Minimal Art

Minimal Art: Kunst und Kultur spielen im Wahlkampf keine Rolle

Debatte. Kunst und Kultur spielen im Wahlkampf keine Rolle

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Jene Zukunft, die Michael Spindelegger auf seinen Wahlplakaten so zuversichtlich willkommen heißt, hat mit Kultur offenbar nicht viel zu tun. Und auch Werner Faymann hatte, als er seinen staatstragenden aktuellen Posterspruch absegnete („Stürmische Zeiten. Sichere Hand“), die prekäre Situation vieler Kunstschaffender wohl eher nicht im Blick. Denn es fällt auf, dass die Programme, mit denen die vier größten Parteien in den Kampf um die Nationalratswahl 2013 gegangen sind, um Kulturthemen einigermaßen verlegen sind.

So widmete die SPÖ bloß vier ihrer „111 Projekte für Österreich“ dem Thema (noch dazu unter dem fadenscheinigen Titel „Kultur für alle“), während die ÖVP nicht einmal ganz eine Seite von immerhin 85 unter das Binsenmotto „Kunst und Kultur: Vielfalt und Freiheit“ stellte. Viel besser gelang es aber auch der Opposition nicht, ihr Kunstverständnis zu illustrieren: Die FPÖ bricht in ihrem Wahlprogramm in wenigen Sätzen eine Lanze für die „reichhaltige abendländische Kultur“ und den Schutz „unserer Muttersprache“; die Grünen erörtern ihre Vorstellungen auf gerade drei von 130 Seiten („Priorität in der Kunst- und Kulturpolitik: Vielfalt ermöglichen“), und im Wahlprogramm des BZÖ findet sich dazu kein Wort.

Dabei ist die Kunst alles andere als ein Orchideen- und Schöngeisterfach; sie setzt sich bekanntlich mit sozialen und politischen Zusammenhängen ebenso vehement auseinander wie mit den vielfältigen Symptomen der globalen Finanz- und Moralkrise – und sie ist, vom Neujahrskonzert bis zur Oscar-Produktion, nichts weniger als ein gewichtiger internationaler Wirtschaftsfaktor. Es wäre also durchaus vernünftig, auch in Wahlkampfzeiten über Wege und Möglichkeiten zu sprechen, Österreichs kulturelle Landschaft zu schützen, zu betreuen, fruchtbar zu erhalten.
Aber genau dies passiert nicht. Wenigstens nicht dort, wo eine interessierte Öffentlichkeit die Chance hätte, sich informieren zu lassen – also in Wahlkampfveranstaltungen, Fernsehdebatten oder Online-Foren. Stattdessen regiert, als dürfte man mit der Kunst nur ja niemanden überfordern, überall der Kultur-Gemeinplatz. SPÖ, FPÖ und ÖVP pochen daher gleich zu Beginn ihrer Einlassungen großspurig auf die „Freiheit der Kunst“ – als sei dies nicht ohnehin demokratiepolitischer Konsens. ÖVP-Kultursprecherin Silvia Grünberger erklärt dazu: „Wir erwähnen das eigens, weil an die Politik oft mit dem Wunsch herangetreten wird, in die Programme der Institutionen einzugreifen. Es muss klargestellt werden, dass etwa die Direktoren der ausgegliederten Bundesmuseen für die Wirtschaftlichkeit selbst verantwortlich sind. Auch darin besteht die Freiheit der Kunst.“

„Kulturnation Österreich“
Die Grünen wollen laut Kulturwahlprogramm „Vielfalt ermöglichen“. Die Wahrheit sei leider, „dass wir keine Vielfalt haben“, beklagt Grünen-Kultursprecher Wolfgang Zinggl; „wir haben eine Kultur der ästhetischen Leuchttürme, von Burgtheater bis Hollywood – eine Mainstreamkultur, die in den Medien auf die immergleiche Weise abgebildet wird. Kaum jemand überlegt, was uns droht, wenn die Schere zwischen dieser hochsubventionierten bürgerlichen Repräsentationskultur und der radikal unterdotierten, wesentlich breiteren Restkultur weiter aufgeht.“
Zuweilen findet sich in den Wahlprogrammen aber auch Befremdliches: Ginge es etwa nach der FPÖ, so wäre es mit der vielbeschworenen „Kulturnation Österreich“ wohl bald vorbei. Schließlich würden Künstler durch staatliche Steuerungsmechanismen wie der Kunstförderung bloß politisch instrumentalisiert – Kunst sei „vor allem Privatsache“.

Nur die Grünen scheinen die etablierten Institutionen wirklich beschneiden zu wollen: „Anstatt immer mehr Millionen in Barockmuseen, Bundestheater, Philharmoniker und Ähnliches zu stecken, werden Film, Popmusik, Kulturinitiativen und Medienprojekte ausgebaut“, verspricht man hoffnungsfroh. Wolfgang Zinggl gibt unumwunden zu, dass er Geld aus Österreichs Kulturtankern umverteilen wolle. Unrealistisch sei das übrigens nicht: Manch eine dieser Institutionen könne mit sehr viel weniger Geld auskommen, das zeigte der internationale Vergleich. „Aber anstatt zu sparen, eröffnen wir immer neue Barockmuseen und Festspiele.“ Mit ihrem Wunsch, die Sammlungen und Aufgabenbereiche der Bundesmuseen neu zu ordnen, könnten sich die Grünen jedoch in die Nesseln setzen; denn gerade im Bereich der Sammlungen nähme man damit nicht nur doppelte Inventarnummern, sondern auch aufwändige Standortveränderungen und endlosen Direktorenkrach in Kauf.

Es sieht so aus, als ob kulturpolitische Debatten nur im Skandalfall an die Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung gespült, lediglich ex negativo thematisiert werden könnten. Als die FPÖ unter Jörg Haider 1995 mit einer Hass-Plakatserie gegen Elfriede Jelinek, Claus Peymann und Rudolf Scholten mobil machte, bekam dies auch der wenig kunstaffine Staatsbürger mit. Man muss Kunstschaffende offenbar erst an den Pranger stellen, um mit ihnen nennenswertes politisches Aufsehen zu erregen – oder man gibt sie zum ideologischen Possenspiel frei. Die Scharmützel, die sich Kunststaatssekretär Franz Morak, der Kulturzuständige der schwarz-blauen Regierung, zwischen 2000 und 2006 mit der Kunstszene lieferte, sind Legende. Nun herrscht seit Jahren Ruhe – und dies ist nur insofern ein gutes Zeichen, als Kunst-Eklats äußerst selten geworden sind. Es stimmt jedoch pessimistisch, wenn man daran die gelangweilte Distanz erkennt, mit der in den Parteizentralen Kulturthemen mitbehandelt werden: routiniert und ohne inneres Engagement. Nur in einer Hinsicht greifen die Spitzenkandidaten gern auf Künstlerinnen und Künstler zurück: Wenn diese sich in Unterstützungslisten und Personenkomitees als Stichwortgeber und Wahlempfehlungs-Animateure gebrauchen lassen.

Aufbruch und Resignation
Sonja Ablinger, die zwar noch als Kultursprecherin der SPÖ fungiert, dort aber nicht den besten Stand hat, gibt zu, dass sie im Wahlkampf „nichts anderes als sonst auch“ tue: Sie ist um direkten Kontakt mit den Kreativen bemüht, sehe sich in „vielen Institutionen“ um, „vor allem auch in den kleinen Einrichtungen“. Ablinger gilt parteiintern, da sie sich in manchen Abstimmungen dem Klubzwang nicht beugt, als so widerständig, dass sie nun mit einem schlechten Listenplatz bestraft wurde. Ihre Chance, nach der Wahl wieder in den Nationalrat zu kommen, schätzt sie allenfalls „50 zu 50“ ein. Man habe eben „mit Gegenwind zu rechnen, wenn man dem Mainstream nicht immer entspricht“, erklärt sie lakonisch – und sollte sie in wenigen Wochen aus der Politik ausscheiden, so habe sie vor, wieder als Lehrerin zu arbeiten. Aber sie halte daran fest, dass die „Breite der Positionen“, die sie in ihrer Partei leider immer öfter gefährdet sehe, eigentlich zu den traditionellen Stärken der SPÖ und daher verteidigt gehöre. Kulturelles sollte im Wahlkampf unbedingt thematisiert werden, meint Ablinger – schon des leidigen Geldes wegen. „Das Kulturbudget habe schon einmal ein Prozent der staatlichen Gesamtaufwendungen ausgemacht, inzwischen sind wir auf rund 0,6 Prozent gesunken; es sollte unser Anspruch sein, die fehlenden 0,4 Prozent wieder zurückzugewinnen.“
Wolfgang Zinggl dürfte der gegenwärtig einzige reisende Bundeskultursprecher dieses Landes sein; er sei für die Grünen gerade „auf Tournee“, erklärt er. Vergangene Woche besuchte er ausgewählte Kulturinitiativen in Oberösterreich, Kärnten und Salzburg, die ihm „nur bestätigten, was ich davor schon geahnt hatte: dass die Gelder in der Kultur völlig falsch verteilt“ seien. Er erlebe in den Bundesländern einen regelrechten Generationenwechsel und enorme Aufbruchstimmung. Das Thema Subventionen lasse manche Kunstschaffenden mittlerweile resignieren: „Sie gehen davon aus, dass da nichts zu holen sei – und arbeiten in der Kultur neben ihren Brotberufen. Kontinuität und Professionalisierung werden damit freilich verhindert. Kulturarbeit darf nicht zur Freizeitbeschäftigung verschlampen.“

In der Frage, warum Kulturarbeit im Wahlkampf praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinde, spielt Zinggl den Ball zurück. „Einige der hiesigen Medien machen seit Jahren so gut wie keine Kulturpolitik mehr“, meint er – und beschreibt einen Teufelskreis: „Der ORF etwa hat dieses Thema fahrlässig aus seinen Fernsehprogrammen gestrichen. Und natürlich agieren PolitikerInnen auch nach der Frage, was medial verbreitet werden kann. Wenn Kulturpolitik in den Medien vernachlässigt wird, wird sie entsprechend auch politisch weniger bedeutend.“

Die Marginalisierung der Kulturpolitik sei auf Wahlkämpfe keineswegs beschränkt, meint Silvia Grünberger: „Es fängt schon damit an, dass Kulturpolitisches immer erst am Ende eines Sitzungstages im Parlament an die Reihe kommt – um Mitternacht, wenn alles andere vorbei ist. Und es geht damit weiter, dass wir nur zwei Kulturausschusssitzungen pro Halbjahr haben.“ Sie glaube durchaus, „dass sich politische Parteien über Kulturpolitik profilieren könnten“.

Die amtierende Ministerin für Kunst und Kultur (siehe auch Interview hier) sei angesichts der Dominanz der Bildungsdebatten kulturell offensichtlich überfordert, meint Grünberger noch: „Ein schwieriges Aufgabengebiet wie die Bildung ist sicher sehr anstrengend. Ehrlich gesagt habe ich aber kein Mitleid – das hätte man schon damals, als die Regierung gebildet wurde, anders entscheiden können.“ Grünberger sähe es als Fortschritt, „wenn es einen eigenen Ansprechpartner nur für Kunstfragen gäbe – etwa einen Staatssekretär“. Auch für Wolfgang Zinggl ist Claudia Schmied nur der Name der Stagnation: „Sie macht die Kunstpolitik der ÖVP. Da wird keine Debatte über Umverteilung geführt. Die Kulturpolitik von SPÖ und ÖVP ist stets kuschelig – und übersieht, dass sie mit dieser Einstellung am Friedhof der Kuscheltiere begraben wird.“
Willkommen, Zukunft.

Mitarbeit: K. Cerny, W. Paterno

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer