Österreich

Klimaplan, verzweifelt gesucht

Österreich hat die fristgerechte Abgabe des nationalen Klimaplans bei der EU versäumt. Nächste Woche will Umweltministerin Gewessler diesen endlich präsentieren. Aber wird er ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen?

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Dass Ungarn einmal als Vorbild für Österreichs Grüne taugen könnte, hätte so schnell wohl auch niemand vermutet. Noch vor zwei Jahren schickte Umweltministerin Leonore Gewessler ein geharnischtes Schreiben nach Budapest. Es ging um ein Mega-Hotelprojekt auf der ungarischen Seite des Neusiedler Sees, das auch enorme Auswirkungen auf den österreichischen Nationalpark hätte. Vergangenes Jahr tadelte sie Ministerpräsident Viktor Orbán wegen der Gas-Abhängigkeit des Landes von Russland. 


Doch nun scheint sich Ungarn plötzlich als EU-Musterschüler hervorzutun. Und zwar ausgerechnet in einem Fach, in dem Österreich diesen Status gern selbst für sich beansprucht: dem Klimaschutz.


Seit Jahren wissen die EU-Mitgliedsstaaten, dass sie ihre Hausaufgaben erledigen müssen. Jetzt steht eine wichtige Deadline an: „Bis zum 30. Juni 2023 werden die Mitgliedstaaten der Kommission gemäß Artikel 14 der Governance-Verordnung Entwürfe aktualisierter Nationaler Energie- und Klimapläne (NEKP) vorlegen“, heißt es auf der Webseite der EU-Kommission. Die Aussage zeugt von großem Optimismus seitens der Institution. Doch der ist – zumindest was Österreich betrifft – unbegründet.


Im NEKP 2019, damals noch unter der von Brigitte Bierlein geführten Expertenregierung, verpflichtete sich Österreich, die Emissionen von Treibhausgasen (THG) bis zum Jahr 2030 um 36 Prozent gegenüber dem Jahr 2005 zu reduzieren. Doch mit ihrem „Fit for 55“-Paket hat die EU-Kommission 2021 die Klimaziele weiter verschärft. Nun muss Österreich nachbessern.

Rauchende Köpfe


Um das neue EU-Ziel zu erreichen, braucht es eine Reduktion um 48 Prozent bis 2030 gegenüber 2005: Weil damals noch 56,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent ausgestoßen wurden, bedeutet das eine Reduktion von rund 27 Millionen Tonnen bis zur Bilanz von 2030. Erlaubt ist dann noch der Ausstoß von 29 Millionen Tonnen.


Wie das gelingen soll, muss Österreich gegenüber der Kommission plausibel darstellen. Und während Kinder und Jugendliche in die Ferien entlassen werden, rauchen im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt und Energie noch die Köpfe. Doch so viel ist mittlerweile klar: Die Abgabefrist 30. Juni verstreicht, ohne dass Brüssel ein entsprechendes Dokument aus Österreich erreicht.


„Die Arbeiten zur Erstellung des nationalen Energie- und Klimaplans laufen. Sobald sie abgeschlossen sind, werden wir die Ergebnisse präsentieren und die vorgesehene öffentliche Konsultation starten“, heißt es dazu gegenüber profil aus dem Klimaschutzministerium. Bei einer Auftaktveranstaltung kommende Woche sollen die Pläne der Öffentlichkeit präsentiert werden. Ab dann können alle relevanten Stakeholder, also Organisationen der Zivilgesellschaft, lokale Gebietskörperschaften, Sozialpartner und Vertreter der Wirtschaft, ihre Stellungnahmen einbringen. Dieser Konsultationsprozess hätte freilich schon vor der genannten Deadline abgeschlossen werden sollen. Und so wird es wohl bis in den September dauern,  bis Österreich der EU-Kommission einen aktualisierten Entwurf übermitteln kann.

Vorbild Ungarn?

Ungarn ist da schon weiter. Laut der Nachrichtenagentur MTI hat das Energieministerium in Budapest den überarbeiteten Plan nach mehreren Konsultationsrunden mit Akteuren der Branche und der Zivilgesellschaft in den vergangenen zwei Monaten ausgearbeitet. Dieser sieht vor, dass Ungarn seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent senkt und den Anteil der erneuerbaren Energien von 21 auf 29 Prozent erhöht.  
Österreich muss sehr rasch sehr viel mehr tun, um seine Treibhausgasemissionen zu senken. Laut dem vom Umweltbundesamt errechneten WEM-Szenario (steht für „with existing measures“), also bei einer Fortschreibung der bereits existierenden Klimaschutzmaßnahmen, werden die EU-Klimaziele bis 2030 massiv verfehlt. Die Emissionen würden dann bei 42 Millionen Tonnen liegen – um 13 Millionen mehr als vorgesehen. Die mit der EU vereinbarten 29 Millionen wären der Berechnung zufolge erst ab 2050 zu erreichen. Zu dem Zeitpunkt will Österreich laut Regierungsübereinkommen aber bereits zehn Jahre klimaneutral sein (siehe auch Grafik).

Koalitionssprengstoff

Seit Februar werden zwischen Klimaschutzministerium und dem von Magnus Brunner (ÖVP) geführten Finanzministerium Entwürfe, Papiere und Konzepte zum neuen NEKP ausgetauscht. Und wie profil im Mai in einer Coverstory  über interne, mit einem „Vertraulich“-Kennzeichen versehene Unterlagen berichtete, fanden sich darin eine ganze Reihe von Ideen, die enormen Koalitionssprengstoff beinhalten: ein autofreier Tag pro Monat in allen größeren Städten; ein Verbot von Verbrennungsmotoren bei Neuwagen bereits im Jahr 2027 und nicht erst 2035, wie auf EU-Ebene beschlossen wurde; eine massive Erhöhung des CO2-Preises und eine Verlagerung der Raumordnungskompetenz -  weg von den Gemeinden und hin zu den Ländern. Das sind Vorschläge, die bei der ÖVP gemeinhin auf wenig Gegenliebe stoßen. „Das Klimaschutzministerium lädt in den nächsten Wochen zu weiteren Gesprächen. Aktuell sind einige Themen offen. Es gibt technische Runden auf Beamtenebene, vor allem zur Ausgestaltung und den unterstellten Effekten von Maßnahmen, sowohl budgetär als auch ökologisch“, sagt ein Sprecher des Finanzministeriums. Klingt eher nicht so, als würde man demnächst handelseins werden.


Herzstück des neuen Klimaplans ist das sogenannte WAM-Szenario („with additional measures“), das ebenfalls nächste Woche präsentiert werden soll. Darin werden alle bereits umgesetzten beziehungsweise in Umsetzung befindlichen Klimaschutzmaßnahmen eingerechnet. Laut profil vorliegenden Informationen kann mit diesen Maßnahmen eine Treibhausgas-Reduktion von 35 Prozent bis zum Jahr 2030 gelingen. Die Lücke von 13 Prozent, die dann noch bis zum vorgegebenen Ziel zu schließen ist, soll Gegenstand der öffentlichen Konsultation sein. „Dann sind auch all jene gefordert, konstruktive Vorschläge zu machen, die sonst immer nur sagen, was sie alles nicht wollen“, so ein Grüner gegenüber profil. 

Nicht in trockenen Tüchern

Einer, der sich auf alle Fälle einbringen will, ist Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher der Umweltorganisation Global 2000: „Was man nicht übersehen darf: die 35-Prozent-Reduktion ist auch nicht in trockenen Tüchern. Darin ist das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) eingerechnet, das noch gar nicht beschlossen ist.“ Immerhin trage dieser Bereich mehr als zehn Prozent zu den Gesamtemissionen bei; komme das EWG nicht, werde die Lücke entsprechend größer. „Nachdem die SPÖ ihre Blockadehaltung aufgegeben hat und die Verhandlungen dennoch nicht wieder gestartet sind, drängt sich der Verdacht auf, dass die ÖVP das Thema nicht auf die Agenda setzen will“, so Wahlmüller.  


Karl Steininger, Klimaökonom am Wegener Center in Graz, der als Experte zur Auftaktveranstaltung und zur Stellungnahme geladen ist, meint: „Ich bin gespannt, welche konkreten Maßnahmen man mit dem Klimaplan tatsächlich angehen will und wo man sich nicht drüber traut.“ Den dringendsten Handlungsbedarf ortet Steininger im Verkehr. „Strengere Tempolimits sind ein großer Hebel, über eine steigende Normverbrauchsabgabe könnte man das Verbrenner-Aus beschleunigen und der CO2-Preis sollte rasch auf mindestens das Doppelte ansteigen, wenn wir unsere eigenen Klimaziele erreichen wollen. Und an der Änderung der Raumordnungskompetenz führt auch kein Weg vorbei“, so der Klimaökonom.

4,7 Milliarden Euro Strafe


Angesichts der immer deutlicher wahrnehmbaren Auswirkungen der Klimakrise sollte Österreich schleunigst in die Gänge kommen. Oder, monetär ausgedrückt: Werden die Klimaziele bis 2030 nicht erreicht, drohen Strafzahlungen von 4,7 Milliarden Euro, wie das Finanzministerium errechnet hat. Viel Geld, das wirklich sinnvoller eingesetzt werden könnte.


Österreich ist übrigens nicht das einzige Land, das säumig ist. „Later this year“, werde man den aktualisierten Entwurf übermitteln, hieß es etwa aus Dublin – und auch das deutsche Bundeswirtschaftsministerium kündigte bereits Verzögerungen an.
Bis zur Abgabe des finalen Klimaplans ist indes noch Zeit: Der muss im Juni 2024 eingereicht werden. Mal sehen, ob dann wieder die Ungarn das Rennen machen.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).