Moderne Wegelagerer: Weg mit den E-Scootern?

E-Scooter blockieren Gehwege, verkommen zur Touristen-Gaudi und entpuppen sich als Öko-Schmäh.

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Die Sturzgefahr lauert beim Abbiegen. Denn Handzeichen sind Pflicht. Für Tretroller mit Elektro-Antrieb gelten dieselben Vorschriften wie fürs Radfahren. Nur: Im Stehen ist der einarmige Balance-Akt ungleich schwerer zu vollziehen als im Sitzen. Deswegen verzichten 70 Prozent der E-Scooter-Fahrer aufs Abbiege-Zeichen. Das ergab eine nicht repräsentative Umfrage auf Twitter unter 100 Nutzern. Auch die von sieben Prozent praktizierte Alternative der Bein-Zeichen dürfte sich auf Dauer nicht durchsetzen.

Bleibt die Frage, ob sich die Neuankömmlinge im Stadtverkehr generell durchsetzen. Seit knapp einem Jahr rollen private Anbieter ihre Flotten aus - von Wien über Klagenfurt, Villach, Linz bis Wels. Im September folgt Graz. Ähnlich wie bei Uber werden die Scooter über eine Smartphone-App gefunden, gebucht und per Kreditkarte bezahlt. Auf eine gewisse Start-Euphorie folgt jetzt Ernüchterung. E-Scooter blockieren Gehwege, machen Touristen zur rollenden Gefahr und entpuppen sich als Öko-Schmäh. Städte und Anbieter versuchen nun, den Image- Schaden zu reparieren. Sonst droht das Schicksal der chinesischen Leihfahrräder, die über Nacht verschwanden.

"Du hast der Welt durch deine Fahrt eine kleine Verschnaufpause gegönnt. Gut gemacht!", dankt der US-Anbieter Bird bei Fahrtende fürs "Reinigen der Luft". Eine weiteres High five auf den Klimaschutz lautet: "Ein Auto weniger. Mit deiner Fahrt hast du dazu beigetragen, Autofahrten, Verkehrsstaus und CO2-Emissionen zu reduzieren. Großes Lob!" Keinen Zweifel an der positiven Öko-Bilanz ließ auch die frühere Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) aufkommen, die im September 2018 unter ein persönliches Scooter-Foto postete: "Wir lassen das Auto stehen und fahren mit dem E-Roller zum Ministerrat. Jeder kann einen kleinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das ist Nachhaltigkeit."

Nun stellt sich heraus: Die E-Scooter sind vielleicht cool, trendig und wendig - aber nicht umweltfreundlich. Denn im echten Leben lässt kaum jemand das Auto für den Roller stehen. Eine Umfrage unter 4000 Menschen in Frankreich ergab: Knapp 50 Prozent wären stattdessen zu Fuß gegangen, rund 30 Prozent hätten öffentliche Verkehrsmittel genutzt und nur rund acht Prozent den Pkw.

Randbezirke sind nicht abgedeckt. Aber genau dort könnten Scooter mithelfen, die letzte Meile zu U-Bahn, Bus oder Straßenbahn zu überbrücken, um KfZ-Fahrten zu ersetzen

Eine ähnliche Umfrage läuft in Wien. Mit großen Abweichungen ist nicht zu rechnen. In der Hauptstadt sind 6500 Roller zugelassen. Sie ballen sich fast ausschließlich in den inneren Bezirken, also dort, wo das Verkehrsnetz dicht und der Fußweg kurz ist. "Randbezirke sind nicht abgedeckt. Aber genau dort könnten Scooter mithelfen, die letzte Meile zu U-Bahn, Bus oder Straßenbahn zu überbrücken, um KfZ-Fahrten zu ersetzen", sagt der Verkehrsplaner auf der TU Wien, Ulrich Leth. Weiterer Unterschied zur klimaneutralen Muskelkraft: die Batterien. Deren Herstellung ist energieintensiv. Die Gewinnung der Rohstoffe wie Kobalt, Nickel und anderer Seltener Erden ist häufig mit großen ökologischen und sozialen Belastungen verbunden. Laut Mobilitätsagentur der Stadt Wien beträgt die Lebensdauer der E-Scooter durchschnittlich drei bis vier Monate. Dann wird in China nachproduziert. Dagegen ist ein durchschnittliches Smartphone langlebig.

Es gibt viele Beschwerden über Scooter, die im Weg stehen

Die Konzentration auf die inneren Bezirke der Städte hängt mit der Kundschaft zusammen. E-Roller sind oft "Spaßgerät für Touristen und Jugendliche", meint Leth. Bei bis zu 25 km/h kann daraus Ernst werden. Beide Gruppen nehmen die Regeln nicht immer so genau, sei es aus Unwissenheit über lokale Gesetze oder Coolness. "Es gibt viele Beschwerden über Scooter, die im Weg stehen. Und besonders ältere Menschen ängstigen sich vor Rollern, die auf dem Gehsteig fahren", sagt der Wiener Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, Markus Figl. Seit Juni sind E-Roller mit Fahrrädern gleichgestellt. Das heißt rein rechtlich dürfen sie nur auf Radwegen und Straßen rollen. Als Parkplätze kommen Gehsteige weiterhin infrage. Oder wie es ein Anbieter via Handy-App formuliert: "Du darfst deinen Roller überall abstellen." Zwar folgt die Bitte, Wege nicht zu blockieren. Aber die Definition von Blockade ist Ansichtssache. "Ohne persönliche Bindung an das Gerät werden Scooter dort stehen gelassen, wo der Weg gerade zu Ende ist", sagt Rainer Trefelik. Er ist Obmann der Sparte Handel in der Wiener Wirtschaftskammer und fordert ein Parkverbot auf Gehsteigen wie in Paris. Nur Radständer und gekennzeichnete Zonen sollten fürs Parken taugen.

Durch die Start-up-Mentalität herrscht ein Kampf um Marktanteile wie im Wilden Westen

Figl ist das Gerangel um den "spärlichen Platz" in seinem Bezirk schon jetzt zu viel. Derzeit rittern sechs Anbieter gegeneinander. Pro Anbieter sind höchstens 1500 Roller erlaubt. Die Zahl der Anbieter ist indes nicht limitiert. Das wollen Figl und die Kammer ändern. "Durch die Start-up-Mentalität herrscht ein Kampf um Marktanteile wie im Wilden Westen", meint Trefelik. Besonders vor Sehenswürdigkeiten würden oft bis zu 30 Roller stehen und kaum bewegt. Denn die Scooter sind durchschnittlich nur ein Mal pro Tag unterwegs, weiß Leth. Um kostendeckend zu sein, müssten es vier bis fünf Fahrten sein. In Klagenfurt ist ein Roller täglich 15 Minuten unterwegs.

Im Wiener Rathaus sieht man den Roller-Boom entspannt. "Grundsätzlich ist es erfreulich, dass die Menschen mehr Möglichkeiten haben, in der Stadt unterwegs zu sein", sagt die Sprecherin der Mobilitätsagentur, Kathrin Ivancsits. "Neue Angebote fallen immer stärker auf. Es wird eine Zeit dauern, bis man sich daran gewöhnt." Melden Bürger wild geparkte Roller, würden diese von der MA 48 binnen vier Stunden eingezogen und nur gegen Kaution freigegeben. "Das ist noch nie passiert."

Dennoch wird die grüne Verkehrsstadträtin Birgit Hebein im September neue Regeln präsentieren. Eine Obergrenze für Anbieter schließt Ivancsits nicht aus. Ebenso denkbar: die Verpflichtung, einen Teil der Flotte in Außenbezirken aufzustellen. So könnten Bürger leichter zu den Öffis gelangen und das Auto stehen lassen, was die Öko-Bilanz verbessern würde. Die Roller-Frage ist heikel für die Grünen. Hier die negative Öko-Bilanz, dort die Angst, durch Verbotsrufe als Spaßbremsen dazustehen.

Das Risiko des Unternehmens wird zu schlechten monetären, sozialen und rechtlichen Konditionen auf die Juicer abgewälzt

Doch nicht nur ökologisch oder finanziell sind die Roller defizitär unterwegs - sondern auch sozial. Rund ums Einsammeln, Instandhalten und Aufladen hat sich ein prekärer Arbeitsmarkt gebildet. "Juicer" heißen die Roller-Warte in der schönen neuen Startup-Welt. "Das sind miserable Jobs", sagt Veronika Bohrn-Mena mit Bezug auf Dienstleistungsverträge eines großen Anbieters. Sie hat sich in der Gewerkschaft der Privatangestellten auf prekäre Jobs spezialisiert. "Das Risiko des Unternehmens wird zu schlechten monetären, sozialen und rechtlichen Konditionen auf die Juicer abgewälzt." Andererseits: "Durch das tägliche Einsammeln und Laden ist die Abstellproblematik weitaus geringer als bei den chinesischen Leihrädern", sieht Leth auch eine positive Facette. Manche Anbieter kämpfen aktiv gegen das Ausbeuter-Image und stellen ihre Mitarbeiter fix an.

Gegen Stolperfallen gehen die Firmen mit Handy-Anweisungen vor. So wird ein Fotobeweis vom korrekt geparkten Scooter verlangt. Regelmäßige Treffen mit Polizei und Stadt sollen das Vertrauen stärken. Man will sich bewusst von den asiatischen Anbietern der Leihfahrräder unterscheiden, die kaum greifbar waren - und am Ende pleite. Für das Einsammeln des Fahrrad-Schrotts blechte der Steuerzahler. So leicht könnten sich Firmen wie BMW und Daimler oder Uber nicht davonstehlen; die Autoriesen stehen hinter der Scooter-Firma Hive, der US-Fahrdienstanbieter kooperiert mit Lime. Selbst wenn einzelne Scooter-Firmen den Konkurrenzkampf nicht überleben - so rasch werden die Roller nicht mehr aus den Städten verschwinden.

Bleibt die Frage des Handzeichens. "Üben, üben, üben", empfiehlt die Wiener Verkehrsabteilung. Ein deutliches Richtungszeichen schütze vor Unfällen. Zumindest die anderen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.