Der Andrä aus Tirol

Landwirtschaftsminister Rupprechter: Der Andrä aus Tirol

ÖVP. Weltbürger und Herz-Jesu-Missionar - wie der neue Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter die Welt sieht

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Die Gummiwurst der Obrigkeit bekam Andrä Rupprechter zwar nicht zu spüren, Kälte und Nässe im Zeltlager allerdings schon. Im Dezember 1984 hatten hunderte Umweltschützer, darunter der aus dem Tiroler Brandenberg stammende 23-jährige Student der Universität für Bodenkultur, die Hainburger Au bei Stopfenreuth besetzt – bis Polizeiregimenter aus der Bundeshauptstadt gegen die Demonstranten vorgingen. Donnerstag vergangener Woche traf Rupprechter einen der Anführer des Protestes wieder. Gerhard Heilingbrunner, damals Hochschülerschaftsfunktionär, heute Präsident des Umweltdachverbands, übergab vor dem Regierungsgebäude am Wiener Stubenring die Petition „Rettet die Blumenwiesen!“ an den frisch angelobten Bundesminister für Landwirtschaft und Umwelt.

Bisher war Rupprechters Name nur in den Zirkeln von ÖVP-Bauernbund, EU-Beamtenschaft und Tiroler Volkspartei geläufig. Seinen rasant erhöhten Bekanntheitsgrad verdankt er weniger dem neuen Job als der seltsamsten Amtseinführung seit der Angelobung eines gewissen „Benito“ Ferrero-Waldner zum Außenminister im Februar 2000. Bundespräsident Heinz Fischer wirkte Montag vergangener Woche einigermaßen erstaunt, als der Tiroler der Gelöbnisformel das Bekenntnis „So wahr mir Gott helfe und vor dem Heiligen Herzen Jesu Christi“ anschloss – wenn auch holpriger und nervöser als von Rupprechter wohl selbst erwartet.

In seinen ersten Minuten im Amt tat der Landwirtschaftsminister, abgesehen vom Jodeln, so ziemlich alles, um das Bild des tief verwurzelten Tirolers zu vermitteln. So hielt er nach der Angelobung den gesamten Regierungstross auf den wenigen Metern von der Präsidentschaftskanzlei ins Bundeskanzleramt auf, um der aus Brandenberg angereisten Schützenkapelle den Marsch „Dem Land Tirol die Treue“ zu dirigieren.
Die Geister, die er rief, wurde er nicht mehr los. In Antrittsinterviews musste Rupprechter seine religiöse Formel erörtern – und nicht Almen-Vermessungen, Agrarförderungen oder Bienensterben. Gegen Ende der Woche resümierte er von Innsbruck aus beinahe trotzig: „In Wien wissen sie mittlerweile, dass ich da bin. Ich freue mich, dass eine Woche vor Weihnachten das Herz Jesu so intensiv diskutiert wird.“

Dass die „Tiroler Tageszeitung“ („Nun regiert in Wien wieder das Klischee vom Älpler aus dem Herrgottswinkel“) Rupprechters Auftritt heftiger kritisierte als die Hauptstadtmedien, irritiert den neuen Minister nachhaltig: „Ich habe über 20 Jahre in Wien gelebt, bin jetzt sieben Jahre in Brüssel gewesen. Ich spreche Deutsch, Französisch, Englisch und leidlich Niederländisch. Ich empfinde mich auch als Weltbürger.“ Auch Rupprechters früherer Vorgesetzter, Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, korrigiert das Bild vom reaktionär-religiösen Andrä aus Tirol: „Rupprechter als Provinzler darzustellen, ist völlig verfehlt.“

Im Gegensatz zu Michael Spindelegger und dessen Umfeld ist Rupprechter kein Mitglied im christlich-konservativen Cartellverband. Und in seiner Antritts­rede im Parlament vergangenen Dienstag bekannte er, bei der Präsidentenwahl 1986 für Freda Meissner-Blau gestimmt zu haben und auch sonst mit den Ökos zu sympathisieren: „Ich bin ein Grüner der ersten Stunde.“

Die Dreifachkombination „Christ – Bauernbub – Tiroler“ brachte Rupprechter freilich zwangsläufig zur ÖVP. Schon der ­Vater war Bürgermeister in der Heimatgemeinde Brandenberg. In Tiroler ÖVP-Kreisen galt Rupprechter immer als Personalreserve. Schon 1996 kandidierte er für die EU-Wahl. Die Landeshauptmänner Wendelin Weingartner und Herwig van Staa brachten ihn regelmäßig für politische Ämter ins Spiel.
Auch wenn die Bestellung des neuen Landwirtschaftsministers nicht Folge einer schlüssigen Personalrekrutierung, ­sondern eines typisch schwarzen Machtverteilungskampfs war – professionelle Headhunter hätten den 52-jährigen Rupprechter dank dessen Expertise wohl ebenfalls auf die Shortlist für Ministerkandidaten gesetzt. Der Tiroler war Mitverhandler des Landwirtschaftskapitels beim EU-Beitritt, Kabinettsmitarbeiter bei Franz Fischler, Sektionschef im Landwirtschaftsministerium, Leiter der Direktion Landwirtschaft im Rat der EU. Im April wäre er zum Generalsekretär des Ausschusses der Regionen und damit zum höchsten EU-Beamten Österreichs aufgestiegen.

In Brüssel perfektionierte der brachial-joviale Rupprechter („Ich komme jederzeit gerne mit meinen Schützen“) sein Networking. Er organisierte Ausstellungen von Tiroler Künstlern, promotete die Genuss-Region Wildschönau samt dem Rübenschnaps Krautinger und lud Agrarpolitiker von EU-Beitrittskandidaten schon zum Jägerball nach Wien ein, als sich sonst noch niemand für sie interessierte. In Tirol stieg er zum Lokal-Semipromi auf – gewürdigt in regelmäßigen Society-Berichten: Rupprechter bei der Schleppjagd, Rupprechter mit Brandenberger Musikanten bei Sepp Forcher, Rupprechter im Hochzeitsglück 2009 in Alp-bach mit allerlei politischer Prominenz.

Wenn sich Sachkenntnis, Kommunikationstalent und Netzwerk-Meisterschaft vereinen, fehlt eigentlich nur noch eines für den trittsicheren Aufstieg in die Politik: Selbstbewusstsein. Während die neue Familienministerin Sophie Karmasin bei der Angelobung versonnen dreinblickte wie Prinzessin Charlene bei ihrer Hochzeit mit Fürst Albert von Monaco, bewegte sich Rupprechter im Maria-Theresien-Zimmer der Präsidentschaftskanzlei wie ein altgedienter Maiordomus. „Selbstzweifel habe ich an ihm eigentlich nie bemerkt“, sagt Franz Fischler. Wer auch immer von der Kür des neuen Landwirtschaftsministers überrascht war – Rupprechter war es nicht. Nach Michael Spindeleggers telefonischem Angebot brauchte er – kein Zauderer (Warum ich?), sondern Zupacker (Warum erst jetzt?) – nur fünf Minuten für die Antwort.

Im Parlamentsklub der ÖVP führte sich Rupprechter wallnöferesk polternd ein. Erst kam er 15 Minuten nach Sitzungsbeginn, dann schnappte er sich sofort das Mikrofon und hielt ungebeten eine Begrüßungsansprache. Rupprechters Antrittsrede im Plenum führte nicht nur bei oppositionellen, sondern auch bei eigenen Abgeordneten zu Zeitkontrollen.

Die Euphorie zu Amtsantritt und das Aufsehen um sein Herz-Jesu-Gelöbnis verleiteten Rupprechter vergangene Woche gar zum Vergleich mit der weltweit mächtigsten Protestantin. Auch „Frau Merkel“ habe bei ihrer Angelobung eine religiöse Zusatzformel verwendet.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.