Migrationsforscher Perchinig: "Schreiende Ungerechtigkeit"

Migrationsforscher Bernhard Perchinig über den Zufall der Geburt, die Mobilität der Superreichen und wertvolle Reisepässe.

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profil: Finden Sie es schlimm, dass man eine Staatsbürgerschaft kaufen kann? Bernhard Perchinig: Das Problem ist, dass damit sowohl Niederlassungsrechte wie das Wahlrecht verknüpft sind als auch Mobilitätsrechte, zum Beispiel visafreies Reisen. Wenn wir uns darüber aufregen, dass das für Geld zu haben ist, meinen wir vor allem das Wahlrecht. Das darf man tatsächlich nicht verkaufen.

profil: Den Superreichen geht es weniger darum, in Malta oder Österreich das Parlament zu wählen. Sie wollen bloß unbehelligt um den Erdball reisen und investieren. Perchinig: Wenn jemand sich einen Reisepass aus einem EU-Land zulegt, weil es in manchen Gegenden gefährlich ist, mit einem US-Pass unterwegs zu sein oder man mit bestimmten Reisepässen kein Visum erhält, wird die Staatsbürgerschaft zur Versicherungspolizze. Denkt man das weiter, könnte man die Staatsbürgerschaft vielleicht splitten, um das Reisedokument zu verkaufen, ohne das Recht auf politische Teilhabe zu veräußern.

profil: Wie soll das gehen, eine Staatsbürgerschaft ohne Wahlrecht? Perchinig: Man müsste das Wahlrecht stärker an die Residenz binden, sprich an einen nachgewiesenen Aufenthalt, so wie das in einigen Ländern schon der Fall ist. In Großbritannien verfällt das Wahlrecht, wenn man länger als 15 Jahre nicht im Land lebt.

Wer in einem westlichen Land zur Welt kommt, ist unter allen Umständen besser dran als jemand aus einem krisengebeutelten, armen Staat.

profil: Ist es nicht extrem unfair, dass Reiche jede Art von Mobilität bekommen und Arme nicht? Perchinig: Absolut, die Staatsbürgerschaft ist Ausdruck einer schreienden globalen Ungerechtigkeit. Im 19. Jahrhundert bestimmte vor allem die Klassenzugehörigkeit über die Lebenschancen, heute ist es zu 80 Prozent der Zufall der Geburt. Wer in einem westlichen Land zur Welt kommt, ist unter allen Umständen besser dran als jemand aus einem krisengebeutelten, armen Staat. Und weil Menschen, die Geld haben, viel mobiler sind als jene, die Migration dringend brauchen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern, wird die Kluft größer. Da muss ein Ausgleich her.

profil: Haben Sie eine Idee, wie der zu bewerkstelligen wäre? Perchinig: Darüber denke ich im Moment intensiv nach. Mein Vorschlag wäre, das Geld, das reiche Migranten für wertvolle Pässe ausgeben, in globale oder europäische Fonds zu stecken, um damit armen Migranten zu helfen, beginnend mit Rettungsaktionen im Mittelmeer bis hin zu Integrationsmaßnahmen am Arbeitsmarkt. Das wäre zumindest ein Beitrag, um die globale Ungerechtigkeit zu mildern.

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges