-Fachverbände separat mit der ProGe verhandeln zu lassen. Schließlich habe die Sparte Bergbau/Stahl ganz andere Wünsche und Bedürfnisse als beispielsweise die Fahrzeug­industrie. Die Maßnahme wurde umgesetzt, der positive Effekt blieb jedoch aus: Was die Metalltechnische Industrie als größter Fachverband ausgehandelt hat, wird auf Punkt und Beistrich auch in den anderen fünf Verbänden besiegelt.

Marketingmaßnahme für die Gewerkschaft

Schon vor einiger Zeit präsentierte Kammerobmann Christian Knill sein Konzept eines „Kollektivvertrags 4.0“, das unter anderem vorsieht, einen Abschluss gleich für mehrere Jahre zu fixieren und den KV zu entrümpeln. Leider wollte die Gewerkschaft diesen Ideen bisher nicht nähertreten. Auch der Vorschlag, künftig nur ein Wochenende lang zu verhandeln und erst aufzustehen, wenn ein Kompromiss gefunden worden ist, fand auf der Gegenseite kein Gehör.

Die Gewerkschaft begreift das alljährliche Ritual – empörte Aussendungen und Warnstreiks inklusive – als Marketingmaßnahme in eigener Sache. Die Mitglieder sollen ruhig sehen, mit welcher Verve sich ihre Interessensvertreter für sie in die Schlacht werfen. In keiner Branche funktioniert das besser als bei den Metallern, wo die Rollen auf beiden Seiten archetypisch besetzt sind. In den Reihen der Gewerkschafter dominiert der bodenständig-rustikale Typ, dem man zutrauen darf, dass er sich nicht weh tut, wenn er mal fester auf den Tisch haut. Für die Wirtschaftskammer verhandeln wohlerzogene Industrielle in feinem Tuch, denen das Poltern und Hauen über mehrere Generationen abgewöhnt wurde.

Der gute alte Klassenkampf mag ein wenig aus der Mode gekommen sein, aber in diesem Setting lässt er sich wenigstens noch sehr hübsch simulieren. Heuer ist das besonders wichtig, weil sich der ÖGB von der schwarz-blauen Regierung an den Rand gedrängt und entmachtet fühlt.

Die Metaller als Gradmesser

Am Mittwoch der Vorwoche kommt Rainer Wimmer etwas verspätet zum Termin in einem Wiener Kaffeehaus. Gerade ist bekannt geworden, dass es am nächsten Tag wieder eine Verhandlungsrunde geben wird – seither steht sein Telefon nicht mehr still. Wimmer wirkt energiegeladen und jünger als die 63 Jahre, die seine Geburtsurkunde ausweist. „Wenn wir in unserem Bereich nix weiterbringen, wird es für die anderen Branchen unmöglich. Wir sind da traditionell der Schneepflug“, erklärt er. Wimmer übertreibt nicht. Die Metaller gelten seit jeher als Gradmesser dafür, was bei den diversen Lohnrunden möglich ist.

Dieses Jahr geht es nicht nur um Geld, sondern auch um flankierende Maßnahmen für den jüngst beschlossenen Zwölfstundentag. Letzterer betreffe die Arbeitnehmer in der Industrie zwar nicht so stark, gibt Wimmer zu. „Wir haben eh überall Betriebsräte, die das überwachen und aufpassen, dass es keinen Missbrauch gibt. Aber wir müssen Vorbild sein und eine Regelung hinkriegen, die für alle passt.“ Ganz generell finde er es immer wieder lustig, welche Verrenkungen die Gegenseite aufführe, wenn es ans Eingemachte gehe. „Kaum stehen wir vor der Tür, bricht bei den Industriellen die große Armut aus.“

Frage der Kondition

Wimmer sitzt nebenbei für die SPÖ im Parlament und gehört zu jenen Sozialdemokraten, die sich nicht vorhalten lassen müssen, den Kontakt zur Basis verloren zu haben. Bevor er in der Gewerkschaft Karriere machte, arbeitete der gelernte Elektriker viele Jahre lang im Salzbergbau. Sein oberösterreichischer Dialekt lässt Wimmer mitunter recht gemütlich klingen. Aber als Sparringpartner muss man ihm erst einmal gewachsen sein. Letztlich sei das stundenlange Verhandeln auch eine Konditionsfrage, erzählt Wimmer gut gelaunt. „Da musst du dir das Schmalz schon ein bisserl einteilen. Deshalb schau ich, dass ich mich am Anfang zurückhalte.“

Weil die Gewerkschaft in drei Unterkomitees zu den Besprechungen anrückt, hat die Wirtschaftskammer ein ähnliches Modell eingeführt. Als Verhandlungsführer trat zuletzt der Niederösterreicher Veit Schmid-Schmidsfelden auf. Den Botschafter nach außen gibt aber Christian Knill, Fachverbandsobmann der Metalltechnischen Industrie und Miteigentümer des steirischen Hightech-Unternehmens Knill Gruppe. Donnerstagmittag der Vorwoche sitzt der 48-Jährige im Foyer der Wiener Wirtschaftskammer und stellt sich auf Überstunden ein. „Die Gewerkschaft hat grundsätzlich Interesse an möglichst langen Verhandlungen“, sagt er: „Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder die Situation, dass wir mit allem fertig waren, aber die Gewerkschafter fanden, sie könnten jetzt noch nicht damit rausgehen.“ Die Kluft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sei zuletzt tiefer geworden, glaubt er. „Persönliche Angriffe vonseiten der Gewerkschaft gab es früher nicht in dem Ausmaß wie heute.“

Wirtschaftskammer hat in puncto Image nichts zu gewinnen

Knill ist als Funktionär lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass die Wirtschaftskammer bei den KV-Runden in puncto Image nichts zu gewinnen hat. Fallen die Lohnerhöhungen hoch aus, war die Gewerkschaft mit ihrer Taktik erfolgreich. Bleibt das Plus hinter den Erwartungen, gelten die Arbeitgeber als geizig. Knill hält das für unfair: „Man muss doch sehen, dass jede KV-Erhöhung nachhaltig ist. Wenn die Konjunktur nachlässt, kann ich den Zuwachs nicht einfach rückgängig machen. Dann bleibt den Unternehmern nur noch die Option, Leute zu kündigen. Das interessiert die Gewerkschaft nicht.“

Die erzwungene Frontstellung scheint den Mann ernsthaft zu frustrieren. Aber hat Rainer Wimmer vielleicht recht, wenn er unterstellt, dass man sich als Industrieller in zwölfter Generation gar nicht mehr vorstellen könne, wie ein Mensch mit 1500 Euro im Monat lebt? „Ich habe einen sehr engen Bezug zu meinen Beschäftigten“, pariert Knill: „Mit den meisten meiner Angestellten bin ich per Du, und ich wohne direkt neben dem Werk.“

"Das tun sie nur, wenn sie müssen“

Die öffentliche Darstellung des Infights könnte sich ein wenig mehr an den Fakten orientieren, findet der Funktionär. Zum Beispiel werde fast jeder Bericht zu diesem Thema in den Zeitungen und im Fernsehen mit dem Foto eines Arbeiters am Hochofen illustriert. Das sieht schön anstrengend und dramatisch aus, läuft aber eigentlich unter Fake News. „In den Betrieben unseres Fachverbands gibt es keinen einzigen Hochofen“, seufzt Knill. Auch der Eindruck, dass die Mitarbeiter in der Metallindustrie besonders arg ausgebeutet werden, könnte falscher nicht sein: „Wir gehören zu den Branchen mit den höchsten Löhnen und Gehältern.“ Tatsächlich liegt das Durchschnittseinkommen für einen Angestellten bei über 4100 Euro im Monat, jenes der Arbeiter beträgt immerhin 2600 Euro.

Nicht einmal Gewerkschafter Rainer Wimmer würde leugnen, dass es seinen Leuten besser geht als den meisten anderen. Aber das muss die Kampfkraft ja nicht schmälern. Freiwillig würden die Unternehmer nie etwas hergeben, ist seine Überzeugung. „Das tun sie nur, wenn sie müssen.“

Rosemarie Schwaiger