Häuserkampf

Mietrecht: Gesetzesreform ist schon wieder gescheitert

Mietrecht. Die geplante Reform des absurden Gesetzes ist schon wieder gescheitert

Drucken

Schriftgröße

Ein paar Dutzend arbeitslose Jugendliche hatten ihren Spaß, exakt 1454 Polizisten vermutlich auch. Niemand wurde ernsthaft verletzt, den Schaulustigen bot sich ein abwechslungsreiches Programm. So gesehen war die Räumung der "Pizzeria Anarchia“ am 28. Juli dieses Jahres ein gelungener Event. Leider lässt sich eine Sause dieser Größenordnung nicht beliebig oft wiederholen. Wie die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage in der Vorwoche ergab, kostete das Happening im zweiten Wiener Gemeindebezirk die Kleinigkeit von 870.000 Euro. Dafür aufkommen muss höchstwahrscheinlich der Steuerzahler.

Veraltetes Gesetz
Nötig geworden war die Räumung, weil die Besitzer des baufälligen Zinshauses ein paar Punks einquartiert hatten, um die restlichen Mieter zum Auszug zu bewegen. Doch statt ihre neuen Nachbarn wie vereinbart zu terrorisieren, freundeten sich die Punks mit den Mietern an und wollten ebenfalls nicht mehr gehen. Die Staatsgewalt musste einschreiten - in voller Mannstärke. Viel war anschließend von der Gier der Immobilienspekulanten die Rede, die in ihrem Profitstreben vor gar nichts zurückschrecken. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Mitschuld an solchen Auswüchsen trägt auch ein Mietrechtsgesetz (MRG), das in seinen wesentlichen Eckpunkten fast 100 Jahre alt ist und für die Realität einfach nicht mehr taugt.

Welches juristische Notstandsgebiet das Mietrecht darstellt, kann jeder feststellen, der auch nur die vier Absätze von Paragraf 1 MRG zu lesen versucht. Aufreizend detailverliebt geht es darin um die Frage, für wen das Gesetz überhaupt gilt - und das ist beileibe nicht jeder Bürger, der zur Miete wohnt oder eine Wohnung vermietet. Volle Gültigkeit hat das MRG nur in Häusern, die vor 1953 errichtet wurden, sowie in vermieteten Eigentumswohnungen, deren Baubewilligung vor 1945 erteilt wurde. Für Immobilien jüngeren Datums und für den sozialen Wohnbau gilt das MRG nur teilweise. Quasi im rechtsfreien Raum hausen dagegen jene Mieter, deren Bleibe in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen liegt - wobei ein Dachausbau nicht extra zählt.

"Man müsste ein großes Schwert nehmen"
Es gibt wohl nur wenige Menschen, die sich bei der Wohnungssuche strikt am Baujahr oder an der Zahl ihrer Nachbarn orientieren. Welche Rechte, Pflichten oder auch Privilegien für wen gelten, ist also reiner Zufall. Das macht insofern nichts, als der Laie ohnehin nicht versteht, was da so alles im Gesetz steht. Die Bestimmungen des MRG seien so kompliziert formuliert und konstruiert, "dass sie sich selbst für den an juristische Texte gewöhnten Leser in ihrer Bedeutung oft nur mühselig erschließen“, schrieb Johannes Stabentheiner, zuständiger Sektionschef im Justizministerium, in einem Kommentar vor zwei Jahren. Seither hat sich seine Meinung nicht geändert. "Ein paar kleinere Korrekturen am MRG reichen nicht. Man müsste ein großes Schwert nehmen, um den gordischen Knoten zu zerschlagen“, findet er. Der Innsbrucker Zivilrechtsprofessor Andreas Vonkilch sieht das genau so und beklagt die "Drei-Klassen-Gesellschaft“, die vom Mietrecht geschaffen werde. "Es gibt Mieter mit Vollkasko-, andere mit Teilkaskoversicherung und solche, die gleichsam in der freien Wildbahn leben.“

Praktisch alle Experten sind sich einig, dass eine grundlegende Reform des MRG dringend notwendig wäre. An brauchbaren Vorschlägen mangelt es nicht, und im Regierungsprogramm steht das Vorhaben ebenfalls. Justizminister Wolfgang Brandstetter kündigte deshalb gleich nach Amtsantritt einen "größeren Wurf“ an. Die Empfehlungen der (noch von seiner Vorgängerin Beatrix Karl eingesetzten) Expertengruppe würden im Herbst vorliegen. Danach könne man mit der legistischen Umsetzung beginnen.

"Jede Seite hat nur gemauert"
Brandstetter bemühte sich redlich. Doch schon bald zeigte sich, dass die Meetings der Arbeitsgruppe genau gar nichts brachten. "Wir haben uns fünf- oder sechsmal getroffen. Aber jede Seite hat nur gemauert“, berichtet etwa Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte der Arbeiterkammer. Martin Prunbauer, Präsident des Österreichischen Haus- und Grundbesitzerbunds (ÖHGB), bilanziert etwas eleganter, kommt aber zu dem gleichen Schluss: "Es war interessant. Man hat viel gelernt über die Position des jeweils anderen.“

Der Justizminister wollte sich dieses Theater nicht länger anschauen und lud die Damen und Herren Interessensvertreter zuletzt nur noch einzeln zum Gespräch. Seit einer Woche ist klar, dass auch das nicht hilft. Leider sei in keinem einzigen Punkt Konsens erzielt worden, heißt es aus dem Ministerium. Deshalb ist die Arbeitsgruppe nun offiziell Geschichte. Weiterverhandelt werde ab sofort auf politischer Ebene, also zwischen den Bautensprechern von ÖVP und SPÖ - die sich schon bisher nicht einigen konnten. Ruth Becher, für die SPÖ zuständige Parlamentarierin, verspricht immerhin, dass sie offen in die Debatte gehen werde. "Wir können über alles reden. Beide Parteien haben ein Interesse, dass wir zu einer Lösung kommen.“

Die Mietrechtsreform beginnt damit aber praktisch wieder bei null. Wolfgang Brandstetter strandete, wie seine Vorgänger, im ideologischen Häuserkampf.

Oberster Gerichtshof mit widersprüchlichen Urteilen
In kaum einem anderen Bereich lässt sich die Selbstblockade der heimischen Politik so gut besichtigen wie beim Thema Wohnen. Seit Jahren gelingt es etwa nicht, die Frage zu klären, wer den Austausch einer kaputten Warmwassertherme bezahlen muss. Der Oberste Gerichtshof fällte zu dieser Thematik mehrere, teils widersprüchliche Urteile: Der Mieter könne für eine schadhafte Therme eine Mietzinsreduktion verlangen, hieß es einmal. Lässt der Mieter die Therme aber auf eigene Kosten austauschen, muss er wieder den vollen Zins bezahlen, lautete ein anderer Spruch. Die Rechtslage sei "unbefriedigend“, klagte der OGH vor ein paar Monaten. Doch dies sei "nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung“. Angeblich soll es demnächst eine politische Einigung geben.

Die insgesamt 59 Paragrafen des MRG verlieren auch kein Wort darüber, in welchem Zustand ein Mieter die Wohnung bei seinem Auszug zurückgeben muss. Das führt zu teilweise abenteuerlichen Vertragskonstruktionen, heftigen Streitereien um die Rückgabe der Kaution und Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten. Die Einzigen, die vom Mietrecht in seiner aktuellen Fassung wirklich profitieren, sind Rechtsanwälte mit einschlägigem Fachgebiet. Ihre Geschäfte könnten kaum besser laufen.

Wohnen wird immer teurer
Mit der maximal zulässigen Höhe der Mieten befasst sich das Gesetz zwar sehr ausführlich - aber offenbar vergeblich. Wohnen wird immer teurer. Dass die Inflationsrate in Österreich fast dreimal so hoch ist wie im Schnitt der Euro-Länder, liege zu einem großen Teil an den gestiegenen Mieten, erklärte die Statistik Austria erst vor ein paar Tagen zum wiederholten Mal. Dabei geben die Zahlenkolonnen die Dramatik nur unscharf wieder. Etwa die Hälfte der heimischen Mieter lebt in Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen. Ihre vergleichsweise niedrigen Mieten senken den Schnitt erheblich. Nicht ausgewiesen wird von der Statistik auch, wie ungerecht die Last verteilt ist: Es gibt, vor allem in Wien, stuckverzierte Altbauparadiese, deren Bewohner - dank MRG - pro Quadratmeter weniger zahlen als die Mieter in einem durchschnittlichen Gemeindebau. Aber solche Privilegien muss man quasi erben. Allen anderen bleibt der freie Markt, auf dem es überhaupt keine Beschränkungen gibt.

Für Wohnungen in Altbauten gilt seit 1994 das sogenannte Richtwertsystem, das den maximalen Preis pro Quadratmeter festlegt. Klingt simpel, ist aber eine Wissenschaft, gegen die sich die experimentelle Mathematik wie ein Vorschulprogramm ausnimmt. Für eine gute Lage, ein höheres Stockwerk, die Existenz eines Kellerabteils oder eines Fahrradraums und andere Vorzüge können nämlich Zuschläge verrechnet werden. Leider steht nirgends, welches Extra wie viel bringt. Vermieter tendieren dazu, etwas großzügiger zu rechnen. Ein Teil der Mieter lässt sich das nicht gefallen und beeinsprucht den Zins bei der Schlichtungsstelle. So haben alle etwas zu tun.

Wohnen ist ein Grundrecht
Allerdings gelingt es auch Experten nicht ohne Weiteres, den angemessenen Preis herauszufinden. Bei einer Studie über das Richtwertsystem entdeckte die Arbeiterkammer vor vier Jahren den Fall einer 80 Quadratmeter großen Wohnung, deren gesetzeskonformer Mietzins von drei Gerichtsinstanzen drei Mal verschieden hoch berechnet worden war.

Wohnen ist ein Grundrecht. Es gibt also durchaus Gründe, die Preisgestaltung nicht dem Markt alleine zu überlassen. Die deutsche Regierung - bekanntlich ebenfalls eine Große Koalition - beschloss vor Kurzem eine Mietpreisbremse. Auch diese Regelung ist kompliziert und muss den Realitätscheck erst bestehen. Doch immerhin konnten sich CDU und SPD auf eine gemeinsame Maßnahme verständigen.

Im sozialpartnerschaftlichen Österreich gibt es zwar den kollektiven Wunsch nach einer Vereinfachung der Gesetzeslage - ansonsten aber nur liebevoll gepflegte Extremstandpunkte. "Wir wünschen uns eine möglichst weit gehende Liberalisierung. Jede Einschränkung behindert den Markt“, meint etwa Martin Prunbauer von der Vereinigung der Hausbesitzer. Arbeiterkammer und Mietervereinigung fordern dagegen eine gesetzliche Deckelung der Mieten bei höchstens 20 Prozent über dem Richtwert.

Verwandtschafts-Begünstigungen
Am billigsten wohnt, wer das Glück hat, einen Mietvertrag zu ergattern, der vor mehr als 20 Jahren abgeschlossen wurde. Aufgrund der großzügigen Eintrittsrechte laut MRG können längst erwachsene Kinder, Enkel und Geschwister die günstigen Verträge ihrer Verwandtschaft übernehmen. Der Vermieter darf dann zwar den Zins erhöhen - aber höchstens auf 3,43 Euro netto pro Quadratmeter.

Besitzt man ein ganzes Zinshaus mit solch engen Familienbanden, ist es ziemlich schwer, damit Geld zu verdienen. Der Wiener Peter Bruckner (Name von der Redaktion geändert) gehört zu jenen Vermietern, die so gar nicht ins Klischee vom reichen Immobilienhai passen wollen. Für rund 1100 Quadratmeter Wohn- und Lagerfläche in seinem Zinshaus bekommt er pro Monat insgesamt 2600 Euro Miete - im Schnitt also 2,36 pro Quadratmeter. Viele seiner Mieter haben alte Verträge und zahlen nur den Kategoriemietzins (siehe Kasten). "Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass so ein Haus auf jeden Fall ein Geschäft ist“, sagt Bruckner. "Größere Reparaturen gehen sich bei uns oft jahrelang nicht aus.“

Trotzdem bekomme er regelmäßig Anrufe von Immobilienfirmen, die gerne das Haus kaufen würden. Weil er selbst darin wohnt, steht das nicht zur Debatte. Aber Bruckner kann sich lebhaft vorstellen, was ein neuer Eigentümer tun würde: "Der würde natürlich versuchen, die Mieter rauszuekeln."

Die Punks von der "Pizzeria Anarchia“ wären im Moment vielleicht verfügbar.

Infobox

Friedenskrone und Richtwert

Seit fast 100 Jahren versucht der Gesetzgeber, den Wohnungsmarkt zu regulieren.

Im Jahr 1917 traten die ersten Verordnungen zum Mieterschutz in Kraft, fünf Jahre später das erste Mietengesetz (MG). Wichtigster Bestandteil war der "Friedenszins“, eine Mietpreisregulierung, die 30 Jahre später vom "Friedenskronenzins“ abgelöst wurde. Wohnen wurde durch diese Maßnahmen sehr billig, für private Eigentümer lohnte sich das Vermieten allerdings kaum noch.

Nach vielen kleineren Änderungen trat 1982 das neue Mietrechtsgesetz (MRG) in Kraft. Es übernahm zahlreiche Bestimmungen des MG - etwa den Kündigungsschutz - und führte als Preisbremse das System der Kategoriemietzinse ein. Je nach Ausstattung einer Wohnung (von A wie sehr gut bis D wie Substandard), aber unabhängig von der Lage durften nur noch die festgesetzten Mietzinse verlangt werden. Kategoriemieten gibt es noch heute. Für Kategorie A zahlt man derzeit 3,43 pro Quadratmeter, für Kategorie D 0,86 Euro.

Die letzte große Novelle datiert aus dem Jahr 1994, als für Neuvermietungen das Richtwertsystem eingeführt wurde. Die Richtwerte sind in den Bundesländern unterschiedlich hoch. Im Burgenland liegt der Wert bei 4,92 Euro pro Quadratmeter, in Vorarlberg bei 8,28 Euro. Wien ist mit 5,39 Euro im Mittelfeld. Außerdem gibt es Zu- oder Abschläge - etwa für die Lage, das Stockwerk oder die Ausstattung des Hauses.

Rosemarie Schwaiger