profil-Morgenpost: Politik und Promiskuität

Was ist die größte Gefahr, die Heranwachsenden in der Stadt droht? Fragen Sie die ÖVP!

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Als ich vor einiger Zeit die oberösterreichische Heimat zu Studienzwecken in Richtung Wien (sprich: Wean) verließ, begleiteten mich neben den guten Wünschen auch die Besorgnisse meiner Eltern: Welchen Gefahren würde ihr Sohn in der großen Stadt ausgesetzt sein? Welchen widerstehen? Welchen möglicherweise erliegen?

Ich habe zwar nur eine leise Ahnung, welche verderblichen Verhaltensweisen auf der Liste der Bedrohungen enthalten waren – es werden wohl der Missbrauch kontrollierter Substanzen, die Aufnahme unehelicher Geschlechtsbeziehungen, die Prokrastination zum Nachteil der väterlichen Brieftasche und ähnliches gewesen sein.

Eines weiß ich aber mit Sicherheit: der Abfall vom wahren Glauben (sprich: von der im Familienumfeld präferierten Partei) gehörte nicht dazu; und das, obwohl man damals das Jahr 1987 schrieb und immer noch die bipolare Weltordnung samt dem dazugehörigen Kalten Krieg herrschte.

Seither ist alles ein bisschen unübersichtlicher geworden, weshalb es auch nicht verwundern dürfte, dass sich den alten Ängsten neue hinzugesellt haben. ÖVP-Klubobmann August Wöginger etwa sieht inzwischen die größte Anfechtung für das Seelenheil flügge gewordener Heranwachsender in ideologischer Promiskuität. „Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkommen“, grämte er sich vergangene Woche bei einer Wahlveranstaltung in Ried im Innkreis: „Wer in unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen.“

Es war einer der immer häufiger auftretenden Politik-Momente, in denen Realität und Satire hierzulande nicht mehr zweifelsfrei zu unterscheiden sind; und es wäre insofern vermutlich auch nicht aus dem Rahmen gefallen, wenn Wöginger daraus die Forderung nach einer sofortigen Schließung der Studierendenroute und/oder Körperstrafen für politische Apostasie abgeleitet hätte.

Was ÖVP-Chef Sebastian Kurz zu den Sorgen seines Klubobmanns sagt, können Sie auf den Mitschnitten des profil-Gesprächs mit ihm hören (für Eilige: am Podcast ab 42:10, am Videomitschnitt ab 47:25), das Eva Linsinger und Christian Rainer vergangene Woche geführt haben.

Ergänzend sei aber noch hinzugefügt, dass nicht nur in Wean, sondern auch in Universitätsstädten wie Soizbuag und Klongfuat bereits Fälle von Wechselwahlverhalten registriert wurden.

Sollten Sie Kinder haben, die dieser Tage zu studieren beginnen, machen Sie sich dennoch keine allzu großen Sorgen: Auf dem Wahlzettel stehen ohnehin nur Parteien, die sich prinzipiell innerhalb des Andreas-Khol’schen Verfassungsbogens befinden. Und es soll ja inzwischen sogar Eltern geben, die etwas anderes wählen als noch vor 30 Jahren.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen sorgenfreien Tag!

Martin Staudinger