Laut­stärken­regler

Laut­stärken­regler: ­Gebärden­sprach­dolmetscher im Parlament

Parlament. Wie übersetzt man „Negerkonglomerat“? Ein Besuch bei Gebärdensprachdolmetschern

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Natürlich hat sich Christian Bruna so seine Gedanken gemacht – für den Ernstfall. Nachdem FPÖ-Mandatar Andreas Mölzer die Liste der Synonyme für die EU um „Negerkonglomerat“ erweitert hatte, musste man vergangene Woche damit rechnen, dass der Begriff auch in den aktuellen Nationalratssitzungen thematisiert würde. Bruna ist diplomierter Gebärdensprachdolmetscher und kommt regelmäßig im Parlament zum Einsatz. „Neger“ lässt sich präzise in politisch nicht korrekter Gebärde dolmetschen: mit der Andeutung einer dicken Lippe. Bruna: „Als Dolmetscher übersetze ich Begriffe so, wie sie gemeint sind. Was ich mir selbst dabei denke, ist völlig belanglos.“

Grünabgeordnete Helene Jarmer gebärdet aktuelle Begriffe der Innenpolitik

Seit 2009 werden Sitzungen des Nationalrats simultan in Gebärdensprache gedolmetscht. Die Dolmetscher stehen erhöht hinter Rednerpult und Regierungsbank, neben dem Nationalratspräsidenten. Zielpublikum sind gehörlose Menschen, die so Parlamentsdebatten via ORF mitverfolgen können. Zielperson vor Ort ist Helene Jarmer, 42, grüne Abgeordnete, seit einem Unfall im Kleinkindesalter gehörlos. Jarmers legendärer Rat an parlamentarische Zwischenrufer: „Schreien nützt bei mir nichts.“
Wer bei Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften in Gebärdensprache dolmetscht, sollte eine Ahnung davon haben, was „Verlustvorträge“, „Entlastung des Vorstands“ oder „Ebit“ bedeuten. Gebärdensprachdolmetscher im Parlament müssen das politische System im Detail kennen. Und sie sollten thematisch firm sein – wenn etwa wie vergangene Woche das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA debattiert wird. Dolmetscherin Elke Schaumberger: „Wenn ich nicht weiß, was TTIP ist, komme ich ins Schwimmen.“

„Rosinen aus dem Feuer holen“
Die Abgeordneten am Rednerpult gewöhnten sich rasch an die Dolmetscher. Nicht immer fällt es dagegen den Dolmetschern leicht, sich an Abgeordnete zu gewöhnen. Schnellsprecher wie Susanne Riess oder Eva Glawischnig waren und sind eine Herausforderung, Schnellsprecher mit Neigung zu sprunghaftem Themenwechsel eine doppelte. Auch wenn die Dolmetscher diskret über Problemfälle schweigen – Herbert Haupt dürfte ein Alptraum gewesen sein. Der frühere FPÖ-Chef, Sozialminister, Vizekanzler und Behindertenanwalt verlor sich nicht nur in geschwurbelten Schachtelsätzen, sondern verhaspelte sich auch metaphorisch, wenn er etwa „Rosinen aus dem Feuer holen“ wollte.

Angenehmer sind gute Redner mit klaren Sätzen und inhaltlicher Spurtreue wie Ex-SPÖ-Klubobmann Josef Cap, der ehemalige Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle oder der frühere Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Der ehemalige FPÖ-Abgeordnete Peter Fichtenbauer, nunmehr Volksanwalt, sprach zwar klar und langsam – eingewobene Zitaten aus der Weltliteratur, gern auch auf Latein, sind in Echtzeit freilich schwer wiederzugeben. Die aktuellen Koalitionschefs, Werner Faymann und Michael Spindelegger, sind aus Dolmetschersicht keine Problemkandidaten. Und Bundespräsident Heinz Fischer lässt sich dank Tempo und Aufbau seiner Reden ebenfalls bequem dolmetschen.

Die Frisur des Bundespräsidenten
Übersetzbar ist alles: von „Bienensterben“ (leicht) über „ÖVP-Obmanndebatte“ (historisch gewachsen) bis „situationselastisch“ (wird – weil verständlicher – in Gebärdensprache mit „situationsflexibel“ übersetzt). Mitunter übernehmen die Dolmetscher Gebärden, die Helene Jarmer für gewisse Begriffe verwendet.
Namen von Politikern werden prinzipiell buchstabiert, außer es handelt sich um ikonische wie „Pilz“ oder „Fischer“. Nicht für den parlamentarischen, aber für den privaten Gebrauch existieren Spitznamen. Einer für den Bundespräsidenten etwa zielt auf dessen an manchen Tagen beeindruckende Frisur ab.
Sind schon Politiker vielfach Schauspieler, müssen ihre Dolmetscher umso bessere sein. Rhetorische Figuren wie Ironie, Spott oder Hohn gibt ein Simultan­übersetzer mimisch und gestisch wieder – ebenso Emotionen des Redners. Phlegma lässt sich dabei leichter darstellen als ­Enthusiasmus. So verlangt NEOS-Chef Matthias Strolz in seiner Louis-de-Funès-energischen Quirligkeit auch dem Gebärdensprachdolmetscher Ganz­körper-Be­geis­terung ab.

Manche Dolmetscher aus dem Pool des Parlaments arbeiten bisweilen für Helene Jarmer persönlich. Im Plenum sitzen sie neben der Abgeordneten, dolmetschen bei Gesprächen mit Mandataren, übersetzen Zwischenrufe oder nehmen Telefonate an. Hält Jarmer eine Rede, sitzt ihr Dolmetscher mit Mikrophon vor dem Pult und übersetzt mit Rücken zum Plenum. Jarmer hat einen impulsiven Charakter, entsprechend temperamentvoll legt es der Dolmetscher an. Jarmer: „Damit das Zusammenspiel funktioniert, müssen mich meine Dolmetscher und Dolmetscherinnen kennen. Sie brauchen hohe Empathiefähigkeit.“ Vor einer Rede wird der Text abgeklärt. Dank der stenographischen Protokolle kann Jarmer im Nachhinein überprüfen, wie exakt ihre Rede übersetzt wurde.

Natürlich würden Jarmers Dolmetscher allfällige Beleidigungen präzise und in voller Schärfe übersetzen, auch solche, die per Geschäftsordnung zu ahnden sind – von „Lügner“ bis „Rosstäuscher“. Im Verlauf ihrer fünfjährigen Parlamentskarriere hat Jarmer freilich noch keinen Ordnungsruf erhalten.

Fotos: Sebastian Reich für profil

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.