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Krieg in der Ukraine: Was wird aus dem Pazifismus?

Manchmal braucht man Waffen, um Frieden zu schaffen. In Deutschland haben das rote und grüne Politiker begriffen. Und bei uns?

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Im Juni 1914, wenige Wochen bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, starb Bertha von Suttner in Wien. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit: Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und vor allem: Kämpferin für den Frieden. 1889 veröffentlichte sie den Roman „Die Waffen nieder“. 1891 wurde sie Präsidentin der von ihr initiierten Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde. 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis. Bis zu ihrem Tod engagierte sie sich in der internationalen Friedensbewegung.

2014 gedachte das offizielle Österreich Suttner anlässlich ihres 100sten Todestages. Die Annexion der Krim durch Russland lag nur wenige Monate zurück. Bundeskanzler Werner Faymann rühmte Suttners „visionäre Rolle“ als „Pionierin des Pazifismus‘“. Und der damalige niederösterreichische Landeshauptmann, Erwin Pröll, meinte, die Ereignisse in der Ukraine würden zeigen, „dass Friede und Freiheit keine Selbstverständlichkeit seien und jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden müssen“. Aber: Hätte „die Pionierin des Pazifismus“ die russischen Truppen aufhalten können? Im Jahr 2014 oder nun im Jahr 2022?

Ende der Naivitäten

Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine bedeutet für den Pazifismus (und dessen Ablehnung von Waffengewalt) eine Zäsur. Das zeigt sich vor allem in Deutschland, wo die Friedensbewegung – getragen von linken Gruppen, Grünen und Kirchen – eine lange Tradition hat. Bei Demonstrationen sieht man dieser Tage nicht nur Banner mit Friedenstauben, sondern auch Plakate, auf denen Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert werden – was aus pazifistischer Sicht einem Verrat an früheren Überzeugungen gleichkommt.

Die bürgerliche deutsche Tageszeitung „Die Welt“ schreibt: „Die Friedensbewegung ringt um eine politische Reife, die sich emanzipiert von den Naivitäten früherer Friedensproteste. Von einem Gratispazifismus, der sich Kriegen empfahl, die weit, weit weg waren.“ Und selbst die linke „taz“ argumentiert, die Waffenlieferungen der deutschen Bundesregierung würden „das Recht der Ukrai­ne­r:in­nen auf Verteidigung erhalten“.

Es ist eine späte Einsicht vieler Pazifisten: Manchmal benötigt man Waffen, um Frieden und Freiheit zu schaffen. Das Gandhi-Prinzip der Gewaltlosigkeit führt zum Untergang. Oder wie auf einem Plakat bei einer Friedensdemo zu lesen war: „Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet der Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, gibt es keine Ukraine mehr.“

Pazifistische Neutralität

Das neutrale Österreich liefert keine Waffen. Stattdessen stellte Kanzler Karl Nehammer der Ukraine „Schutzausrüstung, 10.000 Helme und Treibstoff“ in Aussicht, mit dem Hinweis, diese seien für Zivilisten vorgesehen. Die Ukrainer werden auf unsere neutralitätspolitischen Zwänge sicher Rücksicht nehmen und den Treibstoff keinesfalls für Militärfahrzeuge nutzen. Im Grunde entspricht dieses Lieferprogramm unserem traditionellen Neutralitätskonzept: offiziell neutral, aber in der Praxis doch nicht so ganz.

Man kann behaupten: Seit 1955 betreibt die Republik Österreich eine Art pazifistische Neutralität, obwohl sie verfassungsmäßig zu einer militärisch abgesicherten verpflichtet ist. Das Bundesheer erhielt zwar Waffen, aber nie genug. Die Eurofighter sind eine Flugpolizei, sicher keine Luftwaffe. Panzer und Artillerie wurden auf ein Minimum reduziert. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine löst offenbar ein Umdenken aus. Das Budget für das Heer wird signifikant erhöht. Und auch die Spitze der österreichischen Grünen anerkennt, dass das Bundesheer in erster Linie eine Armee sein sollte, und nicht eine mittelmäßig bewaffnete Feuerwehr.

Angesichts des nur wenige hundert Kilometer entfernten Krieges lernen wir: Pazifismus ist eine noble Idee, Landesverteidigung eine unverzichtbare staatliche Aufgabe.

Gernot Bauer

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.