Die Macht der Kränkung in der Politik

Reinhold Mitterlehner: Die Macht der Kränkung in der Politik

Die Macht der Kränkung in der Politik

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Die Österreicher sind ein theaternärrisches Volk. Sie sehen es gern, wenn einer auf offener Bühne stirbt. Das entspricht unserem Nationalcharakter. Und Journalisten sind Voyeure. Wir schauen gebannt zu, wenn einer im gleißenden Scheinwerferlicht seine Niederlage eingesteht. Was spiegelt sich in seinem Gesicht wider? Ist seine Stimme noch fest oder schon tonlos? Wem gibt er die Schuld?

Alles wird bemerkt, besprochen und bewertet

Reinhold Mitterlehner ließ in dieser Hinsicht am vergangenen Mittwoch nichts zu wünschen übrig. Er ist gekränkt und hat seine Bitterkeit nicht verborgen: über Parteifreunde, Medien und die SPÖ. Er brachte sogar noch Ironie ins Spiel, indem er darauf hinwies, dass er sich "der Tradition verpflichtet“ fühle. Mitterlehner spielte auf die Galerie seiner Vorgänger an, die allesamt von den eigenen Leuten mehr oder weniger grob aus ihrem Amt gemobbt worden waren. In der Zweiten Republik ist es bisher noch keinem ÖVP-Obmann gelungen, einen eleganten Abgang hinzulegen, sprich: zu gehen, bevor Stimmen laut wurden, er möge sich schleichen.

Politik ist ein seltsamer Beruf. Selbst im langweiligsten Alltag sind die Reaktionen der Öffentlichkeit bisweilen unwägbar. Ein unbedachtes Wort, ein spöttisches Kräuseln der Mundwinkel, ein ungünstiges Outfit, Achselflecken: Alles wird bemerkt, besprochen und bewertet.

Für Frauen ist das noch um einiges schlimmer als für Männer.

Die Kränkung liegt in der öffentlichen Beurteilung, in der Tatsache, dass vor aller Augen Schwächen bloßgelegt werden. Viel seltener wird die Arbeit im Hintergrund gewürdigt. Dieses Ausgestelltsein von Politikern wird manchmal mit einem Pranger verglichen. Doch der mittelalterliche Pranger war eine Strafe für ein Vergehen, für Diebstahl oder Verschwörung gegen die Obrigkeit. Heute ist das keine Strafe, sondern Alltag in einer Demokratie, in der Medien nicht von oben gegängelt werden. Politiker sind oft erst Jahre nach ihrem Ausscheiden in der Lage, darüber zu reden, was sie einst gekränkt hat.

Der Industrielle und ehemalige ÖVP-Obmann Josef Taus, der 1979 zurücktrat, sagte vor ein paar Jahren in einem profil-Interview, er habe seinerzeit eingesehen, dass er gegen Bruno Kreisky nicht ankomme. Kreisky sei einfach besser gewesen. Ein Politiker dürfe da nicht empfindlich sein. "Gesägt“ werde immer, in der Partei wie am Arbeitsplatz. Nur bei Politikern stehe es halt in der Zeitung.

"Der Funktion geschuldet"

Als der ehemalige ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel über seine Enttäuschungen und Kränkungen sprach, war ebenfalls schon Gras darüber gewachsen. 1995 war Schüssel als neuer ÖVP-Obmann wie ein Heilsbringer gefeiert, als Kanzler einer schwarz-blauen Koalition gefürchtet und nach Verlust der Kanzlerschaft von einem Teil seiner Partei geradezu gehasst worden. Schüssel sagte 2011 in einem Interview, er habe sich immer bewusst gemacht, "dass vieles an Höflichkeiten, an Zuneigung und auch an Bücklingen nur der Funktion geschuldet ist und nicht dem Menschen“. So habe er Kränkungen verkraften können.

Warum aber hatte Schüssel selbst seinen früheren Freund aus Jugendzeiten, Erhard Busek, mit dem er in der ÖVP gegen den konservativen Mief des Cartellverbandes angetreten war, im eigenen Aufstieg schmählich im Stich gelassen?

Warum hatte er zugesehen, dass Busek von seinen Parteifreunden über Monate hinweg gedemütigt wurde? Busek gab später den Kampagnen der "Kronen Zeitung“ die Schuld an seinem Scheitern. Doch in vertrautem Kreis sprach er von seiner Enttäuschung über den Verrat Schüssels und anderer Freunde. Busek litt weniger an dem Verlust der Regierungsfunktion als daran, dass sein Wissen und seine Europa-Erfahrung damals niemandem in der ÖVP etwas wert zu sein schienen.

Die ÖVP-Obmänner Wilhelm Molterer, Josef Pröll und Michael Spindelegger haderten ebenfalls mit Querschüssen aus den eigenen Reihen. Kein Winkelzug des Koalitionspartners war für sie so kränkend wie die Illoyalität von Parteifreunden.

Selbstverleugnung

Je mehr sich ein Politiker für seine Partei aufopfert, je mehr Kraft, Zeit und Energie er einsetzt, seine Natur und seine Interessen hintanstellt bis hin zur Selbstverleugnung, desto verbitterter ist er, wenn er gehen muss. Es liegt freilich in der Natur der Sache, dass solch ein Einsatz niemals entsprechend belohnt werden kann, jedenfalls nicht in Zeiten, in denen sich die traditionelle Parteienlandschaft im Umbruch befindet und mit Stimmenzuwächsen bei Wahlen nicht gerechnet werden kann.

Die ältere Politikergeneration musste sich meist noch der Ochsentour unterziehen, der fleißigen Mitarbeit in einer Vorfeldorganisation einer Partei oder einem Bund. Dabei geht es um Erziehung zur Angepasstheit und psychische Eingewöhnung in das Leben eines Politikers. Man lernt dort, dass man als Junger ein paar Jahre im Hintergrund arbeitet für einen, der schon an der Rampe steht und die Lorbeeren einheimst. Man wird geeicht gegenüber Intrigen und lernt, selbst welche zu spinnen. Es ist eine Ausbildung im politischen Ränkespiel. Man knüpft karrierefördernde Seilschaften und lässt sich eine Elefantenhaut wachsen. Zukünftige Politikergenerationen werden sich das nicht mehr gefallen lassen.

In der Kultur der Demontage waren ÖVP und SPÖ früher grundverschieden. In der Sozialdemokratie herrschten immer eine weitaus größere Disziplin und ein zentralistischer Umgang mit Beschlüssen von oben nach unten. Öffentliches Genossen-Bashing war verpönt. Heute befehden sich in der Wiener SPÖ verfeindete Lager in aller Öffentlichkeit, verbreiten böse Gerüchte, fordern Parteichef Michael Häupl zum Rücktritt auf und bringen einander Verletzungen bei, die so schnell nicht verheilen werden.

Vielleicht war Alfred Gusenbauer der Erste in einer Generation von SPÖ-Politikern, der den neuen Zeitgeist spürte, aber noch nicht damit umgehen konnte. Wenn ein sozialdemokratischer Parteivorsitzender, der es nicht mehr bringe, nicht von selbst gehe, werde er mit nassen Fetzen davongejagt, sagte Gusenbauer einmal. Das war im Jahr 2000, lange bevor er Kanzler wurde. 2008, als Werner Faymann hinter den Kulissen sich schon seine Mehrheiten organisiert hatte, trat Gusenbauer zurück, beschädigt und beschämt.

Selbstschutz

Gusenbauer hatte in den acht Jahren an der Spitze der SPÖ einiges an Kränkungen aushalten müssen. Am schlimmsten war für ihn, dass seine pubertierende Tochter durch die Medien gezerrt worden war. Vielleicht aus Selbstschutz hatte er sich dann so etwas wie eine eigene Wirklichkeit geschaffen, sich hinter intellektuellem Dünkel verschanzt und provokant den Connaisseur gegeben. Sein Nachfolger Werner Faymann verschwand genau vor einem Jahr aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit, nach massiven parteiinternen Unmutsbekundungen. Auf einem Parteitag der SPÖ waren während Faymanns Rede mehr als 100 Parteitagsdelegierte aufgestanden und aus dem Saal gegangen. Bei seiner Rede am 1. Mai 2016 war er ausgepfiffen worden. Ein offener Brief des Gewerkschafters Josef Muchitsch mit dem Titel "Werner, lass los!“ war in profil erschienen, und die Landesparteivorsitzenden der SPÖ hatten in einem Wiener Hotel die Ablöse Faymanns besprochen.

Faymanns Rücktrittspressekonferenz hinterließ einen gespenstischen Eindruck. Er sagte, er bedanke sich dafür, gedient haben zu dürfen. Er sehe zu seinem Bedauern, dass er nicht mehr über genug Rückhalt verfüge. Die Herzenswärme der Menschen in Österreich habe ihn starkgemacht. Dem Nachfolger wünsche er viel Glück. Faymann, dem seine Parteifreunde nachsagen, er habe auch dann noch gelächelt, wenn er jemanden abservierte, lächelte auch bei seinem eigenen Abgang.

Das war nur konsequent. Leicht fiel es ihm jedoch nicht. Am Tag vor seinem Rücktritt hatte er einen Zusammenbruch in den Armen eines Genossen.

Kleiner Kummer spricht. Großer nicht.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling