PROPST BERNHARD BACKOVSKY "Keinerlei Interventionen zugunsten von M."

Missbrauchsfall Klosterneuburg: Deutscher Pfarrer greift Propst an

Hat sich der Propst des Stiftes Klosterneuburg höchstpersönlich für einen übergriffigen Ordensmann eingesetzt? Ein deutscher Pfarrer behauptet das. Und nun taucht ein zweiter Missbrauchsfall auf.

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Es war Ewald Scherr, 62, anzuhören, dass er mit sich rang. Wie ein tiefer Seufzer kam sein "ja, gut" durch das Telefon. profil hatte mit dem Pfarrer einer kleinen Gemeinde in Oberbayern mehrmals über einen ominösen Brief gesprochen. Der Propst des Stiftes Klosterneuburg, Bernhard Backovsky soll ihn anno 1997 geschrieben haben. Höchstpersönlich.

Scherr erzählte, wie erstaunt er über die Post aus Österreich gewesen sei; noch mehr aber verwunderte ihn der Inhalt: "Backovsky hat mich gebeten, dem ehemaligen Mitbruder M.* zu helfen. Ich sollte mich dafür einsetzen, dass er in meiner Diözese unterkommt." Der heute 62-jährige Geistliche kam der Bitte nach und gab das Ansinnen weiter. Dieses Faktum bezeugte er schon vor drei Wochen; seinen Namen aber wollte er nicht in der Zeitung lesen. Als profil den Missbrauchsfall im Stift Klosterneuburg öffentlich machte - der ehemalige Chorherr M. hatte sich hier 1993 an einem minderjährigen Messdiener vergriffen, war danach trotzdem Priester geworden, hatte in Deutschland eine Pfarre anvertraut bekommen und hier einen Elfjährigen missbraucht - da blieb Scherr anonym.

Nun aber ist der ehemalige Ordensmann bereit, offen von dem Brief zu erzählen und sich damit gegen den mächtigen Stiftsprälaten zu stellen. Bernhard Backovsky, Propst in Klosterneuburg und Generalabt aller Chorherren-Stifte in Österreich, hatte auf profil-Anfrage und in späteren Stellungnahmen stets bestritten, den übergriffigen ehemaligen Augustiner-Chorherrn M. nach seiner Entlassung aus dem Orden 1994 weiter unterstützt zu haben.

Nachforschungen des Opfervertreters Johannes Heibel, der "Mainpost"-Reporterin Christine Jeske und profil-Recherchen konterkarierten das Bild jedoch: M. war noch vier Jahre nach dem Übergriff in einer Wohnung in Wien gemeldet, die dem Stift gehört; er schaffte es auf immer noch ungeklärte Weise, 1996 - also drei Jahre nach dem Vorfall -in Rumänien geweiht zu werden; nun kommt besagter Brief dazu, mit dem der ehemalige Novizenmeister und nunmehrige Propst ein gutes Wort für den übergriffigen Pfarrer eingelegt haben soll.

Tatsächlich tauchte M. 1997 in Scherrs Gemeinde auf und quartierte sich in einem verlassenen Pfarrhaus ein, "bis im Bistum Eichstätt die Entscheidung fiel, dass er nicht bleiben soll", so Scherr. In dieser Zeit zelebrierte M. einige Messen und eine feierliche Osterliturgie. Heilfroh sei er gewesen, als der ungebetene Gast weiter zog. Der heute 62-Jährige ist ein bedächtiger, ernsthafter Charakter, das Gegenteil des verhaltensauffälligen, nach Aufmerksamkeit gierenden M. Die Männer waren einander im Stift in Klosterneuburg über den Weg gelaufen. Ihr Kontakt blieb jedoch lose, auch weil Scherr damals in München sein Studium beendete und danach als Kaplan in der Wiener Pfarre Donaufeld aushalf, wo Backovskys inzwischen verstorbener Bruder Pfarrer war. M. hingegen wohnte im Stift.

Beide gehörten zur Riege junger, deutscher Novizen, die in den 1980er-Jahren nach Klosterneuburg kamen. Backovsky, damals Novizenmeister, sollte für steigende Eintrittszahlen sorgen. Die mittlere Generation der Augustiner-Chorherren hatte mit dem durchwegs konservativen Nachwuchs jedoch keine Freude und suchte ihn bei passender Gelegenheit loszuwerden. Scherr trat 1985 in Klosterneuburg ein, zwei Jahre vor M., und verließ das Stift 1988 aus nicht ganz freien Stücken, "weil man die Deutschen stark spüren hat lassen, dass man sie nicht haben will". Bis zu Backovskys Schreiben 1997 habe er aus Klosterneuburg kaum noch etwas vernommen.

Dieser Tage verabschiedet sich Scherr in den Ruhestand. Er steckt mitten im Umzug in eine 50 Kilometer entfernte Wohnung, vielleicht ein guter Zeitpunkt, in der Vergangenheit aufzuräumen. Scherr möchte, dass der Fall M. "ordentlich aufgeklärt wird". Deshalb habe er sich durchgerungen, seinen Namen preiszugeben. Das Stift sicherte vergangenen Donnerstag in einem Mail an profil zu, die vollständige Aufklärung "ernsthaft und rasch" voranzutreiben. Backovskys Kommentar zu seinem Bittschreiben 1997 fiel denkbar knapp aus: Es habe "von seiner Seite keinerlei Intervention zugunsten von M." gegeben.

1996, also im Jahr zuvor , war M. in Oradea von Bischof Vasile Hossu geweiht worden. Die Umstände bleiben obskur wie die Rolle, die ein rumänischer Aushilfspfarrer aus Niederösterreich dabei spielte. Der Mann - er soll hier I. heißen - hat sowohl Verbindungen zu Oradea als auch zu Klosterneuburg, und er kennt den übergriffigen Pfarrer M., wie er vor Monaten gegenüber Opfervertreter Heibel zugab. profil gegenüber zeigte er einen bemerkenswerten Unwillen, etwas zur Aufklärung beizutragen: "Wenn Sie noch einmal anrufen, beschwere ich mich bei der Polizei." Auch vom Stift Klosterneuburg ist in der Causa immer noch wenig Erhellendes zu erfahren. Der Sprecher erkärt, man werde "eine umfangreiche Befragung bei den Chorherren, die damals im Haus waren und noch leben, durchführen". Außerdem würden nun Auskünfte in Oradea eingeholt.

Inzwischen ging profil einem weiteren Missbrauchsfall unter den Augustiner-Chorherren in Klosterneuburg nach. Ein Ordensmann war nach seiner Weihe vor einigen Jahren in das norwegische Bergen versetzt worden und hatte sich dort mit einer 15-Jährigen eingelassen. Das sexuelle Verhältnis flog auf, S. musste vor Gericht, denn das Schutzalter in Norwegen beträgt 16 Jahre. Der Staatsanwalt verlangte sechs Monate Haft als Strafe. Das Gericht ließ den Priester mit einem Monat davonkommen und setzte den Rest auf Bewährung aus. Laut seiner Anwältin verließ der Augustiner-Chorherr Norwegen nach seiner Enthaftung und arbeitet heute in einem Designbüro in Asien. Er wird aber nach wie vor im Personalstand des Stiftes Klosterneuburg geführt . Man habe, so Sprecher Walter Hanzmann, in Rom um eine Dispens angesucht, die Causa sei dort aber nicht abgeschlossen, "daher ist S. noch Ordensmitglied, was für das Stift eine äußerst unbefriedigende Situation darstellt." Wenn es nur diese eine wäre.

*Name von der Redaktion geändert

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges